Widerspruchslösung im Bundestag umstritten

Berlin – Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages haben mit ihrer inhaltlichen Arbeit an einer möglichen Neuregelung der Organspende begonnen. In einer ersten Debatte, die zum Meinungsaustausch jenseits der Parteigrenzen und zur Orientierung dienen sollte, verteidigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seinen Vorschlag für eine Widerspruchslösung.
Er begründete dies mit den anhaltend niedrigen Spendenzahlen. Außerdem sieht er mit dem Anstoßen der Debatte bereits erste Anhaltspunkte, dass sich die Spendenbereitschaft in Deutschland erhöht. Der Minister betonte auch, dass er für sich in den vergangenen Jahren ein neues Bewusstsein für das Thema entwickelt haben.
Viele Abgeordnete lehnten in ihren jeweils vierminütigen Redebeiträgen allerdings die von Spahn geforderte Umkehr des bisherigen Systems ab, da sie im Widerspruch zum Selbstbestimmungsrecht der Bürger stehe. Sie sprachen sich dafür aus, die derzeit gültige Zustimmungsregelung verbindlicher zu gestalten. Weitgehend einig waren sich alle Redner, dass Handlungsbedarf besteht.
Umkehr der Regel
Nach Spahns Vorschlag soll jeder Mensch potenzieller Organspender sein, außer er hat dem zu Lebzeiten widersprochen. Auch Angehörige können dies unter Berufung auf den Willen des Verstorbenen ablehnen. Dies wäre eine Umkehrung der bisher geltenden Regel: Derzeit ist in Deutschland nur derjenige Spender, der zu Lebzeiten persönlich zugestimmt hat. Liegt keine schriftliche Bekundung vor, dürfen auch die Angehörigen im Sinne des Spenders entscheiden.
Spahn verwies auf die mehr als 10.000 Menschen, die auf ein Spenderorgan warteten. SPD Fraktionsvize Karl Lauterbach betonte, dass die Widerspruchslösung neben einer besseren Organisation nötig sei, „um das Optimum“ zu erreichen. Abgeordnete wie die Herzchirurgin Claudia Schmidtke (CDU) plädierte ebenfalls für einen Systemwechsel.
Bei der ausgesprochen ernsthaft geführten Debatte um die ethisch brisante Frage ging es zunächst nur um den Austausch von Argumenten und Lösungsvorschlägen, nicht um konkrete Anträge. Jedem der 36 Redner standen vier Minuten Redezeit zur Verfügung. In allen Fraktionen gibt es unterschiedliche Meinungen.
Nach Ansicht der FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus würde eine Widerspruchslösung das „Selbstbestimmungsrecht des Bürgers missachten“. Sie sprach sich für eine verbindliche Entscheidung jedes Bürgers etwa bei der Ausstellung von Ausweisen oder Führerschein aus.
Diesem Vorschlag folgten etwa auch die Fraktionschefin der Linken, Kaja Kipping und die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock. Sie arbeiten nach eigenen Angaben gemeinsam mit anderen Abgeordneten an einem Gesetzesvorschlag, der eine verbindliche Entscheidung der Bürger fordert - die aber auch ein Offenlassen bedeuten kann. Die Entscheidung solle in einem zentralen Melderegister hinterlegt werden. Axel Gehrke (AfD) sagte, eine Widerspruchlösung werde immer Misstrauen hervorrufen, weil Begehrlichkeiten Dritter im Spiel sein könnten.
Einige Abgeordnete berichteten in der Debatte von ihren Erfahrungen aus der Reise des Gesundheitsausschusses nach Spanien. Dort gilt seit Jahren die Widerspruchslösung, die Spenderzahlen sind hoch. „Es gibt dort rechtlich die Widerspruchslösung, aber eine Entscheidungslösung wird praktiziert“, sagte die Grüne Bundestagsabgeordnete Kirsten Kappert-Gonther. „Der Schlüssel ist die Organisation in Spanien. Ein Dreiklang von Struktur, Ausbildung und Freiwilligkeit der Spende muss auch in Deutschland her.“
Gruppenanträge erwartet
Auch der frühere Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) warnte in der Debatte, die Situation in anderen EU-Ländern zu sehr mit der in Deutschland zu vergleichen. „Viele andere Länder haben andere Hirntotbestimmungen als, die, die wir von der Bundesärztekammer übernommen haben“, so Gröhe.
Es sei gut gewesen, das Thema in den aktuellen Koalitionsvertrag aufzunehmen. Gröhe hatte damals als Verantwortlicher für die CDU den Vertrag im Bereich Gesundheitspolitik maßgeblich verhandelt. Er warb dafür, dass die Spende freiwillig bleibt und das das Selbstbestimmungsrecht auch dann nicht verloren gehen darf, wenn man sich zu keiner Entscheidung durchringen könnte.
Nach diesem ersten Meinungsaustausch der Bundestagsabgeordneten, werden sich nun sehr wahrscheinlich mehrere Abgeordnete fraktionsübergreifend auf unterschiedliche Gruppenanträge verständigen. Eine Debatte über ein mögliches neues Gesetz könnte dann im Frühjahr 2019 stattfinden.
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