Verbände kritisieren mangelnde Prävention im Cannabisgesetz

Berlin – Verbände der Ärzteschaft sowie der Suchthilfe und -prävention kritisieren die Pläne für eine kontrollierte Freigabe von Cannabis als Genussmittel. Das erklärten sie gestern bei der Anhörung des Bundesgesundheitsausschusses zum Cannabisgesetz (CanG).
Die Bundesärztekammer (BÄK) und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) bemängeln insbesondere mangelnde Gesundheitsschutzmaßnahmen im Entwurf des CanG. „Wir sehen, dass der Präventionsgedanke und der Jugendschutz nicht so im Vordergrund stehen wie angekündigt“, erklärte der BVKJ-Vorstandsvorsitzende Thomas Fischbach.
Es fehle an klar definierten Maßnahmen, und mehrere problematische Folgen der Freigabe wie der Zugang Minderjähriger zu Cannabis würden nicht ausreichend sanktioniert. „Die vermeintlichen Jugendschutzmaßnahmen sind entweder nicht durchführbar, nicht kontrollierbar oder nicht finanziert.“
BÄK-Präsident Klaus Reinhardt pflichtete dem nach eigener Aussage vollumfänglich bei. „Wir sind relativ erschüttert über das, was hier auf dem Tisch liegt“, sagte er. Prinzipiell stehe die BÄK neuen Wegen in der Drogenpolitik offen gegenüber, „aber nicht so, wie es hier vorliegt.“
Er wies vorherige Erklärungen des Suchtforschers Jakob Manthey vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg zurück, der sich bei seinen Ausführungen auf den aktuellen Forschungsstand berief. Die Erkenntnisse der Wissenschaft seien nicht so eindeutig, wie es oft dargestellt werde, wandte er ein.
Manthey, den das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit einem Gutachten zu den möglichen Folgen einer Cannabislegalisierung beauftragt hatte, hatte zuvor erklärt, eine Legalisierung habe in Ländern wie Kanada zu keinem signifikanten Anstieg des Cannabiskonsums unter Jugendlichen geführt.
Vielmehr seien es Faktoren wie das soziale Umfeld und die individuelle persönliche Situation, die entscheidend dafür seien. Auf die habe das aktuelle Gesetzesvorhaben aber keinerlei Einfluss. Auch mit Blick auf Deutschland sei festzustellen, dass sich der Konsum bei Erwachsenen seit 2010 verdoppelt habe, während er unter Jugendlichen relativ stabil sei. „Das ist prinzipiell ein guter Trend“, erklärte Manthey.
Demgegenüber herrsche in der Wissenschaft Konsens, dass die bisherige Prohibitionspolitik insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene schädliche Folgen gehabt habe, weil Stigmatisierung und Strafandrohung für Menschen mit riskantem Konsumverhalten die Hemmschwelle anheben würden, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Dabei erhielt er Zuspruch von Peter Raiser, dem Geschäftsführer der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen. „Wir haben schon vor Jahren festgestellt, dass Strafandrohung nicht hilft, sondern negative Auswirkungen hat“, erklärte er. Die DHS spreche sich prinzipiell für eine Liberalisierung von Cannabis als Genussmittel aus, kritisiere aber ebenfalls die Mängel des Gesetzentwurfs bei Prävention und Suchthilfe.
Prävention funktioniere insbesondere dann, wenn sie vor Ort mit riskant Konsumierenden in einem Dialog auf Augenhöhe durchgeführt werde, betonte Raiser: „Das funktioniert aber nicht, indem man anonyme Broschüren und Kampagnen veröffentlicht.“ Personelle und finanzielle Ressourcen für Präventionsprogramme sehe das Gesetzt jedoch nicht vor.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte im Rahmen der Vorstellung des Gesetzentwurfs eine begleitende Kampagne unter dem Slogan „Legal, aber…“ vorgestellt. Weitere und genauere Präventionsangebote ließen sich aufgrund der notwendigen Mitarbeit der Länder allerdings erst nach Verabschiedung des Gesetzes konzipieren und umsetzen, erklärte er wenig später.
Zudem sehe der Gesetzentwurf Regelungen vor, die teils gar kontraproduktiv sein könnten, betonte Ingo Ilja Michels, der den Verein Akzept – Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik vertrat. So soll es verboten sein, in den Räumlichkeiten der Anbaugenossenschaften, der Cannabis Social Clubs, zu konsumieren, um dafür keine Anreize zu schaffen.
„Das ist lebensfremd“, kritisierte er. Gemeinsame Konsumräume würden nicht nur eine soziale Kontrolle mit sich bringen, sondern insbesondere die Möglichkeiten für Aufklärung und Intervention deutlich verbessern.
Auch Manthey hatte erklärt, der beste Weg, riskant Konsumierende zu erreichen, wären eigentlich die Präventionsbeauftragten, die der Gesetzentwurf ohnehin für jede Anbauvereinigung verpflichtend vorsieht. Genau deren Rolle werde durch das Konsumverbot in den Räumlichkeiten aber konterkariert.
Dabei sei zu beachten, dass durch die aktuell geplante Gesetzgebung der absolute Großteil der Cannabiskonsumierenden gar nicht erfasst werde, gab Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbands (DHV) zu bedenken.
Er bezog sich dabei auf eine Studie des Wirtschaftswissenschaftlers Justus Haucap, wonach 63 Prozent der Cannabiskonsumenten angaben, weniger als einmal im Monat zu konsumieren und nur zwölf Prozent Intensivkonsumenten seien, die mehr als zwanzigmal im Monat Cannabis zu sich nehmen.
Die vom Gesetz freigegebenen Möglichkeiten zum Eigenanbau oder Mitgliedschaft in einer Anbauvereinigung würden allerdings fast ausschließlich auf Intensivkonsumenten abzielen. „70 bis 80 Prozent der Konsumenten konsumieren so wenig, dass es für sie kaum relevant ist“, sagte er.
Es müssten deshalb einige lebensfremde Regelungen aus dem Entwurf gestrichen werden. So soll beispielsweise die Weitergabe an Erwachsene im privaten Umfeld weiterhin strafbar sein. Die allermeisten Konsumenten würden Cannabis aber im sozialen Setting zu sich nehmen und so weiterhin illegalisiert.
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