Vermittlung von Genderwissen im Medizinstudium unzureichend

Berlin – Medizinstudierende lernen zu wenig darüber, wie sich das Geschlecht auf Krankheiten und Therapien auswirken. Das geht aus einem Gutachten hervor, das das Bundesministerium für Gesundheit finanziert hat.
„Soweit es die Humanmedizin betrifft, ist die Vermittlung von geschlechtersensiblem Wissen an den Universitäten leider absolut unzureichend“, berichtete Gabriele Kaczmarczyk, Vizepräsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB). Sie gehört zu den Autoren des Projekts, das von der Charité́-Universitätsmedizin Berlin und dem DÄB gemeinsam bearbeitet wurde.
Die Datenerhebung für das Gutachten erfolgte als Online-Umfrage an alle Studiendekane der humanmedizinischen Universitäten. Die Rücklaufquote betrug 75,6 Prozent für die medizinischen Fakultäten. In weiteren Abschnitten untersuchten die Wissenschaftler die Repräsentanz gendermedizinischer Themen auch in der Krankenpflege- und Physiotherapieausbildung. Projektende war im Mai vergangenen Jahres. Laut dem DÄB ist das Gutachten jetzt verfügbar.
„Die Ergebnisse zeigen auf der einen Seite, dass bei den meisten Medizinischen Fakultäten ein Bewusstsein für die Relevanz von geschlechtersensiblen Aspekten an den medizinischen Fakultäten angekommen ist und dass in den Fächern Kardiologie und klinische Pharmakologie einige wichtige gendermedizinische Aspekte in die Lehre integriert sind.
Auf der anderen Seite wird aber auch sehr deutlich, dass die strukturelle curriculare Integration von geschlechtersensiblen Aspekten noch nicht genügend vorangeschritten ist“, heißt es in dem Gutachten. So würden in 70,4 Prozent der medizinischen Fakultäten in Deutschland Medizinstudierende nur punktuell in einzelnen Lehrveranstaltungen auf die Geschlechterunterschiede bei Krankheiten, Symptomen und Therapien aufmerksam gemacht.
Die Defizite bezögen sich „auf die systematische Integration ins Curriculum, auf die Prüfungsrelevanz der geschlechtersensiblen Lernziele, auf die Evaluation und Qualitätssicherung des vermittelten geschlechtersensiblen Wissens sowie auf die Nachhaltigkeit der Integration von geschlechterbezogenen Forschungsergebnissen in die Lehre“. Ursachen dafür sind laut den Fakultäten häufig eine mangelnde Bereitschaft beziehungsweise ein geringes Problembewusstsein sowie die fehlende Qualifizierung der Lehrkräfte.
„Das ist ernüchternd“, kommentierte Kaczmarczyk. Den Studierenden selbst sei die Bedeutung der Gendermedizin für die Qualität der medizinischen Versorgung inzwischen aber oft bewusst. Das habe eine Umfrage des DÄB im vergangenen Jahr ergeben.
„Unsere Forschungsarbeit kommt zu dem Ergebnis, dass im Bereich Gendermedizin neue Professuren geschaffen werden sollten“, sagte Kaczmarczyk.
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