Weiterhin viele Reserveantibiotika verordnet

Berlin – Die ambulanten Verordnungszahlen für Antibiotika sind im Jahr 2022 gestiegen. Sie lagen etwa zehn Prozent unter dem Wert von 2019, also vor Beginn der Coronapandemie. Der Verordnungsanteil von Reserveantibiotika blieb trotz des wieder steigenden Antibiotikaeinsatzes stabil und lag zuletzt bei 42 Prozent. Das geht aus einer neuen Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor.
Danach wurden im Jahr 2022 31 Millionen Verordnungen von Antibiotika im Wert von 733 Millionen Euro zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet. Das entspricht fast jeder 25. ambulanten Verordnung in der GKV. Der Anteil der Reserveantibiotika lag mit 42 Prozent weiter auf ähnlichem Niveau wie in den Coronajahren 2020 und 2021 und etwa fünf Prozent unter dem Verordnungsanteil von 2019.
Das WIdO verzeichnet für diese Wirkstoffe bereits seit 2013 sinkende Verordnungszahlen. „Trotz des grundsätzlich positiven Trends werden Reserveantibiotika immer noch zu oft verordnet. Sie sollten den Leitlinien entsprechend nur im Bedarfsfall bei schweren bakteriellen Erkrankungen eingesetzt werden“, sagte der WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder.
Die Auswertung für die einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen zeigt regionale Unterschiede: So lag der Verordnungsanteil der Reserveantibiotika in Hamburg mit 118 Verordnungen je 1.000 GKV-Versicherte am niedrigsten, während der Anteil in Hessen mit 227 Verordnungen je 1.000 GKV-Versicherte fast doppelt so hoch war.
Bei den Gesamtverordnungen von Antibiotika lag das Saarland mit 444 Verordnungen je 1.000 GKV-Versicherte an der Spitze, die wenigsten Verordnungen gab es auch in Hamburg, nämlich 276 Verordnungen je 1.000 Versicherte.
„Auch wenn bei dieser Betrachtung die Alters- und Geschlechtsstruktur der GKV-Versicherten wie auch deren Morbidität unberücksichtigt bleiben, liefert sie Hinweise darauf, dass regionale Informationskampagnen und Zielvereinbarungen das ärztliche Verschreibungsverhalten sinnvoll unterstützen können“, sagte Schröder.
Lieferengpässe bei ausgewählten Antibiotika können laut WIdO die angespannte Situation verschärfen – denn das Abweichen von der Standardtherapie durch die Nutzung eines verfügbaren Reserveantibiotikums könne die Gefahr von Resistenzbildungen erhöhen.
Der Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung verstärkt das Problem der Resistenzbildung laut dem Institut ebenfalls, da die Wirkstoffe zum Beispiel über den Konsum von Fleisch oder über das Grundwasser auch vom Menschen aufgenommen würden.
Laut einer Auswertung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wurden im Jahr 2022 rund 540 Tonnen an Tierärzte abgegeben. Vor zehn Jahren waren zur Nutzung in der Tiermedizin noch 1.452 Tonnen Antibiotika abgegeben worden. Dies entspricht einer Reduzierung der Antibiotikaabgabe um 63 Prozent zwischen 2013 und 2022.
„Trotzdem besteht immer noch die Gefahr, dass zu viele Antibiotika-Wirkstoffe mit tierischen Ausscheidungen über Kläranlagen oder als Dünger ins Oberflächen- und Grundwasser gelangen“, so Schröder.
Das WIdO kritisiert, dass die Pharmaindustrie zu wenige neue Antibiotika entwickle. In den vergangenen zehn Jahren seien lediglich neun neue antibiotische Wirkstoffe neu in den Markt eingeführt worden, hieß es aus dem Institut.
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