1.976 Obdachlose in Berlin gezählt

Berlin – In Berlin sind bei der bundesweit ersten systematischen Obdachlosenzählung 1.976 Menschen gezählt worden – deutlich weniger als bisher angenommen. Davon seien gut 800 Menschen auf Straßen angetroffen worden, teilte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) heute mit. Weitere 942 Menschen hielten sich demnach in den Einrichtungen der Kältehilfe auf.
Breitenbach sieht die nun ermittelte Zahl und weitere Erkenntnisse zur Situation der Menschen auf der Straße als erste Grundlage, um Hilfsangebote zu verbessern und neue Modellprojekte zu starten. „Die ganze Wahrheit kennen wir freilich nicht“, räumte sie ein. „Natürlich werden wir nicht jeden Obdachlosen angetroffen haben.“ Daher seien weitere Zählungen geplant.
Bisher existierten lediglich grobe Schätzungen zur Zahl der Obdachlosen in der Hauptstadt. Diese gingen von 6.000 bis 10.000 Menschen aus. Die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen kritisierte die Zählung. „Die Zahlen sind unrealistisch“, sagte eine Sprecherin. Sie gehe von weit mehr Obdachlosen in Berlin aus. Wichtiger als eine solche Aktion sei es, mehr Wohnraum für Menschen ohne Bleibe zu schaffen.
„Man kann auch mal neue Wege gehen, man kann auch scheitern“, sagte Breitenbach zu der Kritik. „Aber sich das Elend weiter anzusehen, dafür stehe ich nicht zur Verfügung.“ Sie wolle mehr dagegen tun, und dafür seien valide Daten nötig.
Bei der Zählung wurden unter anderem auch die obdachlosen Menschen in S- und U-Bahnen (158), in Rettungsstellen (15) und in Polizeigewahrsam (12) berücksichtigt. Etwa ein Drittel der Obdachlosen auf den Straßen habe den Zählteams über die eigene Lebenssituation Auskunft gegeben, hieß es weiter. 55 Prozent von ihnen seien zwischen 30 und 49 Jahre alt, 84 Prozent seien Männer.
Fast die Hälfte (47 Prozent) der Menschen hat bereits seit mehr als drei Jahren keine feste Wohnung mehr. Gut 40 Prozent leben allein auf der Straße. Eine ähnliche Größenordnung lebt mit einem oder mehreren Erwachsenen zusammen, zum Teil in einer Liebesbeziehung. Die anderen machten keine Angaben.
113 der 288 Befragten (39 Prozent) sind Deutsche, 140 EU-Ausländer, 31 kommen aus Drittstaaten, 4 machten keine Angaben. Eine Differenzierung der Ausländer nach Nationalitäten sei aus Gründen des Datenschutzes nicht möglich, hieß es. Bekannt ist aber schon länger, dass viele Ausländer auf der Straße aus früheren Ostblockstaaten wie Polen oder Rumänien kommen, die heute zur EU gehören.
Breitenbach kritisierte, dass diese oft kein Anrecht auf Sozialleistungen hätten. Hier sei der Bund in der Pflicht, Gesetze zu ändern. „Wir können nicht zusehen, wie diese Menschen auf der Straße zugrunde gehen“, so die Senatorin. „Sie müssen die gleichen Leistungen bekommen wie alle anderen auch.“
Rund 2.600 Freiwillige waren in der Nacht vom 29. auf den 30. Januar auf festgelegten Routen in der Hauptstadt unterwegs, um Obdachlose zu zählen und ihnen nach Möglichkeit auch Fragen zu stellen – etwa nach Alter, Herkunft und ihrer Situation auf der Straße. Mit der Aktion unter dem Titel „Nacht der Solidarität“ kam Berlin langjährigen Forderungen nach. Ziel ist es, anhand der Erkenntnisse die Hilfsangebote zu verbessern.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: