Politik

Fachleute nehmen Stellung zur Freigabe von Cannabis

  • Montag, 6. November 2023
/picture alliance, Zoonar, Jiri Hera
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Berlin – Knapp zwei Monate vor der geplanten Cannabisfreigabe in Deutschland machen Stellungnahmen von Fachleuten aus Polizei, Justiz, Suchthilfe und Medizin noch einmal deutlich, wie umstritten die Pläne weiter­hin sind. Heute kommen Fachleute bei einer öffentlichen Anhörung im Gesundheitsausschuss des Parlaments zu Wort. Ihre Stellungnahmen lagen vorab vor.

Der Gesetzentwurf der Ampel sieht vor, Cannabis im Betäubungsmittelgesetz von der Liste der verbotenen Substanzen zu streichen. Für Volljährige ab 18 Jahren soll der Besitz von 25 Gramm erlaubt werden. Privat sollen maximal drei Pflanzen angebaut werden dürfen. In Cannabisclubs sollen Vereinsmitglieder die Droge gemeinschaftlich anbauen und gegenseitig abgeben dürfen.

Verbände wie die Bundesärztekammer, der Deutsche Richterbund, die Gewerkschaft der Polizei und medizi­nische Fachgesellschaften stemmen sich weiterhin gegen das Gesetz.

Der Richterbund äußerte etwa „erhebliche Bedenken“ und rechnet wie auch Vertreter von Polizeigewerk­schaf­ten mit mehr Arbeit für Strafverfolgungsbehörden und Justiz, da die Vorgaben für die künftigen Cannabisclubs und zu Anbau und Abgabe der Droge auch überwacht und Verstöße geahndet werden müssen.

Befürchtet wird auch, dass der Schwarzmarkt nicht kleiner, sondern größer wird, da Besitz und Erwerb von bis zu 25 Gramm Cannabis straffrei werden, egal ob es auf dem Schwarzmarkt oder legal erworben wurde.

Medizinerverbände warnen vor allem vor Gesundheitsgefahren. Die Bundesärztekammer sieht „eine relevante Gefährdung der psychischen Gesundheit und der Entwicklungschancen der jungen Generation in Deutsch­land“. Sie rechnet mit einer Zunahme des Cannabiskonsums und damit zusammenhängenden gesundheitli­chen und gesellschaftlichen Problemen.

Verbände und Fachgesellschaften der Kinder- und Jugendmedizin und Kinder- und Jugendpsychiatrie warnen ebenfalls. Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) regte heute erneut an, sowohl die Suchtprävention als auch die suchttherapeutische Versorgung zu stärken.

Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie hält die geplante Altersgrenze für den Zugang zu Cannabis mit 18 Jahren für zu niedrig, „da die Gehirnentwicklung in der Regel bis Mitte 20 noch nicht ab­geschlossen ist“. Bis dahin solle die Droge unter anderem wegen eines erhöhten Psychoserisikos nicht kon­sumiert werden, so der Verband.

Auf der anderen Seite stehen Befürworter des Vorhabens. „Eine Kriminalisierung des Besitzes von Cannabis zum Eigenkonsum ist nicht mehr zu rechtfertigen“, heißt es etwa von der Neuen Richtervereinigung, einem reformorientierten Verband von Richtern und Staatsanwälten. Der Konsum sei trotz aller Verbotsbemühungen weit verbreitet.

Der Deutsche Anwaltverein begrüßt die Cannabisfreigabe „ausdrücklich“, er sieht dadurch das Strafrecht entlastet. Vom Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Uni Hamburg heißt es, das Gesetz erkenne in erster Linie „gesellschaftliche Realitäten“ an. 2021 habe etwa jeder zehnte im Alter von 18 bis 59 mindestens einmal im Jahr Cannabis konsumiert.

Der von der SPD eingeladene Sachverständige und Strafrechtsprofessor Mustafa Temmuz Oglakcioglu weist die Zweifel des Richterbundes bezüglich einer Entlastung der Behörden zurück. „Allein die schiere Anzahl von zuletzt über 180.000 konsumbezogenen Cannabisverfahren pro Jahr bindet offenkundig erhebliche Ressour­cen“, schreibt er in seiner Stellungnahme.

Die Grenze zwischen Pro und Kontra verläuft aber auch fließend. Die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin bewertet die „Ansätze zur Entkriminalisierung von Konsumenten“ im Gesetz als positiv. Der Verband warnt aber auch davor, dass durch die Freigabe die Zahl der Personen mit Intoxikationen (Vergiftungen) oder Intoxikationspsychosen deutlich zunehmen könnte.

Wie geht es jetzt weiter? Nach der Expertenanhörung am heutigen Montag, die bis etwa 19.30 Uhr angesetzt ist, muss der Bundestag das Gesetz noch beschließen. Das war bislang für die vorletzte Sitzungswoche des Jahres Ende November geplant.

Eine Zustimmung im Bundesrat ist nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums nicht nötig. In einem „Fragen und Antworten“ auf dessen Internetseite heißt es, das Inkrafttreten des Cannabisgesetzes sei für An­fang 2024 vorgesehen. Und weiter: „Ab Inkrafttreten können Erwachsene nach dem vorgelegten Gesetzesent­wurf in Deutschland legal einen Joint rauchen.“

Ob der Zeitplan zu halten sein wird, ist aber offen, da noch an Details des umfangreichen Gesetzes gefeilt wird. Parallel läuft eine Kampagne des Gesundheitsministeriums im Netz, die vor den Gesundheitsgefahren des Cannabiskonsums warnt. Videoclips mit Slogans wie „Legal, aber...risky“ oder „Legal aber...Letzter“ richten sich vor allem an junge Leute.

dpa/lau

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