Vertragsärzte wollen auch weiterhin den Notdienst sicherstellen

Berlin – Gegen eine Übertragung des Sicherstellungsauftrags für die sprechstundenfreie Zeit von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) auf die Bundesländer hat sich heute in Berlin die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ausgesprochen.
Das sieht der Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) vor, der seit Mitte Juli kursiert, aber den Vermerk trägt, dass er mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch nicht abgestimmt ist.
Dieser Vorschlag gefährde den ärztlichen Bereitschaftsdienst mit seinen gewachsenen und teils neu aufgebauten regionalen Strukturen, wie zum Beispiel Portalpraxen an Krankenhäusern, Partnerpraxen oder Fahrdiensten, heißt es in einer Resolution, die die 60 Mitglieder der Vertreterversammlung einstimmig annahmen. Ohne Sicherstellungsauftrag für die sprechstundenfreie Zeit abends und an den Wochenenden könnten die KVen diese Strukturen weder aufrechterhalten noch weiterentwickeln.
Zwar sähen auch die KVen die Notwendigkeit, die Notfallversorgung zu reformieren, weil insbesondere die Notaufnahmen der Krankenhäuser zu häufig von Patienten mit Bagatellerkrankungen aufgesucht würden, heißt es dort weiter. Es müssten jedoch keine völlig neuen Versorgungsstrukturen geschaffen werden.
Im Diskussionsentwurf des BMG ist die Rede von Integrierten Notfallzentren (INZ), die von den Krankenhäusern und den KVen gemeinsam errichtet und betrieben werden sollen. Zwar benötige man zentrale Anlaufstellen für Patienten, die zu Fuß ins Krankenhaus kommen, um diese in die angemessene Versorgungsebene weiterzuleiten, so die KBV-Vertreterversammlung. Dafür sei eine enge Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus sinnvoll und notwendig.Einen neuen „dritten“ Versorgungssektor benötige man dafür aber nicht.
Der Sicherstellungsauftrag als Ganzes steht infrage
In dem Diskussionspapier aus dem BMG fänden sich viele gute Ansätze, hatte der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen zuvor eingeräumt.Die mögliche Aufkündigung des Sicherstellungsauftrags könne jedoch Konsequenzen haben, über die sich im Augenblick mancher noch im Unklaren sei. „Verlieren die Vertragsärzte das im Sicherstellungsauftrag verbriefte Recht auf die Exklusivität der ambulanten Versorgung, muss der Sicherstellungsauftrag wohl insgesamt infrage gestellt werden“, erklärte Gassen.
Er bezweifle, dass das gewollt sei. Denn die Zeiten seien heute andere. „Es gibt zu wenige Ärzte und Psychotherapeuten und es bliebe abzuwarten, ob wir nochmals zu den gleichen Bedingungen wie 1955 kontrahieren würden“, sagte er. Gassen bezeichnete es als erfreulich, dass die KVen, die Bundesärztekammer und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund sich in dieser Frage einig seien.Auch die Krankenkassen hätten sich dafür ausgesprochen, den Sicherstellungsauftrag unangetastet zu lassen.
Trotz dieser offenen Frage haben KBV und KVen Ende August eine bundesweite Kampagne gestartet, um die Rufnummer des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes, die 116117, bekannter zu machen. Die Nummer soll bis 2020 zu einer umfassenden Servicenummer ausgebaut werden, über die dann nicht nur der Bereitschaftsdienst kontaktiert werden kann.
Künftig soll sie auch der Terminvermittlung dienen und Patienten sollen über die 116117-App eine medizinische Ersteinschätzung nutzen können. „Das ist nicht weniger als eine kleine Revolution der ambulanten Versorgung“, sagte Gassen. „Wir gehen damit den Schritt, den die große Politik nicht zu gehen wagt: die Patienten in die für sie geeignete Versorgungsebene zu leiten. Und zwar für das gesamte Angebot der ambulanten Versorgung unter Abdeckung der ambulanten Notfallversorgung.“
Wer sich durchs Gesundheitssystem steuern lässt, zahlt weniger
Die Politik drücke sich vor der unbequemen Wahrheit, dass die Alles-und-Jetzt-Mentalität vieler Patienten auf Dauer nicht zulasten des Solidarsystems finanziert werden könne. Angesichts des ausufernden Ärztehoppings mancher Patienten wäre nach Ansicht von Gassen ein finanzielles Steuerungselement angemessen, zum Beispiel mit speziellen Tarifen in der gesetzlichen Krankenversicherung. „Wer sich steuern lässt, zahlt weniger. Wer den ungeregelten Arztbesuch will, zahlt mehr“, sagte Gassen.
Er habe diesen gar nicht so neuen Vorschlag in der vergangenen Woche in einem Interview unterbreitet, was zu „fast reflexartigen Abwehrreaktionen“ geführt habe. Selbst der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und die AOKen, die sich sonst immer für eine bessere Patientensteuerung im Rahmen der hausarztzentrierten Versorgung aussprächen, hätten abgewiegelt.
„Wenn man eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung für alle auch weiterhin gewährleisten wolle, benötige man eine bessere Steuerung der Patienten“, zeigte sich Gassen überzeugt. Die Reform der Notfallversorgung sei ein erster Schritt in diese Richtung.
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