Politik

Von sexueller Gewalt in der Kindheit betroffene Eltern fordern traumasensible Geburtshilfe

  • Dienstag, 4. März 2025
/Dragana Gordic, stock.adobe.com
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Berlin – Eltern, die sexuelle Gewalt in Kindheit und Jugend erlebt haben, setzen sich kritisch damit auseinander, ob sie in der Lage sein werden, ihre Kinder zu schützen und gut zu versorgen. Einem Forschungsprojekt der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs zufolge, das heute in Berlin vorgestellt wurde, berichten Betroffene über zu wenig spezifische Unterstützungsangebote und fordern eine traumasensible Geburtshilfe.

Dunkelfeldstudien belegen der Kommission zufolge, dass jede siebte erwachsene Person in der Kindheit und Jugend sexualisierte Gewalt erlebt hat. Die Bedeutung, die das bei der Entscheidung für oder gegen eigene Kinder haben kann, sei bisher indes kaum erforscht.

Das Forschungsprojekt hat deshalb untersucht, wie Betroffene Entscheidungen für oder gegen eigene Kinder treffen; wie sie sich als Eltern wahrnehmen; welche Belastungen die Gewalterfahrungen und traumatischen Erlebnissen mit sich bringen; und wie sie, die als Kinder selbst nicht geschützt wurden, ihre Verantwortung für den Schutz eigener Kinder erleben.

Für das Projekt wurden 619 Online-Fragebögen von betroffenen Personen zwischen 20 und über 70 Jahren ausgewertet, davon auch 163 Personen ohne Kinder. 84 Prozent der Befragten waren Frauen.  

„Die eigene Betroffenheit hat für viele der Befragten eine große Bedeutung, wenn sie über das Elternwerden nachdenken“, berichtete Barbara Kavemann, Mitglied der Aufarbeitungskommission und Autorin der Studie. Die Folgen der Gewalt in der Kindheit führten nicht selten zu Schwierigkeiten, vertrauensvolle und unterstützende Partnerschaften zu finden und zu führen. „Auch Sexualität zu leben, kann für Betroffene schwierig sein und ist manchmal nicht möglich“, sagte die Soziologin am Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut zu Geschlechterfragen Freiburg.  

Berichtet wurden von den Befragten auch eine Vielzahl von gewaltvollen, demütigenden Erfahrungen durch medizinisches Personal während der Schwangerschaft und unter der Geburt. Sie erhoben nachdrücklich die Forderung nach einer traumasensiblen Gesundheitsversorgung. „Es braucht eine Sensibilisierung insbesondere in der Geburtshilfe – dort gibt es sehr große Defizite“, betonte Kavemann.

„Die eigene Betroffenheit hat auf jeden Fall Einfluss auf die Entscheidung über eine Elternschaft“, berichtet die Soziologin Bianca Nagel, ebenfalls Autorin der Studie. Betroffene, die sexuelle Gewalt in der Herkunftsfamilie erlebt haben, betrachteten diese auch potenziell als Risiko für ihre Kinder. Sie sorgten sich, ob sie selbst gute Eltern sein könnten oder auch selbst eine Gefahr für ihre Kinder zu sein. Manche Betroffene wollten zuerst ihre eigene Geschichte aufarbeiten etwa mit Therapie; nur wenige hätten spezifische Unterstützung erhalten.

Ava Anna Johannson, betroffene Mutter von zwei erwachsenen Kindern, erachtete es als sehr wichtig, mit ihren Kindern über die erlebte Gewalt zu sprechen, um Verständnis für ihre teils schwierige psychische Verfassung zu bekommen. Auch habe sie erklären wollen, warum kein Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie mehr bestand, da sie sexuelle Gewalt im familiären Kontext erlebt hatte.

Johannson findet es dringend notwendig, dass Ärzte und Hebammen über den Umgang mit werdenden Müttern, die von sexueller Gewalt betroffen sind, sensibilisiert werden.  „Wenn andere Menschen am Körper agieren, triggert das einiges; gleichzeitig konnte ich selbst meine eigenen Bedürfnisse nicht kommunizieren.“

Claas Löppmann, betroffener Vater und Mitglied im Betroffenenrat bei der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, beschrieb die Angst die eigenen Kinder nicht genug schützen zu können. „Ich habe immer Unruhe und Misstrauen gegenüber Personen, denen ich meine Kinder anvertraue und bin sehr sensibel gegenüber potenziellen Gefahren.“ Gerade auch, weil er „die Perfidität der Täter“ kenne.  Er rät Eltern dazu, immer nachzufragen, ob die Betreuungseinrichtung oder der Sportverein ein Schutzkonzept habe, und dieses, wenn nicht vorhanden, einzufordern.

Aus den Ergebnissen des Forschungsprojektes wurden Empfehlungen für die Politik und das Unterstützungssystem erarbeitet, wie Betroffene von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend bei ihrer Familienplanung, bei der Versorgung in der Schwangerschaft und bei der Geburt sowie im Alltag als Eltern besser unterstützt werden können.

Es brauche beispielsweise entsprechende Informationsangebote im Rahmen von Elternkursen, Familienberatung und Familienbildung. Erziehungs- und Familienberatungsstellen müssen betroffene Eltern genauso mitdenken, wie auf sexuelle Gewalt spezialisierte Fachberatungsstellen das Thema Elternschaft.

PB

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