Zukunftskongress: Wo steuert das digitale Gesundheitswesen hin?

Berlin – Die Techniker Krankenkasse (TK) erprobt seit diesem Monat die Online-Sprechstunde per Videochat gemeinsam mit dem Lübecker Startup-Unternehmen Patientus und einer Gruppe von bundesweit ausgewählten niedergelassenen Dermatologen. Auch sonst setzt die TK verstärkt auf Online-Angebote wie etwa Apps für Chroniker und auf Telemedizin. „Digitalisierung wird den Versorgungsalltag dramatisch verändern“, schreibt die Krankenkasse in ihrem Geschäftsbericht 2014. In welche Richtung und mit welchen Chancen und Risiken, war Thema eines Zukunftskongresses, zu dem die TK gestern 30 Sprecher und 300 Gäste nach Berlin eingeladen hatte.
„Die Digitalisierung des Gesundheitswesens ist der größte Anwendungsbereich der digitalen Entwicklung in Deutschland überhaupt“, betonte Gastredner Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG). Das Thema betreffe die Bevölkerung insgesamt. Eine Klausurtagung der Bundesregierung zur digitalen Welt noch im September werde neben Themen wie Wirtschaft und Industrie 4.0 daher auch den Bereich Gesundheit diskutieren, kündigte Stroppe an.
Zu klären sei unter anderem die Frage, was mit den Gesundheitsdaten etwa aus Apps und Trackern geschehen solle. „Gehört mein Puls eigentlich noch mir?“, fragte Stroppe. „Wie geht es mit dem Datenschutz weiter? Wie mit der solidarischen Krankenversicherung? Was soll, was muss der Staat regeln? Wo muss er auch Dinge zulassen, um Entwicklungen Platz greifen zu lassen?“
Von Politik und Selbstverwaltung müsse gemeinsam geklärt werden, was von den neuen technischen Möglichkeiten in die Regelversorgung übernommen werden könne. Wichtig sei, dass der Staat hierfür eine sichere technologische Basis schaffe. „Dreh- und Angelpunkt für die Digitalisierung des Gesundheitswesens insgesamt ist die Telematikinfrastruktur, um darauf aufbauend andere Möglichkeiten zuzulassen und Zugänge zu ermöglichen“, betonte der Staatssekretär. Mit Blick auf das geplante E-Health-Gesetz stellte Stroppe klar, dass das BMG an den im Gesetzentwurf vorgegebenen Terminen für 2016 festhalten will. „Da werden wir weiter mit aller Macht dran arbeiten.“
Ebenso wichtig sei der Bereich der abrechnungsfähigen telemedizinischen Leistungen, denn Telemedizin ermögliche die Teilhabe am medizinischen Fortschritt und Zugang zu Expertenwissen unabhängig vom Wohnort. „Wir haben dem Gemeinsamen Bundesausschuss aufgegeben, bei der Festlegung von Zweitmeinungen auch telemedizinische Erbringung zu ermöglichen“, sagte Strobbe. Zudem sei im E-Health-Gesetz festgehalten, dass telemedizinische Leistungen mit Zuschlägen gefördert werden können. Auch seien zeitliche Vorgaben für die Abrechnungsmöglichkeit der Befundbeurteilung von Röntgenaufnahmen vorgesehen.
Kritik übte der Staatssekretär daran, dass Modellvorhaben nach Auslaufen der Förderung meist nicht in die normale Versorgung überführt werden. Mit Blick auf den Innovationsfonds, der auch für Telemedizin zur Verfügung stehen soll, stellte Stroppe klar, dass nur solche Innovationen angeschoben werden sollen, die eine Chance böten, sie anschließend in der Regelversorgung auch umzusetzen.
Im Hinblick auf Apps für den Gesundheitsbereich stellt sich aus Sicht des BMG die Frage, ob es sich um ein Medizinprodukt handelt oder nicht. Hier wird laut Stroppe künftig dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eine wichtige Beratungsaufgabe zukommen.
„Die Medizin der Zukunft wird digitaler als heute sein“, erklärte Thomas Ballast, Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der TK. Dabei sind ihm zufolge vor allem drei Trends zu beobachten:
Es werden noch mehr individuelle Daten verfügbar sein, die auf den Einzelnen ausgerichtete Diagnosen und Therapien ermöglichen. Über die Daten wird zudem mehr Qualitätsorientierung erreichbar sein, prognostizierte Ballast. Das Wissen über Krankheiten und die Spezialisierung der Fachgruppen werden zunehmen.
Die Arzt-Patienten-Beziehung wird sich verändern. Die ärztliche Sprechstunde, „das Nonplusultra des Analogen“ (Ballast), wird künftig zumindest teilweise ersetzt werden. Es wird mehr Kommunikation über das Netz und speziell mehr asynchrone Kommunikation zwischen Arzt und Patient geben.
Es werden neue Prozesse in der Zusammenarbeit zwischen Arzt und Therapeut entstehen, etwa als „Remote-Therapien“, in denen der Patient quasi ferngesteuert therapeutisch betreut wird. Dabei werden Systeme eingesetzt, die die Adhärenz des Patienten wesentlich steigern und ihn virtuell begleiten.
„Eigentlich eine schöne neue Welt“, meinte Ballast, aber natürlich müsse man sich mit der Problematik des Datenschutzes auseinandersetzen, denn die Daten dürften keinesfalls in falsche Hände geraten. Aufgabe sei es daher, einen Konsens herzustellen über den notwendigen Schutz einerseits und der mögliche Freiheit andererseits. „Wir sehen es als unsere Aufgabe bei der TK, das Gute zu unterstützen und voranzubringen, das Schlechte zu identifizieren und zu verhindern, Ängste zu nehmen und auf den Nutzen solcher digitalen Veränderungen hinzuweisen.
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