WHO verlangt Gesundheitsschutz für Geflüchtete

Berlin – Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) drängt darauf, flüchtenden Menschen den Zugang zur Gesundheitsversorgung zu ermöglichen. Sie würden besonders unter den vielfältigen Auswirkungen der COVID-19-Krise leiden, schrieben drei WHO-Direktoren in einem Artikel in der Fachzeitschrift The Lancet.
Durch Grenzschließungen und Ausgangssperren sitzen viele Flüchtende weltweit in Auffanglagern fest. Dort herrschen oft unhygienische Bedingungen auf engstem Raum – ein hohes Risiko für die dortigen Bewohner und auch für die Bevölkerung des Aufnahmelandes, meint die WHO.
Es fehle an sauberem Wasser und Seife, an medizinischem Personal sowie verständlichen Informationen in unterschiedlichen Sprachen. Körperliche Distanz zu wahren sei in den Camps ebenso unmöglich wie eine ausreichende Händehygiene oder Selbstisolation.
Migranten stünden zudem schon im Regelfall administrativen, rechtlichen, finanziellen und Sprachbarrieren gegenüber.
In der jetzigen Situation seien die Flüchtlinge stärker von Einkommensverlusten bedroht und ihre Aufenthaltsverfahren können von Gerichten und Behörden langsamer bearbeitet werden. All dies erschwere ihnen den Zugang zum Gesundheitssystem. Daher benötige es jetzt neben epidemiologischen Risikoeinschätzungen auch konkrete Protokolle und Einsatzpläne für den Fall eines COVID-19-Ausbruchs in den Flüchtlingscamps.
„Ein inklusiver Ansatz, der niemanden zurücklässt, sollte unsere Public Health Bemühungen während der COVID-19-Pandemie leiten“, heißt es von den drei Direktoren der WHO, Zsuzsanna Jakab (stellvertretende Generaldirektorin), Hans Henri P. Kluge (Regionaldirektor für Europa) und Santino Severoni (Abteilungsdirektor für Gesundheitssysteme und Public Health und Berater für Gesundheit und Migration).
Festung Europa
Seit 2015 seien mehr als 16.000 Menschen im Mittelmeer gestorben. Durch logistische Schwierigkeiten würden die Rettungseinsätze auf dem Mittelmeer nun größtenteils abgebrochen, schrieben die WHO-Autoren.
Die, die es nach Europa schaffen, würden zur „Quarantäne“ in die genannten Aufnahmelager gebracht. Dort leben Menschen aus verschiedenen Ländern, in denen teilweise COVID-19 nach offiziellen Angaben noch nicht ausgebrochen ist. Sie fliehen also in europäische Staaten, in denen die Fallzahlen aktuell viel schneller ansteigen, als in ihrer Heimat, schreibt die WHO.
Auch sei der zunehmende Trend zu beobachten, dass viele anerkannte Geflüchtete in Europa obdachlos leben müssten. Diese vulnerable Population hätte oft nicht die Möglichkeiten, den allgemeinen Schutz- und Hygieneempfehlungen zu folgen. So könne es keinen öffentlichen Gesundheitsschutz geben, ohne den Schutz von Flüchtlingen, erklärte die WHO.
Auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen forderte heute von der EU Geflüchtete angesichts einer hohen Ansteckungsgefahr mit Corona aus überfüllen Lagern in Griechenland zu holen. „Wir verstehen nicht, warum dies so lange dauert, während gleichzeitig die COVID-19-Pandemie eine potenziell tödliche Bedrohung für die auf den Inseln festsitzenden geflüchteten Menschen darstellt“, sagte der Deutschland-Chef, Florian Westphal, in Berlin.
Die Umsiedlung von 1.600 schutzbedürftigen Personen in andere EU-Staaten, auf die sich sieben Mitgliedstaaten Anfang März geeinigt hatten, müsse rasch umgesetzt werden. Deutschland will den Angaben zufolge Kinder mit komplexen chronischen Krankheiten aufnehmen, die zur COVID-19-Risikogruppe gehören.
Einen Ausbruch von COVID-19 in den Lagern einzudämmen wäre unmöglich, so die Hilfsorganisation. In einigen Teilen des Lagers Moria auf Lesbos müssten sich 1.300 Menschen den Zugang zu Wasser an einem Hahn teilen. Zudem gebe es dort keine Seife. Familien müssten zu fünft oder sechst auf drei Quadratmetern schlafen. Angesichts der Beschränkungen bei Personal, Ausrüstung und verfügbarem Platz sei eine Eindämmung des Virus unrealistisch.
Vorgestern wurde erstmals in Griechenland in einem Flüchtlingslager eine Infektion mit SARS-CoV-2 diagnostiziert. Betroffen ist eine Frau, bei der das Virus nach der Geburt ihres Kindes in einem Krankenhaus in Athen festgestellt wurde, wie das griechische Migrationsministerium mitteilte. Die Menschen, die mit der aus Afrika stammenden Frau in Kontakt gekommen sind, seien isoliert worden.
Ähnliche Maßnahmen seien im Camp von Ritsona im Norden Athens getroffen worden. Es werde nun nachgeforscht, wo genau die Frau infiziert wurde. Im Lager von Ritsona – wo nach Schätzungen der Athener Medien rund 3.000 Menschen leben – ist die Lage bei weitem nicht so schlimm wie in den Camps auf den Inseln im Osten der Ägäis.
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