Vermischtes

Weitere Maßnahmen für moderne Suchtprävention gefordert

  • Donnerstag, 23. November 2023
/picture alliance, Arne Dedert
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Berlin – Um den Bedarfen von Drogensüchtigen und Konsumenten gerecht zu werden, sollte das Drugchecking in öffentlichen Konsumräumen verbreitet, das Angebot von Opioidsubstitutionstherapien verbessert und ein Werbeverbot für Alkohol, Tabak und E-Zigaretten eingeführt werden.

Diese und weitere Ansätze forderten heute Vertreterinnen und Vertreter des Bundesverbands für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik im Rahmen der Vorstellung des 10. Alternativen Drogenberichts. Die Fachleute drängten zudem auf eine schnelle Umsetzung der Cannabislegalisierung, um den illegalen Markt für Cannabis einzudämmen und Konsumenten zu entkriminalisieren und zu schützen.

Für eine Ausweitung von Drugchecking sprach sich Nina Pritszens, Geschäftsführerin des vista Verbundes für integrative soziale und therapeutische Arbeit in Berlin, aus. Insbesondere in Drogenkonsumräumen sei die Über­prüfung der Substanzen ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Gesundheitsschutz und moderner Sucht­prävention.

Pritszens begrüßte die neue gesetzliche Möglichkeit, dass Bundesländer nun Rechtsverordnungen für die Durchführung von Drugchecking erlassen können. „Das neue Gesetz ist erfreulich, aber wir hinken in der Ent­wicklung trotzdem hinterher“, betonte sie. „Es darf nicht bei Leuchtturmprojekten wie in Berlin und Thüringen bleiben. Wir brauchen flächendeckend unterschiedliche Konzepte.“

Die Länder müssten nun die Chance ergreifen, möglichst viele Konsumentinnen und Konsumenten zu erreichen und Konzepte für unterschiedliche Settings zu entwickeln. Das Drugchecking muss Pritszens zufolge vor allem in Sucht- und Drogenberatungsstellen, im Nachtleben und auf Festivals sowie in den genannten Drogenkon­sum­räumen ausgebaut werden.

Ein weiteres Problem sieht Pritszens in der Opioidsubstitutionstherapie. Aktuell würden rund 50 Prozent der Opioidkonsumenten mit der Behandlung erreicht, der Bedarf sei jedoch deutlich höher und die Wirksamkeit wissenschaftlich bewiesen. Dies liege einerseits daran, dass zu wenig Substitutionsmittel eingesetzt würden und andererseits daran, dass es zu wenig Therapieanbieter gebe. Auch die Altersbeschränkung auf 25 Jahre sei ein Problem und sollte Pritszens zufolge auf 18 Jahre gesenkt werden.

Sie forderte, die Zugänge für Patienten so einfach wie möglich zu gestalten, mehr Behandler in die Versorgung zu integrieren und ausreichend Behandlungsplätze zu schaffen. Dies sei besonders im Hinblick auf den Fach­kräf­temangel und gehäufte Renteneintritte in den nächsten Jahren eine Herausforderung, die jedoch dringend angegangen werden müsse, sagte Pritzens.

Zunehmender Crackkonsum in Deutschland

Eine weitere Problematik, auf die die Fachleute hinwiesen, war der zunehmende Crackkonsum in deutschen Großstädten. Das rauchbare Derivat habe das pulverförmige Kokain in vielen Städten abgelöst, da es inzwischen deutlich günstiger und leichter als Kokain zu bekommen sei, erläuterte Ingo Ilja Michels, wissenschaftlicher Mit­arbeiter am Institut für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences.

Michels betrachtete die Entwicklung mit Sorge. In Europa habe sich die Zahl der Crackkonsumenten, die sich in eine Drogenbehandlung begeben, seit den 2000er Jahren verdreifacht. „Doch die Menschen werden häufig allein gelassen, weil es psychiatrische Angebote in Deutschland so gut wie gar nicht gibt“, sagte er. Es sei an der Zeit, neue Wege der medikamentengestützten und sozialpsychiatrischen Hilfe zu erproben.

Heino Stöver, Direktor des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences, plädierte im Bereich Tabak- und Alkohol für weitere Maßnahmen. Er bemängelte, dass Deutschland als beinahe einziges europäisches Land keinen nationalen Plan für die Tabakkontrolle habe und auch der Alkoholkonsum in der Ge­sellschaft nach wie vor sehr hoch und geduldet sei. Alkohol und Tabak seien Themen, die von der Bundesregie­rung bislang unberührt blieben.

Weitere Maßnahmen bei Tabak gefordert

In Bezug auf den Tabakkonsum ignoriere Deutschland schadensminimierende Strategien, die im Ausland bereits erfolgreich seien, so Stöver. „In dieser Hinsicht ist Deutschland noch ein echtes Entwicklungsland.“ Auch in der Aufklärung über weniger gesundheitsschädliche Formen der Nikotinaufnahme könne Deutschland einiges nach­holen.

Wie das Ziel eines rauchfreien Landes 2040 erreicht werden wolle, bleibe unklar, sagte Stöver. Dieses Ziel for­dert ein breites Bündnis von Organisationen im Gesundheitswesen, darunter das Deutsche Krebsforschungs­zent­rum in der Helmholtz-Gemeinschaft.

Auch der Alkoholkonsum braucht dem Suchtforscher zufolge eine stärkere Kontrolle. Um Alkoholabhängige zu schützen, brachte er etwa ein Verbot von Alkoholwerbung ins Spiel und verwies auf Kampagnen zum kon­trollier­ten Trinken sowie eine verbesserte Aufklärung über Alkoholfolgen in allen Altersgruppen. Dies hatte auch der Bundesdrogenbeauftragte, Burkhard Blienert, Anfang des Jahres gefordert.

Erfreulich sei hingegen, dass der Alkohol- und Tabakkonsum bei Jugendlichen in den vergangenen Jahren konti­nuierlich zurückgegangen und auch der Cannabiskonsum nicht mehr so attraktiv für die junge Generation sei, sagte Bernd Werse, Leiter des Centre for Drug Research an der Goethe-Universität Frankfurt.

Vaping: Neue Gefahr für Jugendliche

Allerdings sei der Konsum von E-Zigaretten unter den Jugendlichen deutlich gestiegen und bewege sich auf einem Level mit dem täglichen Zigarettenrauchen. Werse betonte, dass das Dampfen jedoch weniger schädlich als das Zigarettenrauchen sei und die E-Zigarette aus seiner Sicht entgegen vieler Meinungen auch keinen Ein­stieg in das Rauchen von Verbrennungszigaretten darstellen würde.

Dem Soziologen zufolge liegt das einerseits an den überall verfügbaren Einweggeräten, die zudem günstig, meist für unter zehn Euro, zu erhalten seien und verschiedene, für Jugendliche attraktive Geschmacksrichtungen aufwiesen. Andererseits machten inzwischen viele Influencer und bekannte Rapper gezielt Werbung für die Geräte und seien darauf mit ihren Logos und Konterfeis abgebildet.

Werse wies darauf hin, dass die bisher geplanten Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung dieses Trends nicht ausreichend seien. Auch wenn Aromen in E-Zigaretten und Einweggeräte verboten werden sollen, löse dies die Problematik nicht schnell genug. Die Fachleute wünschen sich vielmehr ein Werbeverbot, unter an­derem in den sozialen Medien, und neutrale Verpackungen der Geräte, um die Gesundheit der Jugendlichen zu schützen.

Neben dem steigenden E-Zigarettenkonsum stelle auch der Lachgaskonsum unter den Jugendlichen ein zuneh­mendes Problem dar. Das Gas sei an Kiosken in großen Mengen zu kaufen und damit unmittelbar zugänglich, sagte Werse. An dieser Stelle müsste vermehrt auf den Jugendschutz geachtet werden.

Ein weiteres Problem sieht Werse im THC-Derivat Hexahydrocannabinol (HHC), das synthetisch hergestellt wer­de und dem Cannabiswirkstoff THC sehr ähnlich sei. Werse zufolge ist der Stoff noch nicht verboten und auch nicht dem Jugendschutz unterworfen. „Ein weiteres Beispiel dafür, dass es höchste Zeit wird für schnellere, den Erfordernissen angemessene Regelungen im Umgang mit psychoaktiven Substanzen.“

cmk/nfs

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