Wie COVID-19-Patienten rechtzeitig und richtig zu beatmen sind

Berlin – Die Beatmungstherapie von Patienten mit einer COVID-19-Pneumonie ist aktuell in der Diskussion. Dabei geht es um die Frage, ob SARS-CoV-2-Infizierte mit Dyspnoe womöglich zu früh oder zu häufig invasiv intubiert und maschinell beatmet werden und ob sie nicht viel eher von weniger invasiven Beatmungstechniken profitierten.
Pneumologen hierzulande – allen voran Thomas Voshaar vom Krankenhaus Bethanien in Moers – kritisieren schon länger die Beatmungspraxis der COVID-19-Patienten. So wurden in der jüngsten Zeit bis in die Regionalmedien hinein in Schlagzeilen die „Gefahr durch das Beatmungsgerät“ beschworen und Thesen befördert, die der invasiven Beatmung von COVID-19-Patienten so „bestürzend schlechte“ Erfolgsquoten attestierten.
Die heutige online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und das dort erstmals vorgestellte „Positionspapier zur praktischen Umsetzung der apparativen Differenzialtherapie der akuten, respiratorischen Insuffizienz bei COVID-19“ konnte einige der kursierenden Kritikerthesen zurechtrücken.
„Die Beatmung ist nicht die Ursache des Sterbens“, stellte Michael Pfeifer, DGP-Präsident und Medizinischer Direktor der Klinik Donaustauf, im Verlauf der Konferenz unmissverständlich klar. Aber nicht nur, um die „gewisse Unruhe in der Öffentlichkeit“ aufgrund unkritischer, im Internet kursierender Einzelmeinungen zu korrigieren, vor allem auch, um den praktisch tätigen Kollegen – soweit wissenschaftlich fundiert möglich – Empfehlungen für eine differenzierte Beatmungstherapie an die Hand zu geben, wird dieses Positionspapier als wichtig erachtet.
Es umfasst 5 Themenschwerpunkte und zu diesen jeweils mehrere knapp zusammengefasste Kernaussagen und Feststellungen. Diese beinhalten
Pathophysiologie der akuten respiratorischen Insuffizienz bei COVID-19
Zeitlicher Verlauf und die Prognose
Insufflation und Beatmungstechniken unter besonderer Berücksichtigung der Problematik der Aerosolbildung
Nicht-invasive Beatmung bei der akuten respiratorischen Insuffizienz und
Versorgungskontinuum / Indikationen für die Aufnahme auf Intensiv
Drei entscheidende Phasen im Verlauf
In einer Verlaufsgrafik markiert das Papier drei Phasen. Hiernach folgt der frühen viralen Abwehrphase nach der Infektion die der pulmonalen Erkrankung. Diese ist die für das Papier entscheidende zweite Phase.
„Wir sehen in sehr vielen Fällen, dass sich diese zweite, pulmonale Phase etwa vom Tag acht bis zwölf abspielt“, erläuterte Torsten Bauer, DGP-Vizepräsident und Chefarzt der Klinik für Pneumologie der Lungenklinik Heckeshorn in Berlin. Zugrunde gelegt als Beginn ist das wichtige und häufige Symptom Fieber.
„Es ist also nicht so, dass der Patient am zweiten Tag nach Auftreten von Fieber bereits beatmungspflichtig würde“, hob Bauer hervor. Überhaupt sei man in Deutschland in der sehr glücklichen Lage gewesen, dass viele Patienten früh aufgenommen und längere Zeit stationär beobachtet werden konnten. Dies sei beispielsweise in Italien völlig anders gewesen, wo gerade das Chaos in den überlasteten Notaufnahmen auch davon geprägt worden sei, dass etliche Patienten sich schon in weit fortgeschrittenen Stadien der Lungenschädigung und Dyspnoe befanden.
Sicher sei, dass ein Patient mit dem Symptom Dyspnoe, der im Röntgenbild – eventuell bei Unklarheiten durch eine Computertomografie bestätigt – einschlägige Infiltrationen aufweise, in die Klinik gehöre, sagte Pfeifer.
Das weitere Vorgehen hänge von der Schwere des individuellen Krankheitsbildes ab, so der Pneumologe. Intubiert werde sicher nicht „allein aufgrund schlechter Blutgase“. Im zweiten Unterpunkt des Positionspapiers sind die klinischen (qSOFA-Score) sowie die laborchemischen Parameter aufgelistet, um den Verlauf der respiratorischen Insuffizienz und eines drohenden Organversagens besser einschätzen zu können.
Plötzliche Verschlechterungen binnen Stunden sind typisch
Zudem handelt das Papier detailliert und aufgrund der jüngsten verfügbaren Literatur die unterschiedlichen Beatmungstechniken ab. Diese reichen von der reinen Sauerstoffgabe mit Maske über die Applikation von Sauerstoff mit höherem Fluss (High-Flow-Verfahren), andere nicht-invasive Beatmungstechniken wie CPAP (continuous positive airway pressure) und schließlich Intubation bis hin zu ECMO (extrakorporale Membranoxygenierung).
Um über diese stufenweise Eskalation richtig entscheiden zu können, hält das Positionspapier ein Flussdiagramm bereit, bei dessen Umsetzung die Experten insbesondere die stetige Überprüfung des jeweiligen Behandlungserfolges ans Herz legen. Ein engmaschiges Monitoring sei entscheidend, betonte Pfeifer. Eine der Besonderheiten der COVID-19-Lungenaffektion bestünde darin, dass sich die Patienten „mitunter völlig überraschend innerhalb von Stunden“ verschlechterten.
Vorbeugen wollten sie nicht zuletzt dem Eindruck, dass eine invasive Beatmung per se nachteilig sei. Intubiert würde eben dann, wenn die nicht-invasiven Maßnahmen offensichtlich nicht ausreichten, um die Atemnot, die unzureichende Sauerstoffsättigung und die Verschlechterung der Vitalparameter in den Griff zu bekommen. Denn wenn man zu spät damit beginne, müsse man mit einer höheren Sterblichkeit rechnen.
Ganz eindeutig sei für andere Lungenaffektionen nachgewiesen, dass diese intensive Form der Beatmung Leben rette. Pfeifer berichtete von einem 54 Jahre alten Patienten, der erst kürzlich von der Intensivstation sogar nach ECMO-Beatmung entlassen werden konnte und dies ohne eine solche eingreifende Maßnahme nicht überstanden hätte.
Da die Debatte um die Anwendung der nicht-invasiven Beatmungstechniken nicht zuletzt von Befürchtungen um die Sicherheit des Personals geprägt war, geht das Positionspapier auch hierauf explizit ein: So heißt es in der Feststellung 3.4: „Die Sauerstoffgabe über Maske oder Nasensonden führt zu keiner vermehrten Aerosolbildung. Verschiedene Sauerstoffsysteme (Nasensonden, Sauerstoff-Masken und Venturi-Masken) können die Luft bei der Expiration unterschiedlich ablenken, nur bei Nasensonden mit hohen Sauerstoff-Flüssen ist die bei der Ausatmung gebildete Aerosolwolke in ihrer Reichweite größer als unter Spontanatmung.“
Die Experten gaben nicht zuletzt in Punkto Mitarbeiter-Schutzausrüstung ausdrücklich Entwarnung: Mittlerweile stünden für das Personal zum Beispiel auch die wichtigen FFP2-Masken (deren Schutzwirkung über die vom normalen Mundschutz hinausgeht) wieder ausreichend zur Verfügung, erläuterte Bauer. Er erinnerte daran, dass man auf pneumologischen Stationen von jeher gewohnt sei, sich vor problematischen Erregern zu schützen, etwa vor Tuberkulose.
Von daher sei man in dieser Fachdisziplin durch die erforderlichen Schutzmaßnahmen „nicht schwer hinter dem Ofen hervorgelockt worden“. Lediglich die lokalen Engpässe hätten zum Teil für Verwirrung und eine Vielzahl unterschiedlicher Empfehlungen geführt.
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