Politik

Bundestag stimmt für kontrollierte Cannabisfreigabe

  • Freitag, 23. Februar 2024
Namentliche Abstimmung im Bundestag /picture alliance, Flashpic, Jens Krick
Namentliche Abstimmung im Bundestag /picture alliance, Flashpic, Jens Krick

Berlin – Der Bundestag hat nach ungewöhnlich hitziger Debatte für die kontrollierte Freigabe von Cannabis als Genussmittel gestimmt. Bei vier Enthaltungen konnte die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP ihre Vorlage heute mit den Stimmen der Linken bei 404 Ja- zu 226 Nein-Stimmen durchs Parlament bringen. Es gab vier Enthaltungen.

Bei der Abstimmung zur Legalisierung von Cannabis haben insgesamt fünf Abgeordnete der Ampelkoalition im Bundestag mit Nein votiert. In der SPD gab es nach Parlamentsangaben von heute vier Nein-Stimmen, in der FDP eine Nein-Stimme und zwei Enthaltungen. Bei den Grünen stimmten alle teilnehmenden Abgeord­neten dafür.

Zuvor wurde es nicht nur laut, sondern oft auch persönlich. So wie sich die Befürworter der Cannabisfreigabe Realitätsverweigerung vorwerfen lassen mussten, mussten sich ihre Gegner der Heuchelei bezichtigen lassen.

„Mit welcher Wirbelsäulenakrobatik sie hier Angst schüren, ist abenteuerlich“, rief der Gesundheitspolitiker Ateş Gürpınar (Linke) der Unionsfraktion entgegen. „Betreutes Trinken ab 14 Jahren halten Sie für eine gute Idee“, auch gegen stärkere Restriktionen von Tabakwerbung würden sie sich aussprechen. Bei der Cannabis­frei­gabe hingegen kenne der Alarmismus keine Grenzen.

„Sie versündigen sich an der Jugend unseres Landes“, warf wiederum Stephan Pilsinger (CSU) den Legalisie­rungsbefürwortern vor – und musste sich postwendend und zum Amüsement des Plenums aus der FDP-Frak­tion vorhalten lassen, dass er selbst noch 2017 die Menschen zum Konsum von Drogen angestiftet habe.

Pilsinger habe sich im Wahlkampf ein eigenes Pils brauen lassen und erklärt, dass man es bei dessen Konsum nicht allzu eng sehen müsse. Er sei niemand, der „der Gesundheit wegen zu allzu großem Verzicht raten würde“, hatte ihn damals die Münchener Abendzeitung zitiert.

Dass es Probleme mit Alkohol und Tabak gebe, sei kein Grund, eine weitere Droge zu legalisieren, erwiderte er darauf. „Wir sagen ganz klar: Wir wollen ein Land mit weniger, statt mit mehr Drogen. Deswegen werden wir Cannabis nach der nächsten Wahl wieder verbieten. Bald ist Bubatz wieder illegal“, kündigte er an.

Dreh- und Angelpunkt der Debatte war die Frage, ob eine kontrollierte Freigabe von Cannabis den Konsum unter jungen Menschen befeuern und die organisierte Kriminalität fördern würde oder einen ohnehin nicht zu verhindernden Konsum sicherer mache und den Zugang zu Hilfs- und Präventionsangeboten erleichtere.

Die Zahlen würden da eine deutliche Sprache sprechen, hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zum Auftakt erklärt. Allein zwischen 2011 und 2021 sei der Anteil der Cannabiskonsumentinnen und -konsumenten unter Kindern und Jugendlichen trotz aller Verbotsmaßnahmen um 50 Prozent gestiegen, unter den 18- bis 25-Jährigen sogar um 100 Prozent.

„Die Lage, in der wir derzeit sind, ist in keiner Weise akzeptabel und nicht befriedigend“, sagte er. Denn den Konsumenten bleibe nur der Schwarzmarkt, auf dem Beimischungen oder zu hohe THC-Konzentrationen mit schweren gesundheitlichen Auswirkungen nicht kontrolliert werden könnten.

„Was auch immer wir tun, wir können so nicht weitermachen“, betonte Lauterbach. „Da kann man den Kopf in den Sand stecken oder Bierzeltreden halten, damit löst man aber kein einziges Problem.“ Deshalb setze die Bundesregierung mit dem Gesetz auf die Legalisierung des Eigenkonsums, die Schaffung von Alternativen zum gefährlichen Schwarzmarkt durch Eigenanbau und Anbaugenossenschaften sowie mehr Aufklärung zu Cannabisgefahren.

Auch werde das Strafmaß für diejenigen, die bandenmäßig an Kinder und Jugendliche Cannabis verkaufen, auf mindestens zwei Jahre erhöht. „Wir lassen Kinder und Jugendliche nicht allein“, beteuerte Lauterbach. Durch das Gesetz würden Aufklärung und Prävention gestärkt sowie Hilfsangebote ausgebaut.

Durch die bisherige Cannabispolitik seien unzählige junge Lebensläufe zerstört worden. Die Kriminalisierung zeitige unverhältnismäßige Folgen, während die Tabuisierung den Zugang zu Hilfsangeboten erschwere. Sucht­mediziner würden diese Auffassung stützen. „Ich bin selbst viele Jahre ein Gegner der Legalisierung gewesen, aber es ist die Wissenschaft, die sagt, dass wir diesen Weg gehen sollten.“

Das sorgte für Aufruhr und zahlreiche Zwischenrufe im Saal. „Das ist mit Abstand die absurdeste Rede, die ich zu diesem Thema seit langem gehört habe“, hielt ihm der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Frak­tion, Tino Sorge, entgegen. „Sie behaupten ernsthaft als Bundesgesundheitsminister, der für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zuständig ist, dass wir mit der Legalisierung einen Beitrag dazu leisten. Das ist der größte Unsinn, den ich je gehört habe.“

„Wir verharmlosen das nicht, sondern wir ziehen das aus der Tabuzone raus und klären die Kinder und Jugend­lichen auf – eine Aufklärung, die wir ihnen schulden“, erwiderte Lauterbach. Daten aus Kanada würden zeigen, dass der Jugendkonsum dort seit der Legalisierung besser im Griff sei. „Das ist der Weg der Wissenschaft, den wir gehen.“ Die CDU habe daran kein Interesse, sondern versuche „das abzupolemisieren als wären wir hier im Studentenparlament.“

Unterstützung erhielt Sorge von seiner Parteikollegin Simone Borchardt. Das Gesetz führe zu zusätzlichen Be­lastungen im sowieso überlasteten Gesundheitssystem, warnte sie. „Ich würde lieber jeden Präventionsbeauf­tragten in den Kommunen einsetzen, damit die Menschen ein gesünderes und längeres Leben haben.“

Das Beispiel Kanada zeige auch, dass der Schwarzmarkt durch eine kontrollierte Freigabe eingeschränkt werden kann, betonte Kirsten Kappert-Gonther (Grüne). Nur zwei Prozent der dortigen Konsumierenden würden laut aktuellen Zahlen ihr Cannabis noch aus illegalen Quellen beziehen.

Das sei ein großer Erfolg, denn Konsumenten könnten anders als heute bei legalen Bezugsquellen sicher sein, dass ihr Cannabis keine schädlichen Beimischungen enthalte. „So geht Gesundheitsschutz“, betonte sie. „Die­ses Gesetz kann nicht alle Probleme lösen, aber es wird ein Meilenstein einer vernunftgeleiteten Drogenpoli­tik.“

Rechtspolitiker Axel Müller (CDU) wies das scharf zurück: „Es ist wie beim Bier: Das wird auch nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraut, aber wenn man zehn Flaschen am Tag trinkt, ist das trotzdem schädlich.“ Es könne nicht sein, dass man einen Straftatbestand freigebe, nur weil er überhandnehme.

Rechts- und innenpolitische Fragen hatten bis zuletzt auch innerhalb der SPD-Fraktion für Uneinigkeit ge­sorgt, eine Reihe von Sozialdemokraten um den Innenpolitiker Sebastian Fiedler hatten mit ihrem Nein ge­droht.

Er wolle nicht verhehlen, dass in der SPD-Bundestagfraktion über das Gesetz gestritten wurde, räumte denn auch SPD-Mann Dirk Wiese ein. Das sei aber legitim. Er begrüße deshalb, dass auf den letzten Metern noch Änderungen eingearbeitet sein worden, die eine stärkere Einbindung des Bundeskriminalamts bei der Evalu­ierung des Gesetzes ermöglichen. So gebe es die Möglichkeit, später noch nachzusteuern.

Gereicht hat es dennoch. „Heute ist ein guter Tag. Eine gescheiterte Drogenpolitik nimmt ein Ende“, erklärte Lauterbach dementsprechend nach der Abstimmung. Nun muss das nicht zustimmungspflichtige Gesetz noch durch den Bundesrat, der es zwar nicht gänzlich stoppen, aber in den Vermittlungsausschuss überweisen kann.

Lauterbach zeigte sich guten Mutes, dass das nicht passieren wird. „Ich bin zuversichtlich, dass der Bundesrat sieht, dass wir ein Problem lösen“, sagte er. Er vermute, dass das Gesetz ohne weitere Änderungen durch die Länderkammer geht.

Sicher sein kann sich Lauterbach aber nicht. Denn bereits heute kamen Wortmeldungen aus verschiedenen Bundesländern, etwa aus Nordrhein-Westfalen oder Hamburg, denen der Zeitpunkt des Inkraftretens des Gesetzes zum 1. April zu schnell geht.

Zwar sei ihr die eingeschränkte Freigabe der Droge für Erwachsene „ein wichtiges und langjähriges politi­sches Anliegen“, sagte Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne). „Es ist aber sehr schade, dass der Ge­setzentwurf nun im Bundestag verabschiedet wurde, ohne dass den Ländern für die Vorbereitung der Um­setzung ausreichend Zeit gegeben wird.“

„Die verbleibende Zeit von nur fünf Wochen reicht nicht annähernd aus, damit die Staatsanwaltschaften und Gerichte in Nordrhein-Westfalen die Regelungen zum rückwirkenden Straferlass fristgerecht umsetzen können“, erklärte NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne). Allein in Nordrhein-Westfalen müsste in zehntausenden Fällen geprüft werden, ob verhängte Strafen ganz oder teilweise zu erlassen seien.

Tritt das Gesetz planmäßig in Kraft, können Erwachsene ab dem 1. April öffentlich 25 Gramm Cannabis bei sich führen und zuhause 50 Gramm lagern. Für Kinder und Jugendliche bleibt der Konsum verboten.

Dazu kann jede Person drei weibliche Pflanzen zuhause halten. Außerdem können bis zu 500 Personen gemeinschaftlich in Cannabisclubs Pflanzen züchten. Die Regierung rechnet mittelfristig mit 3.000 solcher Großgewächshäuser – mit sehr hohem Energiebedarf. Clubmitglieder dürfen dann 25 Gramm pro Tag und 50 Gramm im Monat beziehen. Bei Erwachsenen bis 21 Jahren ist die Abgabe auf 30 Gramm pro Monat beschränkt und der THC-Gehalt muss ebenfalls schwächer sein.

lau/dpa/kna

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