Wenn wissenschaftliche Fakten nicht zählen: Überzeugen mit dem Jiu-Jitsu-Model

San Antonio – Selbst gebildete Menschen lassen sich nicht immer von wissenschaftlichen Fakten überzeugen. Auf der jährlichen Tagung der Society for Personality and Social Psychology in San Antonio analysierten Matthew Hornsey und Kelly Fielding von der University of Queensland die Beweggründe scheinbar unbelehrbarer Skeptiker und stellen eine Strategie vor, wie man mit diesen Menschen am besten umgeht. Ihr Model nennen sie „Jiu Jitsu“. Denn ihre präferierte Überzeugungsstrategie setzt auf Anpassung statt auf Angriff und Gegenwehr. Ihre Erkenntnisse sollen in Kürze auch im American Psychologist publiziert werden.
In einer Literaturrecherche haben die australischen Forscher sechs Voraussetzungen zusammengestellt, die Skeptiker motivieren, Fakten auszublenden (siehe Kasten). Ihrer Meinung nach reicht schon eine dieser „attitude roots“ aus, um wissenschaftliche Evidenz zu übergehen. Um nur wenige Beispiele zu nennen: Eine Injektionsphobie könnte Impfgegner bestärken. Genauso wie die nicht nachgewiesenen Theorien, dass die Masernimpfung Autismus auslösen könnte oder Fluoride in Zahnpasta giftig seien.
Auch die Psychologen Troy Campell von der University of Oregon und Dan Kahan von der Yale University beschreiben religiöse, politische oder persönliche Überzeugungen als Auslöser für Wissenschaftsskeptik. Ihre Studien haben gezeigt, dass Menschen versuchen, ihre bestehenden Glaubensansätze zu schützen. Evidenz entstehe daher bevorzugt in Übereinstimmung mit der Identität und nicht in Übereinstimmung mit Fakten. „Menschen bewerten Informationen dann als besonders relevant, wenn sie die eigene Meinung stützen“, erklärt Campell das Ergebnis seiner Studie. Weniger passende Fakten werden zwar nicht verneint, aber als unwichtiger eingestuft.
Das zentrale Problem sei daher nicht, ob sich Menschen informiert halten, sondern ob die Informationen, die sie lesen, ein ausgewogenes Bild der Realität wiedergeben. Hornsey vergleicht das Wesen von Skeptikern auch gerne mit dem Gedankengang eines Anwalts („Thinking like a lawyer“): Sie picken sich die Aussagen heraus, die ihre bereits gefällte Schlussfolgerung bestätigen.
Die Kunst des Nachgebens
Wenig erfolgversprechend sei die wiederholte Argumentation mit evidenzbasierten Fakten, heißt es im Abstract der Studie von Hornsey und Fielding. Auch wenn das der erste Impuls sein sollte. Mehr versprechen sich die beiden Psychologen aus Queensland von einem Modell, das sie nach der waffenlosen Selbstverteidigung Jiu Jitsu benennen, was übersetzt „sanfte/nachgebende Kunst“ bedeutet.
Zunächst sollte man die eigentliche Motivation seines Gegenübers verstehen. Daran richtet sich die weitere Kommunikationsstrategie aus. In der Praxis würde das bedeuten: Bei Patienten, die die Schulmedizin ablehnen und gleichzeitig eine Spritzenphobie haben, fokussiert man als Arzt besser auf den Profit nach der Injektion. Beispielsweise, dass nach einer Impfung oder einer Präventionsmaßnahme weniger Therapien aufgrund weniger Folgekrankheiten notwendig werden könnten.
Studien, die diesen Jiu-Jitsu-Ansatz unterstützen, wurden bisher vor allem bei Skeptikern des Klimawandels durchgeführt (Nature Climate Change 2012). Etwa jeder dritte US-Bürger zweifelt genau wie auch Donald Trump am menschengemachten Klimawandel.
„Interventionsstudien, die zeigen, dass die Jiu-Jitsu-Methode gleichfalls bei Impfgegnern funktioniert, stehen noch aus“, sagte Hornsey dem Deutschen Ärzteblatt. Noch unveröffentlichte Daten der australischen Psychologen scheinen aber darauf hinzuweisen, dass auch die Impfgegnerschaft eine signifikante Schnittmenge mit einigen der aufgeführten attitude roots hat, verrät Hornsey.
Die Auswertung wird voraussichtlich Thema ihrer nächsten Publikation sein. Was er aber schon jetzt anhand von Studien sagen kann: „Mit dem Wiederholen von Fakten und dem Aufzeigen von Risiken beeinflusst man Impfskeptiker nur wenig – manchmal kann es sogar negative Auswirkungen haben.“
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