Die Cannabiskalkulation: letzte Hürde Bundesrat

Berlin – Nach dem Bundestagsbeschluss für eine kontrollierte Freigabe von Cannabis richten sich die Blicke auf die letzte Hürde im Bundesrat. Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, sprach sich am Wochenende erneut dafür aus, die Umsetzung dort noch aufzuhalten. Er ruft dazu auf, dass die Länder das Gesetz bei der Sitzung am 22. März in den Vermittlungsausschuss schicken.
„Umsetzen müssen das Gesetz letzten Endes die Bundesländer“, sagte Reinhardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Bei ihnen gebe es auch wegen Warnungen von Ärzteschaft, Justiz, Polizei und Pädagogen erhebliche Bedenken. „Der richtige Ort, um diese Bedenken zu artikulieren, ist der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat.“ Dort müsse das Gesetz noch einmal grundsätzlich überdacht werden.
Die BÄK warnt bereits seit Monaten vor den Plänen der Bundesregierung. Reinhardt hatte am vergangenen Freitag gesagt, die Fachkreise aus dem Gesundheitswesen und vielen weiteren gesellschaftlichen Bereichen hätten entschieden und mit guten Gründen vor der Cannabislegalisierung gewarnt. „Die Ampelkoalition hat mit ihrer Parlamentsmehrheit politisch anders entschieden. An der fachlichen Bewertung aus ärztlicher Sicht ändert das nichts. Das werden wir auch weiterhin in aller Klarheit verdeutlichen“, betonte er.
Nach den am vergangenen Freitag im Parlament beschlossenen Plänen der Ampelkoalition sollen Besitz und Anbau der Droge mit vielen Vorgaben für Volljährige zum Eigenkonsum legal werden. Zustimmungsbedürftig ist das Gesetz im Bundesrat nicht, der Vermittlungsausschuss würde es aber abbremsen.
Nordrhein-Westfalen will sich im Bundesrat dafür einsetzen, dass das Gesetz erst später in Kraft tritt. Die verbleibende Zeit von nur fünf Wochen reiche nicht annähernd aus, damit die Staatsanwaltschaften und Gerichte die Regelungen zum rückwirkenden Straferlass fristgerecht umsetzen könnten, sagte Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). Allein in NRW müssten zehntausende Fälle geprüft werden.
Auch Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) bemängelte die Verabschiedung des Gesetzes, „ohne dass den Ländern für die Vorbereitung der Umsetzung ausreichend Zeit gegeben wird“.
Bei praktischen Fragen geht es unter anderem um die Kontrolle von Besitzmengen und Abständen beim Kiffen etwa zu Schulen – und eine Amnestie von Verurteilungen für Fälle, die künftig erlaubt sind. Das zielt vor allem auf Besitz, Erwerb und Anbau von bis zu 30 Gramm Cannabis, wie das Bundesgesundheitsministerium erläutert.
Betroffene können bei der Staatsanwaltschaft beantragen, dass entsprechende Einträge im Bundeszentralregister getilgt werden. Relevant ist das etwa für Führungszeugnisse. Der Deutsche Richterbund warnte vor einer Überlastung der Justiz, zumal die Strafakten per Hand auszuwerten sind.
Schätzungen zu Aufwand und Kosten hat die Bundesregierung wie üblich auch beim Gesetz zu Cannabis angestellt, wie aus dem Entwurf hervorgeht.
Einige Posten im Überblick: Erwartet wird zum Beispiel, dass beim Bundesamt für Justiz, wo das Zentralregister angesiedelt ist, im ersten Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes für 328.000 Menschen Tilgungsmitteilungen von Staatsanwaltschaften ankommen – und 50.000 Anfragen von Bürgern. Das Bundesamt braucht dazu mehr Personal, kalkuliert wird mit Mehrkosten von einmalig 1,5 Millionen Euro.
Durch die Legalisierung sei „eine stark verringerte Anzahl“ gerichtlicher Strafverfahren zu erwarten. Bisher seien bei 180.000 konsumnahen Cannabisdelikten und angenommenen Gerichtskosten von je 1.659 Euro jährlich 300 Millionen Euro angefallen. Künftig sei davon auszugehen, dass sich die bundesweite Zahl der Gerichtsverfahren um mindestens drei Viertel verringere. Bei den Gerichten würde dann jährlich 225 Millionen Euro eingespart.
Volljährige, die in der Wohnung bis zu drei Cannabispflanzen anbauen dürfen, müssen sie gegen Zugriff etwa von Kindern sichern. Da Haushalte meist Schränke oder Abstellkammern hätten, sollten Sicherheitsschlösser vor solchen Lager- und Anbaueinrichtungen die Vorgabe erfüllen. Wenn eine Million Menschen privaten Eigenanbau betreiben und Schlösser für je insgesamt 20 Euro anbringen, entstünden dafür einmalige Sachkosten von 20 Millionen Euro.
Kalkuliert werden auch Kosten für nicht kommerzielle „Anbauvereinigungen“, von denen im ersten Jahr 1.000 und im zweiten bis fünften Jahr je 500 entstehen dürften. Für sie bestehen Vorgaben unter anderem zum Gehalt des Wirkstoffs THC. Labortests kosteten etwa 40 Euro, und bei 3.000 Vereinigungen und zwei Ernten im Jahr ergäben sich so jährlich 240.000 Euro.
Geschätzt werden außerdem Kosten für die Verwaltung von Ländern und Kommunen: fürs Prüfen und Erteilen der Erlaubnisse von 3.000 Anbauvereinigungen sind demnach einmalig eine Million Euro anzunehmen, für Stichproben des dort angebauten Cannabis jährlich 263.000 Euro, für regelmäßige Vor-Ort-Kontrollen der Einrichtungen jährlich 453.000 Euro.
Die Legalisierung soll den Aufwand für die Strafverfolgung bei Polizei, Ordnungsbehörden und Staatsanwaltschaften senken – vor allem beim Verfassen von Anzeigen. Ausgehend von 180.000 konsumnahen Cannabisdelikten, einem mittleren Zeitaufwand von 60 Minuten pro Fall und einem angenommenen Stundenlohn von 43,90 Euro im gehobenen Dienst dürften sich die Kosten bei den Ländern um jährlich 7,9 Millionen Euro verringern.
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