Politik

„Wir müssen mit dem hohen Dokumentations­aufwand leben“

  • Donnerstag, 11. Mai 2017

Trier – Ärzte sind in Krankenhäusern alltäglich einem vermehrten wirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Der nimmt immer weiter zu. Grund ist nicht zuletzt das DRG-System, das ent­sprechende Anreize setzt. Leistungs­aus­weitungen sowie Einsparungen bei den Perso­nal­kosten werden belohnt. Hans-Peter Busch, früherer Chefarzt und Ärztlicher Direktor am Krankenhaus der Barmherzi­gen Brüder Trier, erklärt, weshalb gute Medizin alleine nicht ausreicht und welche Auswirkun­gen das DRG-System auf Chefärzte hat.

Hans-Peter Busch /privat
Hans-Peter Busch

Fünf Fragen an Hans-Peter Busch, Chefarzt und Ärzt­li­cher Direkter a.D.

DÄ: Wie wirkt sich das DRG-System Ihrer Erfahrung nach auf den Arbeitsalltag von Ärztinnen und Ärzte aus?
Hans-Peter Busch: Ein Nachteil des DRG-Systems ist, dass das Kodieren durch ärzt­liche und nichtärztliche Mit­arbeiter eine Menge Zeit benötigt. Kodierung ist alles an­de­re als trivial. Von der korrekten Kodierung können die Existenz eines Krankenhauses und damit der eigene Ar­beitsplatz abhängen. Das Kodieren kommt bei Medizinern zum Routine­betrieb noch hinzu. Und der sieht oft so aus: Fast jeden Augenblick will jemand etwas vom Arzt: die Qualitätsabteilung, die Zertifizie­rung, der MDK, Kollegen, die Abrech­nungsstelle, das medizinische Controlling et cetera. Der Arzt telefoniert ständig. Das reißt ihn auch aus seiner Konzentration auf die Arbeit am Patienten heraus.

Dazu kommt die Fluktuation der Ärzte im Alltag. Einer der Ärzte ist in der Regel immer im Urlaub, krank, auf Kongressen oder muss wegen eines kranken Kindes zu Hause bleiben – alles individuell berechtigte Gründe. Aber an jedem zweiten Tag sieht der Patient des­halb einen neuen Arzt und muss seine Geschichte noch einmal erklären. Hier gibt es beim Management noch Möglichkeiten der Verbesserung der Servicequalität. Eine Idee wäre ein fachübergreifender ärztlicher Lotse, der den Patienten im Kranken­haus durch­gehend verantwortlich begleitet. Ein Dirigent kann auch nicht jedes Instru­ment spielen, sorgt aber für ein optimales Zusammenspiel. Doch dies erscheint bei den vorhandenen Inseln, Besitzständen und Denkweisen in absehbarer Zeit weiterhin uto­pisch.

DÄ: Wie könnte man das System ändern, um Ärzte zu entlasten?
Busch: Mediziner müssen entsprechend ihrer Kernkompetenz von bürokratischen Arbei­ten weitgehend entlastet werden. Der Aufwand für die Dokumentation lässt sich aus Gründen, der Qualitätssicherung und zur Vermeidung nicht korrekter (gerechter) Erlös­zuweisungen, aber auch aus juristischen Gründen wahrscheinlich nicht wesentlich ver­mindern. Im Streitfall wird jeder Richter eine lückenlose Dokumentation fordern. Außer­dem sollen die Leistungen gerecht bezahlt werden. Auch dafür brauchen wir die lücken­lose Dokumentation. Wir müssen also mit dem hohen Dokumentationsaufwand leben, können ihn aber hoffentlich besser organisieren.  

DÄ: Sie haben 23 Jahre als Chefarzt am Zentrum für Radiologie, Neuroradiologie, Sono­graphie und Nuklearmedizin im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Trier gear­beitet. Welche Auswirkungen hat das DRG-System auf Chefärzte?
Busch: Der Druck auf die Chefärzte hat sich durch das DRG-System erhöht. Die Ge­schäftsleitung steht unter erheblichem Druck, schwarze Zahlen schreiben zu müssen. Sie gibt diesen Druck an die Chefärzte weiter. Und die sind zu einem extremen Spagat zwi­schen ihren Managementaufgaben und der eigenen Leistungserbringung gezwun­gen. Chefärzte sollen möglichst viele Privatpatienten und schwierigste Fälle persönlich behan­deln, sie sollen den ganzen Tag im OP stehen und den Betrieb noch leiten.

Management ist aber keine Feierabendaufgabe nach einem anstrengenden Tag in der Patientenversorgung. Daran zerbrechen manche Chefärzte. Sie bräuchten mehr Zeit, um ein professionelles Management zu garantieren. Sie müssten einen Teil ihrer Zeit für das Management definitiv freigestellt und bei guter Managementleistung dafür auch entsprechend bezahlt werden. Und wenn ein Chefarzt vor der Wahl steht, drei Privat­patienten zu behandeln oder ein gutes Personalmanagement in dieser Zeit aufzubauen, wird er sich aus monetären Gründen für die Privatpatienten entscheiden. Das ist doch nachvollziehbar.

DÄ: Sollte das System nicht so gestaltet sein, dass Ärzte sich allein auf die medizini­schen Aspekte konzentrieren können und sich nicht um die Ökonomie zu kümmern brauchen?
Busch: Ich habe gelernt, dass zum Erfolg eines Krankenhauses gute Medizin eine notwendige Voraussetzung ist, alleine aber nicht ausreicht. Als existenzielle Bedingung muss sie auch wirtschaftlich erbracht werden, das heißt, die Erlöse müssen höher als die Kosten sein. Leistungen, die medizinisch hochwertig sind und dem Patienten nutzen, die Kosten aber nicht mindestens refinanzieren, führen ein Krankenhaus in den Ruin. Den Spagat von Medizin und Ökonomie haben viele Ärzte allerdings nicht beziehungs­weise noch nicht erfolgreich im Blick.  

DÄ: Viele Krankenhäuser schreiben in diesem DRG-System rote Zahlen. Was müssten sie Ihrer Ansicht nach verändern, um wieder schwarze Zahlen zu schreiben?
Busch: Die Krankenhäuser stehen vor der Aufgabe, den internen Gesamtprozess stärker in den Blick zu nehmen und zu optimieren, abteilungsübergreifend von der Aufnahme bis zur Entlassung. Dafür sind sie bisher in der Struktur der weitgehend autonomen Fachinseln nur begrenzt gut aufgestellt. Die Wirtschaftlichkeitsreserven in diesem Gesamtprozess liegen am Übergang zwischen den Abteilungen.

Interne Warte­zeiten verursachen beim Patienten Unzufriedenheit, im ökonomischen System aber auch Kosten ohne Refinanzierung. Auf diese neue Herausforderung müssen sich Krankenhäuser durch veränderte Strukturen und Prozesse, aber auch eine neue Denkweise der Mitarbeiter einstellen. Es muss eine medizinische und ökono­mische Gesamtverantwortung organisiert werden. Doch wer soll diese Verantwortung über­nehmen? Eine Möglichkeit wäre der hauptamtliche Ärztliche Direktor mit einer neuen organisatorischen und personellen Infrastruktur.

fos

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