Politik

Vermeidbare Todesfälle: Qualitätsmonitor fordert neue Mindestmengen für Krebsoperationen

  • Donnerstag, 23. November 2017
/Tobilander, stock.adobe.com
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Berlin – Gesetzliche Mindestmengen an Kliniken für Eingriffe in der Onkologie würden für viele Patienten zusätzliche Lebensjahre bedeuten. Das zeigt eine Analyse auf Basis der Krankenhaus-Abrechnungsdaten für den Qualitätsmonitor 2018 des Wissenschaft­lichen Instituts der AOK (WIdO), des Vereins Gesundheitsstadt Berlin und der Initiative Qualitätsmedizin (IQM). Bisher vom Gemeinsamen Bundes­aus­schuss (G-BA) festgelegte Mindestmengen seien demnach zu niedrig, weitere müssten eingeführt werden.

„Der Beschluss des G-BA aus der letzten Woche verbessert zumindest für bestehende Mindestmengen die Voraussetzungen, er ist aber noch keine Garantie für die Umset­zung“, warnt Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes heute in Berlin. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) reagierte auf die Ergebnisse empört und befürchtet nun, dass die neuen Daten des Qualitätsmonitors falsch interpretiert werden und Patienten verunsichern könnten.

Laut der aktuellen Analyse könnte allein die Zahl der Todesfälle infolge von Lungenkrebsoperationen durch die Einführung einer rein rechnerisch ermittelten Mindestmenge von 108 Eingriffen pro Jahr um etwa ein Fünftel sinken – von 361 auf 287 Todesfälle pro Jahr. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei anderen Krebsindikationen (siehe Kasten 1). Die bereits festgelegten Mindest­mengen von zehn Fällen pro Jahr für komplexe Eingriffe an der Speiseröhre beziehungsweise der Bauchspeichel­drüse seien demnach zu niedrig (Kasten 2), schlussfolgerte Thomas Mansky, Leiter des Fachgebietes Struktur­entwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen der Technischen Universität (TU) Berlin und einer der Autoren des Qualitätsmonitors. Er weist darauf hin, dass auch Holland eine Mindestmenge für Eingriffe an der Speiseröhre von 20 festgesetzt habe.

Die AOK werde daher die Forderung nach Einführung von Mindestmengen für komplizierte OPs bei Lungenkrebs und Brustkrebs in den G-BA einbringen. Im Falle von Speiseröhren- und Bauchspeichel­drüsenkrebs setze man sich für eine Erhöhung der bestehenden Mindestmengen ein.

„In Deutschland gibt es immer noch viel zu viele Kliniken, die nur hin und wieder mal eine komplizierte Krebsoperation durchführen“, sagt Mansky. Als Beispiel nennt er die Lungenresektion: Ein Fünftel der Patienten wird nach den Untersuchungen einer TU-Arbeitsgruppe in insgesamt 260 Kliniken behandelt, die im Durchschnitt nur fünf dieser OPs pro Jahr durchführen. Der Anteil der Kliniken, die mehr als 75 Resektionen im Jahr 2015 durchführten, was den Zertifizierungskriterien von OnkoZert entsprechen würde, lag unter 20 Prozent.

Regionale Unterschiede

Hier zeigen sich auch deutliche regionale Unterschiede. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es mit 92 Prozent relativ betrachtet die meisten Kliniken, die weniger als 75 Lungenresektion pro Jahr durchführen. An den elf Kliniken finden 75 Prozent aller Lungenresektion statt.

Mengenmäßig liegt Nordrhein-West­falen mit 90 Kliniken (85 Prozent) an der Spitze. Hier werden 34 Prozent aller Lungenresektionen durchgeführt, obwohl die OnkoZert-Kriterien nicht erfüllt sind. Am besten schneidet Berlin mit nur drei Prozent der Kliniken ab.

Sanktionsmechanismen einsetzen

Diese „Gelegenheitschirurgie“ sei nicht akzeptabel, kritisierte Litsch und erhöht den Druck auf Kliniken: „Als Kranken­kasse müssen wir ganz klar Farbe bekennen. Wo Mindestmengen gesetz­lich festgelegt sind und unterschritten werden, dürfen im Sinne der Patienten­sicherheit diese Leistungen nicht bezahlt werden, sofern kein Ausnahme­tatbestand vorliegt“, sagte Litsch. Hier stimmt ihm auch Ulf Fink zu: „Auch in den USA schlägt sich Qualität in der Bezahlung der Krankenhäuser nieder. Letztendlich ist Geld das Erziehungs­mittel für Erwachsene“, so der Vorstandsvorsitzende von Gesundheitsstadt Berlin.

Aus Sicht der DKG sind Mindestmengen ein von den Kliniken längst anerkanntes Instrument der Qualitätssicherung, teilte heute der Hauptgeschäftsführer Georg Baum mit. Angesichts der vorgelegten Studie warnte die DKG vor vorschnellen und falschen Interpretationen, die die Patienten nur verunsichern. „Grundsätzlich verweigern sich die Kliniken möglichen Vorgaben nicht und wollen die neuen Regeln auch leben“, teilt Baum mit und verweist auf den G-BA-Beschluss der letzten Woche.

Dabei wurden die Verfahrensordnung sowie die Regelungen für Mindesmengen bei stationären Leistun­gen neu geregelt. Unter anderem müssen Krankenhausträger künftig gegenüber den Krankenkassen jährlich nachweisen, dass die für die Indikation erforderliche Mindest­menge im nächsten Kalenderjahr voraussichtlich erreicht wird. „Ansonsten besteht kein Vergütungsanspruch“, heißt es vom G-BA. Im Gremium der gemeinsamen Selbstverwal­tung wird davon ausgegangen, dass ab 2018 die Beratungen zu konkreten Mindest­mengen wieder aufgenommen werden können.

Die Einführung einer beispielsweise neuen Mindestmenge für Lungenkrebs-OPs unter­stützt Simone Wesselmann, Bereichsleiterin Zertifizierung bei der Deutschen Krebs­gesellschaft und Autorin des Qualitätsmonitors: „Mit den 49 von der Fachgesellschaft zertifi­zier­ten Lungenkrebszentren haben wir nahezu alle Kliniken erfasst, die die Vorgaben für unsere Zertifizierung erfüllen können“, betont Wesselmann. In den zertifizierten Lungenkrebszentren sind die Sterblichkeitsraten der Patienten deutlich niedriger als in Krankenhäusern, die den Eingriff seltener durchführen: Eine Auswertung auf Basis der Krankenhaus-Abrechnungsdaten von 2015 zeigt in Kliniken mit mehr als 75 Lungen­krebsoperationen pro Jahr eine Sterblichkeitsrate von nur 2,5 Prozent, während sie in den Kliniken mit weniger OPs pro Jahr bei 4,1 Prozent liegt.

Strukturfonds zum Umbau der Kliniken reicht nicht aus

Die Durchsetzung von Mindestmengen und Zentralisierung von Leistungen sei für Kliniken nicht einfach und ein „schmerzhafter Prozess“, der aber angesichts der ein­deutigen Datenlage „absolut folgerichtig“ sei, betont Ralf Kuhlen, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates der Initiative Qualitätsmedizin (IQM). Den Strukturfonds sieht Litsch dabei als Möglichkeit, um Kliniken dabei zu unterstützen, ihr Angebot umzubauen. „Eine Milliarde für die deutsche Krankenhauslandschaft ist dabei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Damit bewegt man nicht wirklich etwas“, sagte Litsch und benennt auch gleich die angestrebte Hausnummer: „Wir denken eher an 75 Milliar­den Euro bis ins Jahr 2025, wenn man relevante Änderungen durchführen möchte.“

Dabei müsse zudem vermieden werden, dass Krankenhäuser die Mittel des Struktur­fonds umwidmen, um die fehlenden Krankenhausinvestitionen auszubügeln. Um kleinen Krankenhäusern bei der geforderten Zentrenbildung das Überleben zu sichern, hatte die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechsel­krankheiten (DGVS) in diesem Jahr Vorschläge gemacht.

Qualitätsmonitor bietet Liste von bundesweit 1.352 Kliniken

Neben den Lungenkrebs-OPs stehen in diesem Jahr die Versorgung von Frühgeborenen, die Geburtshilfe sowie die Implantation von Knie- und Hüftgelenks-Endoprothesen im Fokus des Qualitätsmonitors. In einer Klinikliste werden die Ergebnisse von insgesamt 1.352 Krankenhäusern bundesweit dargestellt, in denen 2014 und 2015 eine dieser Behandlungen dokumentiert worden ist. Neben Ländervergleichen und der Liste mit den Klinikergebnissen enthält das Buch auch eine Reihe von Fachbeiträgen zu einzel­nen Krankheitsbildern aus der Liste, zur Umsetzung der Qualitätsziele des Kranken­haus­strukturgesetzes sowie zu weiteren Themen der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements im Krankenhaus. Eine andere Möglichkeit, wo sich auch Patienten informieren können, ist der AOK Krankenhausnavigator.

gie

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