Union und SPD beginnen Sondierungen ohne Experten für Gesundheit

Berlin – Fünf Tage nach der Bundestagswahl haben Union und SPD ihre Sondierungen für eine künftige Regierungskoalition begonnen. Am Tisch sitzen je neun Vertreter beider Seiten. Einige haben in den Parteien oder den Ländern wichtige Funktionen inne, mehrere könnten im künftigen Bundeskabinett Posten bekommen – falls es zu Schwarz-Rot kommt.
Für die Union verhandeln Friedrich Merz (69), CDU-Vorsitzender und Chef der Unionsfraktion im Bundestag, der Kanzler werden will. Mit dabei ist auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann (47). Als Organisator des Wahlsiegs der Union dürfte der promovierte Volkswirt gute Aussichten auf einen Kabinettsposten haben.
Markus Söder (58) ist als CSU-Vorsitzender vertreten. Der bayerische Ministerpräsident hat immer wieder dementiert, dass er ins Bundeskabinett wechseln will. Alexander Dobrindt (54), CSU-Landesgruppenchef im Bundestag und Schlüsselfigur der Zusammenarbeit von Merz und Söder.
Der CSU-Chef soll ihm zugesichert haben, dass er jeden Ministerposten bekommt, den er will. Martin Huber (47), CSU-Generalsekretär soll wie Söder darüber wachen, dass in den Gesprächen mit der SPD das konservative Profil der Union erkennbar bleibt.
Am Tisch vertreten ist auch Thorsten Frei (51), erster parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion. Der CDU-Innen- und Rechtspolitiker könnte in die Regierung, aber auch den Posten des Fraktionschefs von Merz übernehmen.
In den Gesprächen für die Union verhandeln zudem Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (49), Karin Prien (59), stellvertretende CDU-Vorsitzende und Bildungsministerin in Schleswig-Holstein sowie Dorothee Bär (46), im Bundestag stellvertretende Fraktionsvorsitzende für Familie und Kultur mit.
Die SPD-Verhandler führt Lars Klingbeil (47), Ko-SPD-Chef, an. Nach der Wahl hat er auch den Fraktionsvorsitz übernommen und ist nun der starke Mann bei den Sozialdemokraten – und womöglich neben Merz künftig auch im Bundeskabinett.
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (64) ist Deutschlands beliebtester Politiker. Er hat immer wieder gesagt, dass er als Verteidigungsminister gerne weitermachen würde. Ko-SPD-Chefin Saskia Esken (63) vertritt in der Runde den linken SPD-Flügel. Dass sie anders als der Pragmatiker Klingbeil nach der Wahlniederlage schon abgeschrieben wurde, löste in der Partei auch Protest aus.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch (56) hatte das Amt im Oktober kurzfristig übernommen, als Kevin Kühnert aus gesundheitlichen Gründen ausschied. Ihm allein will deshalb niemand das Wahldebakel ankreiden. Arbeitsminister Hubertus Heil (52) gilt in der Partei als anerkannt und gut vernetzt. Eine weitere Regierungsfunktion ist möglich, auch wenn die Union sein „Bürgergeld“ wieder kippen will.
Achim Post (65) ist SPD-Vize und Chef des starken NRW-Landesverbands. Er wurde immer wieder für wichtige Partei- und Regierungsämter gehandelt. Anke Rehlinger (48), Ministerpräsidentin im Saarland, gilt als eine der Hoffnungsträgerinnen der SPD. Ob sie nach Berlin will, ist unklar, die Übernahme des Parteivorsitzes hat sie bereits ausgeschlossen.
Mit dabei sind zudem Manuela Schwesig (50), Regierungschefin in Mecklenburg-Vorpommern, und die bisherige Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (56). Bas kommt für einen neuen Posten in Frage, da der Parlamentsvorsitz nun an die Union fällt. Ein Ministeramt gilt als möglich.
Eingeladen war heute auch der amtierende Bundesfinanzminister Jörg Kukies. Ein ausgewiesener Experte für Gesundheit und Pflege findet sich nicht in der Sondierungsrunde. Der Marburger Bund (MB) rief heute dazu auf, das Gesundheitssystem in den Gesprächen nicht zu vergessen.
„Das Gesundheitswesen hat für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft größte Bedeutung“, sagte die Vorsitzende des Ärzteverbands, Susanne Johna. Dort, wo diese Hilfe nicht mehr in ausreichendem Maße gewährleistet werden könne, bröckele nicht allein das Vertrauen in die Regierenden – auch die Demokratie als solche gerate weiter unter Legitimationsdruck.
„Deshalb darf die Gesundheitspolitik in den Verhandlungen über eine neue Koalition keine untergeordnete Rolle spielen“, so Johna. Das derzeitige System sei „nicht krisenfest, gerade auch im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels“.
Konkret mahnt der Marburger Bund zum Beispiel eine Korrektur der beschlossenen Krankenhausreform an. „Das neue Finanzierungssystem muss auf den Prüfstand“, erklärte Johna weiter. Es sei zu komplex und „zu stark an den Fallzahlen orientiert“ und es vernachlässige den tatsächlichen Versorgungsbedarf.
Außerdem stehe der mit dem neuen System verbundene bürokratische Aufwand „im krassen Widerspruch zum Versprechen einer Entbürokratisierung der Patientenversorgung“. Ein deutlicher Bürokratieabbau könne kurzfristig und ohne zusätzliche Kosten ärztliche und pflegerische Arbeitskraft freisetzen und damit eine bessere Patientenversorgung ermöglichen, so der Marburger Bund.
„Allein im ärztlichen Dienst der Krankenhäuser summiert sich der Zeitaufwand für administrative Tätigkeiten im Mittel auf rund drei Stunden täglich. Würde man diesen Zeitaufwand halbieren, stünde die Arbeitskraft von rund 32.000 vollzeitbeschäftigten Ärztinnen und Ärzten im Krankenhaus mehr zur Verfügung“, rechnet Johna vor.
Union und SPD wollen ihre Beratungen über die Bildung einer schwarz-roten Bundesregierung in der kommenden Woche fortsetzen. Das teilten die Generalsekretäre von CDU, CSU und SPD mit. Einen konkreten Termin nannten sie nicht.
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