Verfassungsbeschwerde gegen Triage-Gesetz eingereicht

Berlin – Verfassungsbeschwerde gegen die vor einem Jahr vom Bundestag beschlossene Regelung zum Umgang mit begrenzten überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten bei übertragbaren Krankheiten (Triage-Regelung) haben 14 Fachärztinnen und Fachärzte aus den Bereichen Notfall- und Intensivmedizin eingereicht.
Nach Überzeugung der Ärztinnen und Ärzten verstößt die Regelung gegen ihre Grundrechte, weshalb mit Unterstützung des Marburger Bundes (MB) beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eine Verfassungsbeschwerde gegen § 5c des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vorbereitet wurde.
Die Beschwerdeführer wenden sich insbesondere gegen zwei wesentliche Regelungsinhalte: Den Positiv-Negativ-Kriterienkatalog für eine Zuteilungsentscheidung über intensivmedizinische Behandlungskapazitäten (§ 5c Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 IfSG) und das grundsätzliche Verbot der Ex-post-Triage (§ 5c Abs. 2 Satz 4 IfSG).
Beide Regelungen machten ein mit ärztlichen Grundsätzen – ethisch wie medizinisch – zu vereinbarendes Handeln in einer Dilemmasituation unmöglich und verursachten darüber hinaus eine erhebliche Rechtsunsicherheit und ein signifikantes Strafbarkeitsrisiko, so die Begründung.
Zum Hintergrund: Die neu in das Infektionsschutzgesetz eingefügte Triage-Norm sieht ein Verfahren für die Zuteilung nicht ausreichend vorhandener intensivmedizinischer Behandlungsressourcen vor und enthält Kriterien für die Zuteilungsentscheidung sowie Dokumentations- und Verwaltungsvorgaben, die von den behandelnden Ärzten zu beachten sind.
Aus der Sicht der Beschwerdeführer verletzt das Gesetz sie in ihrem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), das durch die Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 Var. 2. GG) in dem vorliegenden Fall entscheidend verstärkt wird. Ärztinnen und Ärzte sind verpflichtet, ihren Beruf „nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit“ auszuüben (Muster-Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte).
Diese Eingriffe in das Grundrecht sei im Wesentlichen aus vier Gründen nicht gerechtfertigt. Erstens seien das Diskriminierungsverbot in der Triage-Regelung und die daraus folgenden Zuteilungsentscheidungen widersprüchlich. Die Norm sei in ihrem Tatbestand deshalb unbestimmt und mit der Rechtsfolge einer möglichen berufsrechtlichen Sanktion für die Beschwerdeführer unzumutbar.
Zweitens mache die Unklarheit in der Negativliste (§ 5c Abs. 1 Satz 1 IfSG) die Regelung ebenfalls unzumutbar und damit im Ergebnis unverhältnismäßig.
Drittens sei das Verfahren für Zuteilungsentscheidungen nicht nur „unpraktikabel“, sondern auch in grundrechtsverletzender Art und Weise ausgestaltet, weil kein verfahrensauslösendes Ereignis definiert ist, der Entscheidungszeitpunkt ungeregelt bleibt und die Unbestimmtheit des gesamten Verfahrens erhebliche Rechtsunsicherheit für die entscheidungsverpflichteten Ärzte mit sich bringt.
Viertens könne das ausdrückliche Verbot der Ex-post-Triage (§ 5c Abs. 2 Satz 4 IfSG) bedeuten, dass neu hinzukommenden Patienten mit einer relativ besseren Überlebenswahrscheinlichkeit als Patienten mit deutlich schlechterer Prognose in bereits begonnener intensivmedizinischer Behandlung keine überlebenswichtige Behandlungskapazität mehr zugeteilt werden kann.
Wie der Marburger Bund betonte, sei in einer Mangelsituation aufgrund übertragbarer Krankheiten mit unzureichenden Behandlungskapazitäten die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit das entscheidende Kriterium für die Zuteilung medizinischer Ressourcen. Das habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 16. Dezember 2021 klargestellt (1 BvR 1541/20).
Durch die Triage-Regelung im Infektionsschutzgesetz werde den Ärzten aber zugemutet, eine Ex-ante-Zuteilungsentscheidung in dem Wissen zu treffen, dass sie später eintreffende Patienten mit deutlich besseren Überlebenschancen nicht intensivmedizinisch behandeln können.
Die ohnehin schon hohe Belastung in einer Triage-Situation werde so noch verstärkt und den Ärzten „die für ihr berufliches Ethos essenzielle Möglichkeit“ genommen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um unter den schwierigen Umständen einer extremen Ressourcenknappheit die größtmögliche Zahl an Menschen zu retten.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: