Zahl der Suizide erneut gestiegen

Kassel – Im vergangenen Jahr haben 10.304 Menschen in Deutschland Suizid begangen. Das waren 184 Fälle mehr als noch im Jahr zuvor. Es ist die höchste Anzahl seit 1995. Das teilte das Nationale Suizidpräventionsprogramm (Naspro) am Wochenende in Kassel mit. Die Zahl der Suizide war 2022 erstmals seit acht Jahren wieder auf mehr als 10.000 gestiegen. Dieser Anstieg setzt sich jetzt fort.
„Die Anzahl der Suizide ist jedoch nicht naturgegeben, sondern eine beeinflussbare Größe, die von vielen Einflüssen abhängt“, erklärte Barbara Schneider vom Suizidpräventionsprogramm. „Und ein Faktor ist die Art und Weise, wie der Suizid verstanden und wie über ihn gesprochen wird.“ Sie äußerte sich zum morgigen Welttag der Suizidprävention.
Auch Naspro-Leiter Reinhard Lindner betonte, „dass bei Suizidalität Hilfe möglich ist und ein Suizid vermeidbar. Dafür braucht es Wissen und aktive Initiativen und Veränderungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen.“ Es gehe darum, von einer Kultur des Schweigens und des mangelnden Verständnisses zu einer Kultur der Offenheit, des Mitgefühls und der Unterstützung überzugehen.
Einzelpersonen, gesellschaftliche Gruppen, Organisationen und Regierungen sollten offene und ehrliche Diskussionen über Suizid und suizidales Verhalten führen. Nötig seien etwa eine sektorübergreifende Politik, die der psychischen Gesundheit Vorrang einräume, den Zugang zur Versorgung verbessere und Unterstützung für die Bedürftigen bereitstelle. Zudem müsse in Forschung investiert werden, um die Komplexität von Suizid besser zu verstehen und Interventionen zu entwickeln.
Auch der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) forderte einen anderen Umgang mit dem Thema Suizid. Es müsse offener über Suizide, ihre Ursachen, Folgen und Vorbeugung gesprochen werden, forderte der Verbandsvorsitzende Winfried Hardinghaus. „Dadurch wären ein großer Teil der Suizide vermeidbar.“ Er verwies auf die stark gewachsenen Möglichkeiten von Palliativmedizin und Hospizen, bei schweren Erkrankungen Leiden zu mindern.
Ute Lewitzka, Expertin für Suizidprävention und -forschung, kritisierte, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) immer noch kein Gesetz zur Suizidprävention vorgelegt habe, obwohl das bis Ende Juni geschehen sollte. „Die grundlegende Erkenntnis der Suizidforschung, dass suizidale Menschen im Allgemeinen nicht sterben, sondern so nicht mehr leben wollen, muss Richtschnur werden im Umgang mit Menschen mit Verlangen nach assistiertem Suizid.“ Der Staat sei hier in der Pflicht, mehr zu tun.
Mit dem Antrag „Suizidprävention gesetzlich verankern und ausreichend finanzieren“ hatte bereits der 128. Deutsche Ärztetag 2024 die Bundesregierung aufgefordert, den Auftrag des Bundestages umzusetzen und einen Gesetzentwurf zur Suizidprävention vorzulegen.
„Suizidprävention ist ein Thema, mit dem sich jede Ärztin und jeder Arzt beschäftigen muss“, sagte heute Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin. Der Gedanke an einen frühzeitigen Tod sei immer Ausdruck einer Notlage. Ärztinnen und Ärzte seien gefordert, jede mögliche Unterstützung anzubieten.
Matthias Blöchle, Vizepräsident der Ärztekammer Berlin, betonte, angesichts der erschreckend hohen Zahlen seien „weitere Anstrengungen bei der Erforschung und Verhütung von Suiziden dringend erforderlich“. Karl Lauterbach habe bis Ende Juni einen Gesetzesentwurf zur Suizidprävention angekündigt gehabt. „Doch wir warten immer noch darauf. Dabei drängt die Zeit und jedes Leben zählt“, so Blöchle.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte eine bessere statistische Erfassung der Suizide. Der Verdacht liege nahe, dass der Anstieg der Suizide mit der Wiederzulassung von Sterbehilfevereinen und ihrer Aktivitäten zusammenhänge, sagte Vorstand Eugen Brysch.
Der Wunsch nach einem assistierten Suizid kann am Lebensende vielfach durch gute Pflege und qualifizierte Palliativversorgung verhindert werden, sagte der Verband der katholischen Altenhilfe in Deutschland (VKAD).
Der Fachverband mahnte eine gesetzliche Finanzierung der Palliativversorgung in Pflegeheimen an. Konkret wünscht sich der VKAD für Pflegeheime eine Finanzierung durch die Krankenversicherung, um die Betreuung in der Sterbephase individueller gestalten zu können.
Seit 2003 ist der 10. September ein Tag für die Vermittlung von Informationen über den Suizid und der Trauer um die Verstorbenen. Auch in Deutschland wird auf vielen Veranstaltungen in Städten und Gemeinden auf Unterstützung in suizidalen Krisen aufmerksam gemacht und an die durch Suizid Verstorbenen erinnert.
Wenn Sie Suizidgedanken haben oder bei einer anderen Person wahrnehmen: Kostenfreie Hilfe bieten in Deutschland der Notruf 112, die Telefonseelsorge 0800/1110111 und das Info-Telefon Depression 0800/3344 533. Weitere Infos und Adressen unter www.deutsche-depressionshilfe.de.
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