Wachstum von Medizinischen Versorgungszentren hält an

Hamburg – Die Zahl der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen: von 2.156 Ende 2015 auf 3.539 Ende 2019. Darauf verwies Jonas Schreyögg von der Universität Hamburg gestern auf dem 3. Hamburger Versorgungsforschungstag der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg (KVHH). Zugleich ging der Trend zu MVZ mit ausschließlich angestellten Ärzten.
„Ende 2019 gab es 2.820 MVZ mit ausschließlich angestellten Ärzten sowie 597 mit Vertragsärzten und angestellten Ärzten und 122 ausschließlich mit Vertragsärzten“, sagte Schreyögg, der auch Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ist. Er prognostizierte, dass die Zahl der MVZ insgesamt weiter ansteigen werde.
Das starke MVZ-Wachstum seit 2015 hänge dabei mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz zusammen, durch das die Gründung fachgruppengleicher MVZ möglich geworden sei. Schreyögg erklärte, dass die Zahl der Berufsausübungsgemeinschaften (BAG) seit 2015 etwa in dem Maße zurückgegangen sei, wie die Zahl der inhabergeführten MVZ zugenommen habe.
Hier habe es eine Substitution gegeben, die ihre Ursache unter anderem in den Vorteilen von MVZ gegenüber BAG habe. So habe man bei MVZ eine größere Auswahl an Rechtsformen und könne Angestellte in einer gewünschten Zahl einstellen. „Das Wachstum, das wir seit 2015 gesehen haben, fand also fast ausschließlich bei den Krankenhaus-MVZ statt“, sagte der Hamburger Gesundheitsökonom.
Schreyögg wies darauf hin, dass es de facto keinen monetären Anreiz für Vertragsärzte gebe, ein MVZ zu gründen. Die Gründung eines MVZ sei für einen Vertragsarzt ein hohes unternehmerisches Risiko, das bisher in der Vergütung nicht ausreichend berücksichtigt werde. „Das große Missverständnis ist: Im Unterschied zum stationären Bereich können große ambulante Einrichtungen keine Skaleneffekte erzielen“, sagte Schreyögg. „Insofern haben sie durch ihre Größe alleine keinen ökonomischen Vorteil.“
Chancen und Risiken
Stattdessen brauche man ab einer bestimmten Größe einen Geschäftsführer. Und angestellte Ärzte seien tendenziell weniger produktiv als Vertragsärzte. Größere Praxen deckten in der Regel ein anderes Leistungsspektrum mit komplexeren Fällen ab und benötigten daher mehr Investitionen.
„Deshalb gibt es hier immer öfter einen Einstieg von Investoren – auch bei etablierten Leuchtturm-MVZ“, erklärte Schreyögg. „Insofern müsste die Vergütung hier eigentlich höher sein, damit es sich für niedergelassene Ärzte lohnt, ein inhabergeführtes MVZ zu gründen.“
Schreyögg betonte, dass es durch externe Investoren in MVZ Chancen, aber auch Risiken für das Gesundheitswesen gebe. „Externe Investoren bringen zusätzliche Investitionen in die technische Ausstattung. Das sind Investitionen, die die Einzelpraxen so nicht erbringen können. Das ist ein Gewinn für die ambulante Versorgung“, sagte er.
Zweigpraxen auf dem Land
„Zudem fördern Investitionen das MVZ-Wachstum, was zu einer Flexibilisierung der ärztlichen Tätigkeit führt“, so Schreyögg weiter. „Wir wollen ja Ärzte mobilisieren, die bisher nicht als Ärzte tätig waren. Es gibt viele Geschichten von Ärzten, die in die kurative Tätigkeit zurückgeholt wurden, weil sie jetzt als angestellte Ärzte arbeiten können.“
Darüber hinaus eröffneten 50 Prozent der MVZ eine Zweigpraxis, mehrheitlich auf dem Land. „Insofern können wir erwarten, dass das MVZ-Wachstum einen Beitrag leistet, die Strukturprobleme auf dem Land zu lösen“, meinte Schreyögg.
Es gebe aber auch Risiken. „Eine zu einseitige Spezialisierung kann die Grundversorgung in einzelnen Fachgebieten gefährden“, sagte der Gesundheitsökonom. „Das Renditestreben könnte zudem die Versorgungsqualität gefährden.“ Bei diesem Argument sei er allerdings zurückhaltend, weil es im ambulanten Bereich eine gut ausgebaute und sanktionsbewehrte Qualitätssicherung gebe. Realer sei die Gefahr einer Überversorgung durch Portal-MVZ, bei der stationär durchgeführt werde, was auch ambulant hätte vorgenommen werden können.
Tiefer Einschnitt in die Versorgung
Die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KVHH, Caroline Roos, stellte die Vorzüge von inhabergeführten Praxen heraus. „Die Einführung von MVZ war ein tiefer Einschnitt in die ambulante Versorgung. Die inhabergeführte Praxis ist auf dem Rückzug, denn immer mehr junge Ärztinnen und Ärzte scheuen das unternehmerische Risiko und lassen sich lieber anstellen“, sagte sie.
Inhabergeführte Praxen böten jedoch große Freiräume, um Familie und Beruf zu verbinden. Zudem gebe es nur ein geringes Risiko, pleite zu gehen. „In ihren eigenen Praxen haben Ärzte die Freiheit, das Berufsethos hochzuhalten“, betonte Roos und fragte: „Doch wie ist das bei Angestellten, die sich einem Arbeitgeber verpflichtet fühlen?“
Markus März von den Artemis Augenkliniken, die MVZ in zehn Bundesländern betreiben, betonte, dass sein Unternehmen in manchen Regionen die augenärztliche Versorgung sichere. „Wenn wir in Nordhessen oder Thüringen keine augenärztliche Versorgung anbieten würden, dann wäre da nicht mehr viel“, sagte März.
Keine Mitbewerber um Arztsitze
Zudem betonte er, dass es zumeist keinen freiberuflichen Mitbewerber um einen Arztsitz gebe, wenn Artemis sich um einen neuen Arztsitz bemühe. „Augenärzte, die ihre Praxis verkaufen wollen, treten an uns heran, weil sie keinen Nachfolger finden“, sagte März. „Diese Situation gibt es in Nordhessen und Thüringen ebenso wie in Frankfurt am Main und in Marburg.“
Er erklärte, dass sein Unternehmen den angestellten Ärzten keine Vorgaben im medizinischen Bereich mache. „Wenn wir das tun würden, hätten wir am nächsten Tag die Kündigung auf dem Tisch“, betonte er. „Der Vorwurf, dass wir in medizinische Prozesse eingreifen, ist absurd.“
März bezeichnete es als „Megatrend“, dass junge Ärztinnen und Ärzte lieber in einer Anstellung arbeiten wollten. „Wichtig ist ihnen das Geld, aber auch die Unabhängigkeit, morgen kündigen zu können“, sagte März. „Ich glaube, wir werden weiterhin einen deutlichen Anstieg von angestellten Ärzten sehen.“
Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Stephan Hofmeister, betonte in diesem Zusammenhang: „Das System der Selbstverwaltung funktioniert nicht mit angestellten Ärzten. Es gibt keine Norm des SGB V, die bei Angestellten greift. Deshalb sollten wir uns Mühe geben, die Vorteile der Freiberuflichkeit darzustellen.“
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