Wissenschaftsrat überdenkt neue Ansätze für die Prävention

Berlin – Die gesundheitliche Prävention ist ein Zukunftsthema und eine Herausforderung, der in den nächsten Jahren über Fachgrenzen hinweg mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Zu diesem Fazit kamen Expertinnen und Experten, die sich gestern auf Einladung des Wissenschaftsrates in Berlin zum Symposium „Prävention neu denken“ zusammengefunden hatten. „Es mangelt nicht an Wissen, sondern an Umsetzung“, analysierte Wolfang Wick, Vorsitzender des Wissenschaftsrates, die derzeitige Situation auf dem Gebiet der Prävention.
Um voranzukommen sei neues, vor allem fachübergreifendes Denken, vernetztes Agieren sowie eine gute Kommunikation zentral. Herausforderungen für die Zukunft sieht Wick auch in einer besseren Nutzung bestehender Förderinstrumente, der Förderung von Forschung dazu, mehr Fortbildung zum Thema Prävention sowie bei frühzeitigeren Ansätzen.
Große Defizite in der Prävention
Deutschland hänge bei der Vorbeugemedizin anderen Ländern deutlich hinterher, betonte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Seit 40 Jahren sei kein Erfolg bei präventiven Maßnahmen zu sehen. „Das ist nicht akzeptabel“, sagte er auf dem Symposium. Dabei verwies Lauterbach auf das große gesundheitliche Potenzial: 80 bis 90 Prozent der ischämischen Herzkrankheiten seien durch präventive Maßnahmen vermeidbar; bei Krebs liege die Rate zwischen 40 und 60 Prozent; bei Demenz um 20 Prozent. „Wir haben bei der Prävention große Defizite“, so Lauterbach.
Sicher müsse man die Möglichkeiten der Früherkennung nutzen, aber Primärprävention bringe mehr ist der Minister überzeugt. Dieses Potenzial müsse gehoben werden, sonst werde man in einigen Jahren allein durch die demografische Entwicklung noch eine weitere Verstärkung der gesundheitlichen Probleme in der Bevölkerung bekommen. „Wir haben viele Aufgaben und werden sie systematisch angehen“, versprach er. Die Königsdisziplin seien dabei Gesetze.
Lauterbach verwies in diesem Zusammenhang auf Gesetzesvorhaben, die bereits in der Planung seien, wie die Digitalgesetze, das „Gesunde-Herz-Gesetz“, das man „in Kürze“ ausrollen wolle, sowie den Hitzeschutzplan. Zudem solle künftig das Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) die Vorbeugung von Krebs und Demenz sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen verstärken. „Es ist großartig, dass auch der Wissenschaftsrat das Thema Prävention jetzt aufgegriffen hat“, betonte Lauterbach. Er erwarte Anregungen und Vorschläge.
Strategien und Vernetzung erforderlich
Auch Michael Baumann, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), möchte das Thema Prävention stärker in den Fokus rücken. Einen Beitrag könne diesbezüglich das Nationale Krebspräventionszentrum leisten, sagte er. Der Spatenstich für das Gebäude erfolge bereits im nächsten Monat. „Zur Stärkung der Präventionsforschung und auch der Umsetzung von Prävention ist eine strategische Partnerschaft notwendig“, ist Baumann überzeugt. „Frustration kann nicht die richtige Antwort sein“, sagte er. „Wir brauchen Strategien, eine interdisziplinäre Vernetzung und ein neues Denken.“
Insbesondere müssten auch verhaltensbezogene und kulturelle Erkenntnisse mit einbezogen und genutzt werden, um Verhalten zu verstehen und dann auch zu beeinflussen, sagte Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation der Universität Erfurt. Man müsse sich die Frage stellen, welchen Einfluss psychologische, soziale, kulturelle sowie Umgebungsfaktoren auf die Entscheidungsfindung und das Verhalten des Einzelnen im Alltag hätten.
Dabei brauche es nicht unbedingt eine radikale Erneuerung von gesundheitsbezogenen Maßnahmen, sondern eine Stärkung der Ansätze. „Man muss von Menschen her planen“, meinte Betsch. „Dazu braucht es aber Strukturen.“ Gewonnene Daten müssten dann in gruppenspezifische Formate übersetzt werden, so die Psychologin. Notwendig sei zudem eine Evaluation der Effekte und gegebenenfalls eine Anpassung der Strategie.
Davon, dass Prävention eine effektive Methode ist, um Gesundheit zu verbessern, ist auch Jochen O. Mierau, Professor für Public Health Ökonomie der Universität Groningen, überzeugt. Nicht nur äußere Einflüsse bedrohten die Gesundheit der Menschen, sondern vor allen Dingen die Folgen von wirtschaftlichen Bedingungen, sagte er. Die Schattenseiten der wirtschaftlichen Entwicklung und der zunehmenden Industrialisierung bedrohten derzeit den Schutz von Mensch und Natur. „Die öffentliche Gesundheit leidet unter Geschäftsmodellen einiger Unternehmen.“ Maßnahmen, wie eine Zuckersteuer oder Verbote von Werbung für Alkohol oder Zigaretten, würden zur Herausforderung.
Auch aus Sicht der Helmholtz-Zentren sei die Prävention ein Zukunftsthema, betonte Otmar D. Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren. „Wir versuchen, Strukturen zu schaffen, die dieses Thema aufgreifen“, betonte er. Dabei könne man nur interdisziplinär erfolgreich sein, ist er überzeugt. „Die Zeit ist reif für eine nationale Initiative.“ Gelänge diese, könne man auch international zu den Pionieren gehören, die die Prävention tatsächlich effektiv umsetzen.
Prävention immer besser als eine Therapie
Alena Buyx, ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, verwies auf ethische Probleme. Grundsätzlich bestehe kein ethischer Dissens – Prävention sei immer besser als eine Therapie. „Trotzdem klappt häufig die Umsetzung nicht“, sagte sie. Dies sei auch auf drei ethische Konflikte zurückzuführen. Erstens gelte es, die Vermeidung eines aktuellen Schadens gegenüber der Vermeidung eines künftigen Schadens abzuwägen. Dies sei in Zeiten knapper Kassen nicht trivial. „Diesen Verteilungskonflikt darf man da nicht klein reden“, sagte sie. Zweitens werde Prävention häufig in der Verantwortung des individuellen Menschen gesehen, und drittens stünde man der Abwägung gegenüber, wieviel die Gesellschaft von einem Individuum verlangen dürfe, ohne zu viel in die private Lebensführung einzugreifen.
Während des Symposiums zeigte sich, dass der Bedarf an Austausch groß ist. Das Symposium zur Prävention solle der Auftakt zu einer umfassenden Diskussion gewesen sein, betonte Wick. Fachgespräche mit weiteren Akteuren aus anderen Fachgebieten sollten noch folgen. Dass das Thema Prävention künftig umfassender gedacht werden müsste, konstatierte auch Michael Hallek als Mitglied des Wissenschaftsrates. „Wir müssen Prävention zentral denken, aber dezentral umsetzen“, sagte er. „Das Thema Prävention ist zwar in der Medizin induziert worden, ist aber nicht nur dort zu verorten“, betonte auch Wick. Der Wissenschaftsrat wolle sich noch mit weiteren Akteuren vernetzen und dann möglicherweise in einem Jahr ein erneutes Symposium veranstalten, bevor er erste Empfehlungen vorlege.
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