Ärzteschaft

„Wie die Vorgaben konkret in die Praxis umgesetzt werden können, ist alles andere als geklärt“

  • Dienstag, 27. Juni 2023

Berlin – Die Medizinischen Fakultäten begrüßen, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) vor einigen Wochen einen neuen Entwurf für die geplante Reform der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO) an die Länder geschickt hat und dass damit der 2017 begonnene Reformprozess des Medizinstudiums wieder in Bewegung kommt.

Darüber, wie es um die Umsetzbarkeit eines neuen Curriculums für die medizinischen Fakultäten bestellt ist und welche zusätzlichen Ressourcen und Handlungsspielräume nötig sind, sprach das Deutsche Ärzteblatt mit Präsidenten des Medizinischen Fakultätentages, Matthias Frosch.

MFT-Präsident Matthias Frosch /MFT/Sablotny.
MFT-Präsident Matthias Frosch /MFT/Sablotny.

5 Fragen an Matthias Frosch, Präsident des Medizinischen Fakultä­tentages (MFT)

Herr Professor Frosch, wird der neue Vorschlag für die geplante Re­form der ÄApprO die Qualität der Lehre in der Medizin verbessern?
Es ist wichtig, dass es einen neuen Vorschlag gibt und dass der Pro­zess wieder in Bewegung kommt. Die Diskussionen um die Reform des Medizinstudiums reichen ja schon weit in die Vergangenheit. 2013, also vor genau zehn Jahren, hat der Medizinische Fakultätentag die ersten Einlassungen dazu im Koalitionsvertrag kommentiert.

Vier Jahre später wurde der „Masterplan Medizinstudium 2020“ verabschiedet – mit dem Zieldatum 2020. Das ist nun drei Jahre her. Als neues Zieldatum wurde zuletzt Oktober 2027 festgelegt. Wir müssen nun aufpassen, dass aus dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ nicht der „Masterplan Medizinstudium 2030 plus x“ wird.

Der als „Zwischenstand“ bezeichnete Referentenentwurf, den das BMG Anfang Mai an die Länder geschickt hat, beinhaltet alle wesentlichen Ziele, die im Masterplan formuliert wurden: stärkere Kompetenzorien­tierung, ein noch größerer Praxisbezug, die frühe Verschränkung von Theorie und Praxis, die Stärkung der Allgemeinmedizin sowie die Stärkung der Wissenschaftlichkeit.

Diese Ziele sind richtig und notwendig. Wenn die Vorgaben umgesetzt werden, wird zum einen die Lehre besser an die Herausforderungen eines zukünftigen Gesundheitswesens angepasst. Zum anderen wird es die Qualität der Lehre in der Medizin verbessern.

Aber: wie die Vorgaben konkret in die Praxis umgesetzt werden können, ist alles andere als geklärt. Es sind die medizinischen Fakultäten, die die Reform am Ende implementieren müssen. Und diese Implementierung bedeutet einen großen Kraftakt, der ohne zusätzliche Ressourcen nicht zu stemmen sein wird.

Wie bewerten Sie die Mehrkostenkalkulation des BMG?
In der Mehrkostenkalkulation werden Annahmen gemacht, die nicht der Realität entsprechen. Das Reformvor­haben wurde in den vergangenen Jahren immer stärker „klein gerechnet“. Man muss hier eine grundlegende Entscheidung treffen: Möchte man das Medizinstudium in Deutschland wirklich reformieren, dann muss man auch bereit sein, die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

Die große Unbekannte in der Kalkulation sind die Kosten für die Lehre in der Allgemeinmedizin und in den allgemeinmedizinischen Praxen. Mit 30 Euro pro Ausbildungstag sind diese Kosten nicht realistisch abgebil­det.

Und die erheblichen Zweifel, ob eine Selbstverpflichtung des Hausärzteverbands ausreicht, um die notwendi­gen Ausbildungsplätze sicher zu stellen, können in dem überarbeiteten Referentenentwurf nicht ausgeräumt werden, erst recht nicht unter diesen finanziellen Rahmenbedingungen.

Können denn die Fakultäten ausreichend Lehrpraxen zur Verfügung stellen?
Die Allgemeinmedizin ist schon heute sehr gut im Studium vertreten und wird im Rahmen der Weiterentwick­lung deutlich mehr zeitlichen und inhaltlichen Raum einnehmen. Ich bin allerdings skeptisch, ob die vielen zusätzlichen und verpflichtenden Lehrveranstaltungen, die der neue Entwurf vorsieht, am Ende die Allge­mein­medizin bei den Studierenden über das heutige Maß hinaus populär machen werden, so wie sich das die Berufsverbände wünschen.

Als Medizinischer Fakultätentag gehen wir davon aus, dass an vielen Standorten die vorgesehene Rekrutie­rung von Lehrpraxen auf Schwierigkeiten stoßen wird. Nicht nur, dass die Zahl der Praxen insgesamt um ein Vielfaches erhöht werden muss. Es steigen auch die Anforderungen an dieselben.

So müssen die Lehrpraxen im Sinne eines longitudinal angelegten Curriculums inhaltlich und zeitlich deut­lich enger eingebunden werden als dies bislang beispielsweise in der verpflichtenden Famulatur der Fall war. Zudem sind die strukturellen und qualitativen Vorgaben, die die Lehrpraxen gemäß ÄApprO zukünftig erfüllen müssen (zeitweise eigenes Untersuchungszimmer, Zugang zu eigenem IT-Arbeitsplatz), gestiegen.

Die Verantwortung für die Rekrutierung der Praxen, deren Qualitätssicherung und die Gewährleistung, dass sie auch alle nötigen Infrastrukturen vorhalten, bleibt am Ende bei den Universitäten. Es bedarf kompensato­rischer Lösungen, um den Studierenden einen erfolgreichen Studienabschluss innerhalb der vorgesehenen Regelstudienzeit zu ermöglichen.

So müssen wir bei Bedarf noch stärker als vorgesehen in die Hochschulambulanzen ausweichen können. Auch sollten wir die ÄApprO bezüglich der ambulanten Ausbildungsorte offen gestalten, da wir im Zuge der drin­gend erforderlichen Krankenhausreform noch erwarten, dass sich neue ambulante Versorgungsformen bilden werden.

Auch neue NKLM-Inhalte sollen Einzug in die Lehre an den Fakultäten halten – wie erfolgt der Abgleich mit dem Gegenstandskatalog beziehungsweise mit den Examina?
Wie die Medizin, so muss sich auch das Medizinstudium kontinuierlich weiterentwickeln. Dabei muss man verschiedene Zeitskalen im Blick behalten. Um sehr schnell auf neue Themen in der Lehre reagieren zu können, wie es jüngst etwa bei COVID-19 der Fall war, braucht es die Lehrfreiheit und den Spielraum für Lehrende und Fakultäten, schnell aktuelle Themen aufzugreifen.

Entscheidend ist auch hier, dass Lehr- und Prüfungsinhalte eng abgestimmt werden und die Anpassung der Lehrinhalte des NKLM regelmäßig mit den in den Gegenstandskatalogen formulierten Prüfungsinhalten erfolgt.

Über den NKLM und den GK können neue Inhalte mittelfristig dann auch flächendeckend in das Studium aufgenommen werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass das Studium über sechs Jahre dauert und daher gewisse Latenzen unvermeidbar sind.

Bei der letzten Überarbeitung von NKLM und GK haben IMPP und MFT bereits eng zusammengearbeitet – und auch weiterhin stehen wir in regelmäßigem Austausch. Wenn die Struktur des Staatsexamens und die zeitlichen Planungen zur Verabschiedung der neuen ÄApprO feststehen, können wir auch die Gremien­zusammenarbeit und -fristen in der Kooperation konkreter festlegen.

Perspektivisch sollten Politik und Stakeholder vermeiden, in der Novellierung der ÄApprO mit ihrem Turnus von rund 25 Jahren sehr kleinteilige inhaltliche Festlegungen in den Anlagen zu formulieren oder immer neue „Fächer“ zu schaffen.

Halten Sie überhaupt die jetzt geplante Verzahnung der Fächer ab Studienbeginn für zielführend?
Die Verzahnung der Fächer ist eines der Kernelemente des „Masterplans Medizinstudium 2020“, an dem zu Recht bis heute festgehalten wird. Schon der Wissenschaftsrat hat in seiner Analyse der Modellstudiengänge gezeigt, dass die frühe Verzahnung zielführend sein kann.

Wie die Modellstudiengänge allerdings auch gezeigt haben, ist die Zwischenprüfung in Form eines deutsch­landweit einheitlichen Staatsexamens wie beim jetzigen M1 eine erhebliche Herausforderung. Dies zukünftig über sehr kleinteilige Portionierungen und Prozentzahlen für verschiedene Studienphasen zu regeln, ist aus meiner Sicht langfristig der falsche Weg.

So wie in anderen Ländern auch sollte in Zukunft ein Staatsexamen erst am Ende des Studiums deutschland­weit einheitlich die ärztliche Qualifikation zur Absicherung der Patientensicherheit prüfen. Der Weg dahin sollte aber wieder stärker in die Verantwortlichkeit der Fakultäten für Studium und Prüfung gelegt werden.

Aber das ist vielleicht ein Thema für eine zukünftige Weiterentwicklung der ÄApprO. Jetzt sollte erst einmal zügig zu den aktuellen Entwürfen und deren Finanzierung zwischen Bund und Ländern eine klärende Entscheidung herbeigeführt werden.

ER

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