Medizin

VV116: Orales Remdesivir aus China ist bei COVID-19 wirksam

  • Freitag, 30. Dezember 2022
/Joel bubble, ben stock.adobe.com
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Shanghai – Das oral verfügbare Remdesivir-Derivat VV116 hat in einer Phase-3-Studie, die während einer Epidemie in China durchgeführt wurde, bei überwiegend geimpften Patienten mit einer wenigen Tage bestehenden Infektion die Symptome (mindestens) ebenso schnell gelindert wie das Standardmedikament Nirmatrelvir/Ritonavir, das hierzulande als Paxlovid zugelassen ist.

Auch die Verträglichkeit war nach den im New England Journal of Medicine (2022; DOI: 10.1056/NEJMoa2208822) publizierten Ergebnissen besser. Das Mittel, das bereits 2021 in Usbekistan zugelassen wurde, dürfte vor allem für Länder interessant sein, die keinen Zugriff auf Paxlovid haben.

Remdesivir gehörte im Juli 2020 zu den ersten Medikamenten gegen COVID-19. Der Wirkstoff hemmt die virale RNA-Polymerase, was die Ausbreitung der Viren im Frühstadium der Erkrankung aufhalten kann und im günstigen Fall eine schnellere Genesung erzielt.

Remdesivir ist oral nicht verfügbar und die Notwendigkeit einer täglichen Infusion hat dazu geführt, dass es in der Praxis selten eingesetzt wird.

Verschiedene Firmen haben deshalb oral verfügbare Prodrugs entwickelt, darunter auch der Remdesivir-Hersteller Gilead, der jüngst tierexperimentelle Daten zu GS-441524 in Science Translational Medicine (2022; DOI: 10.1126/scitranslmed.abm3410) vorgestellt hat.

Der chinesische Hersteller Junshi Biosciences aus Shanghai konnte jedoch als erster eine Phase-3-Studie abschließen, deren Ergebnisse Grundlage für eine Zulassung sein könnten.

Die Studie wurde in der chinesischen Hafenstadt durchgeführt, wo es zwischen April und Mai 2022 eine größere Epidemie gegeben hatte, die von der Omikron-Variante B.1.1.529 ausgelöst wurde.

Insgesamt 822 erwachsene Patienten mit leichtem bis mittelschwerem COVID-19, bei denen ein hohes Progressionsrisiko diagnostiziert wurde, waren zu gleichen Teilen auf eine Behandlung mit VV116 oder Nirmatrelvir/Ritonavir randomisiert worden.

Remdesivir und VV116 haben einen anderen Wirkungsmechanismus als Nirmatrelvir. Sie greifen in die Replikation von SARS-CoV-2 ein, indem sie den Kopiervorgang durch die RNA-Polymerase stören.

Nirmatrelvir hemmt dagegen eine Protease, die für den Zusammenbau neuer Viren in den Zellen benötigt wird. Der Proteasehemmer Ritonavir verstärkt die Wirkung, indem er den Abbau von Nirmatrelvir in der Leber hemmt. Das Einsatzgebiet beider Virustatika ist dasselbe.

Beide Mittel kommen in der Frühphase der Infektion zum Einsatz, wenn die Viren sich massiv in den Atemwegen und Lungenbläschen ausbreiten. Im späteren Verlauf der Erkrankung, das durch Immunreaktionen auf die Infektion und die Zerstörungen im Gewebe gekennzeichnet ist, kommt die Behandlung vermutlich zu spät.

Die Teilnehmer der Studie litten im Durchschnitt seit 4 Tagen an zumeist milden Symptomen. Bei 77,3 % wurde die Behandlung innerhalb von 5 Tagen nach Einsetzen der Symptome begonnen.

Die meisten Teilnehmer waren geimpft. Insgesamt 30,9 % hatten eine Standardimpfung und weitere 44,9 % zusätzlich einen Booster erhalten. Alle hatten ein Alter von mindestens 60 Jahre oder andere Risikofaktoren auf einen schweren Verlauf wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Hypertonie, Adipositas, Rauchen oder Diabetes.

Der primäre Endpunkt der Studie war die Zeit bis zur klinischen Erholung. Dieser wurde in der VV116-Gruppe früher erreicht als in der Nirmatrelvir/Ritonavir-Gruppe. Das Team um Ren Zhao von der Universitätsklinik Jiao Tong in Shanghai ermittelt eine Hazard Ratio von 1,17, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,01 bis 1,35 signifikant war und damit eine Überlegenheit von VV116 anzeigt. Das Non-Inferioritätskriterium, das die Grenze des 95-%-Konfidenzintervall auf 0,8 gesetzt hatte, war auf jeden Fall erfüllt.

Die Patienten erholten sich in der VV116-Gruppe nach median 4 Tagen gegenüber 5 Tagen in der Nirmatrelvir-Ritonavir-Gruppe (Hazard Ratio 1,17; 1,02 bis 1,36). In einer abschließenden Analyse gab es keine Unterschiede in der Zeit bis zur anhaltenden Symptomauflösung, und auch die Dauer bis zum ersten negativen SARS-CoV-2-Test unterschied sich nicht wesentlich zwischen den beiden Gruppen. Es gab keine schweren COVID-19-Erkrankungen und keine Todesfälle.

Die Verträglichkeit von VV116 war etwas besser: Bei 51,8 % (VV116) versus 67,2 % (Nirmatrelvir/Ritonavir) kam es zu Nebenwirkungen, die die Prüfärzte auf die Wirkstoffe zurückführten. Diese waren bei 1,8 % versus 5,2 % vom Grad 3 oder höher und führten bei 1,6 versus 2,3 % zum Absetzen des Wirkstoffs. Eine Besonderheit von VV116 könnten Geschmacksstörungen (Dysgeusie) sein, die bei etwa einem Viertel der Patienten auftraten.

Ein Vorteil von VV116 ist die einfache Anwendung. Anders als bei Nirmatrelvir/Ritonavir müssen keine Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten beachtet werden.

Die Ergebnisse einer Phase-3-Studie bilden in der Regel die Grundlage für eine Zulassung. Der Hersteller hat diese in den USA oder Europa jedoch nicht beantragt (jedenfalls gibt es keine Hinweise in der Pressemitteilung).

VV116 dürfte vor allem in China sowie in anderen Ländern eingesetzt werden, in denen Paxlovid nicht erhältlich ist. Nach den Ergebnissen der Studie dürfte es eine gleichwertige, wenn nicht sogar bessere Alternative sein.

rme

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