Umstrittene Glyphosat-Studie nach 25 Jahren zurückgezogen

Berlin – Eine Studie aus dem Jahr 2000, die eine zentrale Rolle in der Debatte um die Sicherheit des Pestizids Glyphosat spielt, ist von der Fachzeitschrift Regulatory Toxicology and Pharmacology formell zurückgezogen worden. Das Papier war seither ein wichtiges Argument für Angaben des damaligen Herstellers Monsanto, das Herbizid Roundup und sein Wirkstoff Glyphosat hätten keine krebserregenden Wirkungen. In einer Stellungnahme des Konzerns Bayer, der Monsanto 2018 übernommen hatte, hieß es: „Von Monsanto hat sich niemand als Autor beteiligt und der Bezug des Unternehmens zu dem Papier wurde ordnungsgemäß offengelegt.“
Die Studie habe weithin als wegweisend in der Debatte gegolten, hieß es vom Fachverlag Elsevier, in dem das Fachblatt erscheint. Nun sei aber unklar, ob die gezogene Schlussfolgerung – dass Glyphosat und das Präparat Roundup nicht krebserregend sind – tatsächlich korrekt ist.
Es wurden Bedenken hinsichtlich der Urheberschaft der Studie, der Gültigkeit der Ergebnisse im Zusammenhang mit einer falschen Darstellung der Beiträge der Autoren und des Studiensponsors sowie potenzieller Interessenkonflikte der Autoren geäußert, schreibt der zuständige Chefredakteur Martin van den Berg in der Mitteilung. Zweifel gab es in mehreren Punkten.
Bewertung der Karzinogenität: Die Schlussfolgerungen der Studie hinsichtlich der Karzinogenität von Glyphosat basieren ausschließlich auf Studien von Monsanto, die kein tumorauslösendes Potenzial zeigten, schreibt van den Berg. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung habe es andere Langzeitstudien zur chronischen Toxizität und Karzinogenität gegeben, deren Daten nicht berücksichtigt wurden.
Mangelnde Unabhängigkeit der Autoren: Ein Rechtsstreit in den USA brachte Korrespondenz von Monsanto ans Licht, aus der hervorgeht, dass die 3 in der Studie genannten Autoren wohl nicht allein für den Inhalt verantwortlich waren. Stattdessen hätten möglicherweise Angestellte von Monsanto ohne ordnungsgemäße Nennung als Mitautoren an der Erstellung mitgewirkt.
Falsche Darstellung der Beiträge: Die möglichen Beiträge der Angestellten von Monsanto als Mitautoren wurden im Abschnitt „Danksagungen“ nicht ausdrücklich als solche erwähnt. „Diese Auslassung lässt vermuten, dass die Autoren ihre jeweiligen Rollen und den kooperativen Charakter der vorgestellten Arbeit falsch dargestellt haben könnten.“
Fragen zur finanziellen Vergütung: Weitere während des Rechtsstreits offengelegte Korrespondenz mit Monsanto deutet der Mitteilung zufolge darauf hin, dass die 3 offiziell genannten Autoren möglicherweise eine finanzielle Vergütung von Monsanto für ihre Arbeit an der Studie erhalten haben, was nicht offengelegt wurde.
Historischer Kontext und Einfluss: Die Studie hatte jahrzehntelang einen erheblichen Einfluss auf regulatorische Entscheidungen in Bezug auf Glyphosat und Roundup, wie es hieß. „Angesichts seines Status als Eckpfeiler für die Bewertung der Sicherheit von Glyphosat ist es unerlässlich, dass die Seriosität dieses Übersichtsartikels und seiner Schlussfolgerungen nicht beeinträchtigt wird.“
Angesichts dieser Punkte gebe es kein Vertrauen mehr in die Ergebnisse und Schlussfolgerungen, das mache die Rücknahme notwendig, betont van den Berg.
Warum passiert das jetzt?
Im Jahr 2017 seien in einem Gerichtsverfahren interne E-Mails des Chemiekonzerns Monsanto veröffentlicht worden, die nahelegten, dass Mitarbeitende des Unternehmens an der Erstellung der einflussreichen Studie mitgewirkt hatten, heißt es in einem Beitrag des Fachmagazins Science (2025; DOI: 10.1126/science.zccwjp8) zur Rücknahme.
Erst vor wenigen Monaten hatte ein Forschungsduo im Fachjournal Environmental Science & Policy (2025; DOI: 10.1016/j.envsci.2025.104160) berichtet, wie stark die Studie dennoch weiter zitiert wird und Einfluss hat: Die Studie gehört demnach zu den 0,1 % der meistzitierten Studien in der Glyphosat-bezogenen Forschung. Die Enthüllungen über Monsantos verdeckte Beteiligung hätten daran kaum etwas verändert.
Der jetzige Monsanto-Eigner Bayer wies die Kritik zurück. Bei der zurückgezogenen Studie handele sich um einen reinen Übersichtsartikel ordnungsgemäß eingereichter Studien, erklärte Konzernsprecher Philipp Blank in einer Stellungnahme. „Glyphosat ist das in den letzten 50 Jahren am umfassendsten untersuchte Herbizid.“ Unter führenden Regulierungsbehörden weltweit herrsche Einigkeit, dass Glyphosat bei sachgemäßer Anwendung sicher sei.
Glyphosat gilt nach Einschätzung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) und der Weltgesundheitsagentur (WHO) als wahrscheinlich krebserregend für den Menschen. Behörden wie die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sehen bei Einhaltung der Anwendungsregeln kein relevantes Krebsrisiko.
Der vermeintliche Widerspruch ist dabei nicht wirklich einer: Die IARC beurteilte die Krebsgefahr, also die generelle Möglichkeit, dass Glyphosat Krebs verursacht. In die Bewertung der Behörde floss das Alltagsrisiko als Faktor ein. Die EFSA bewertet das Krebsrisiko bei den Mengen, die ein Mensch üblicherweise etwa über Lebensmittel aufnimmt, als vernachlässigbar. Zudem legten in der Vergangenheit mehrere Studien nahe, dass der Einsatz von Glyphosat mit erhöhten Schwangerschaftsrisiken exponierter Frauen einhergeht.
Bei Glyphosat handelt es sich um ein sogenanntes Totalherbizid, das nahezu alle grünen Pflanzen schädigt. Glyphosat wird seit Mitte der 1970er-Jahre vor allem unter dem Handelsnamen „Roundup“ genutzt und ist heute in zahlreichen Pflanzenschutzmitteln verschiedener Hersteller enthalten. In der Landwirtschaft wird es beispielsweise vor der Aussaat auf Felder gesprüht, um unerwünschte Konkurrenzpflanzen zu vernichten.
Die Europäische Union (EU) hat die Genehmigung für Glyphosat zuletzt bis Ende 2033 verlängert. In einem Teil der Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, sind Anwendungen in Haus- und Kleingärten sowie auf Flächen, die für die Allgemeinheit bestimmt sind, verboten oder stark eingeschränkt. In den USA hatten in den vergangenen Jahren an Krebs erkrankte Menschen, die Roundup verwendet hatten, mehrfach hohe Schadenersatzsummen zugesprochen bekommen.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: