Politik

Mediziner enttäuscht über Entscheidung zu Cannabis

  • Freitag, 23. Februar 2024
/contentdealer, stock.adobe.com
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Berlin – Der Bundestag hat sich entschieden: Nach 40 Jahren Verbot soll es bald eine kontrollierte Freigabe von Cannabis an Erwachsene geben. Damit mag für viele überzeugte Kiffer ein Traum in Erfüllung gehen.

Doch auch wenn es voraussichtlich ab April viele Regeln und Einschränkungen bei der Vergabe von Cannabis gibt, sind medizinische Fachverbände von dem Gesetz enttäuscht. Sie wünschen sich eine Überarbeitung im Vermittlungsausschuss. Die Hauptkritikpunkte: eine zu niedrige Altersgrenze, zu hohe Abgabemengen und zu wenig Geld für Prävention und Forschung.

Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte bereits seit Monaten vor den Plänen der Bundesregierung gewarnt. BÄK-Präsident Klaus Reinhardt sagte heute, die Fachkreise aus dem Gesundheitswesen und vielen weiteren gesell­schaftlichen Bereichen hätten entschieden und mit guten Gründen vor der Cannabislegalisierung gewarnt.

„Die Ampelkoalition hat mit ihrer Parlamentsmehrheit politisch anders entschieden. An der fachlichen Be­wertung aus ärztlicher Sicht ändert das nichts. Das werden wir auch weiterhin in aller Klarheit verdeutlichen“, betonte er.

Reinhardt sagte noch vor wenigen Tagen in einer neuen Folge des Podcasts „Sprechende Medizin“, er könne etwa den Jugendschutz beim Cannabisgesetz nicht erkennen. „Durch die Freigabe wird eine Droge verharmlost, die nachgewiesenermaßen abhängig macht und zu schwe­ren Entwicklungsschäden führen kann – gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen“, hatte er bereits im vergangenen Jahr erklärt.

Reinhardt wies darauf hin, dass die Entwicklungsprozesse des Gehirns bis zum 25. Lebensjahr noch nicht ab­geschlossen seien und der Konsum von Cannabis diese Prozesse negativ beeinflussen könne. „Diese Schäden sind dauerhaft und bleiben lebenslang wirksam“, erklärte er. „So steigt das Risiko von nachhaltigen kognitiven Funktionsdefiziten, das Auftreten von Psychosen, Depressionen oder Angststörungen signifikant.“

Auch die Ärztekammer Hamburg sieht die vom Bundestag beschlossene Legalisierung von Cannabis als Feh­ler. „Aus medizinischer Sicht ist völlig klar, dass Cannabiskonsum insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen negative Folgen für Gedächtnis- und Lernleistungen hat“, sagte Kammerpräsident Pedram Ema­mi heute. „Mir ist daher unerklärlich, warum der Gesetzgeber hier keine strengeren Vorschriften vorsieht.“

Das nun beschlossene Gesetz reiche in puncto Jugendschutz nicht aus. Zudem sei es fatal, in erster Linie auf eine digitale Aufklärungsplattform zu setzen und die lokale Präventionsarbeit zu schwächen. „Das ist zu wenig, um Jugendliche und junge Erwachsene wirklich zu erreichen“, warnte Emami.

Zudem seien regionale Konsumverbote rund um Schulen und Jugendeinrichtungen in der Praxis – gerade in einer Stadt wie Hamburg – schwer umsetzbar. „Es ist auch ein Irrglaube anzunehmen, dass eine Legalisierung von Cannabis zu weniger Konsum und größerem Risikobewusstsein bei Jugendlichen führt.“

Das Gesundheitssystem werde schon heute stark durch die Folgen des Konsums von Alkohol und Nikotin belastet. „Auch daher sehen wir keinen Grund, eine weitere gesundheitsschädliche Substanz zu legalisieren.“

Der Präsident der Landesärztekammer Hessen (LÄKH), Edgar Pinkowski, bezeichnete die Annahme des Ge­setzes als gravierende Fehlentscheidung und „schwarzen Tag für die Suchtprävention“. „Durch die Freigabe wird eine Droge verharmlost, die abhängig macht und bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu schweren Entwicklungsschäden mit nachhaltigen kognitiven Defiziten, Psychosen und Depressionen führen kann“, kritisierte er.

Es sei verantwortungslos, dass sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit seinem Gesetzesentwurf, dessen Ziele der internationalen Erkenntnislage widersprächen, über die Bedenken von Ärzten und weiteren Fachleuten hinweggesetzt habe.

Auf Bundesebene waren alle Abgeordneten von der Bundesärztekammer und einem breiten Bündnis von Fachverbänden aus dem Gesundheitswesen, der Pädagogik, der Justiz und dem Sicherheitsbereich persönlich angeschrieben und darum gebeten worden, diesem Gesetz nicht zuzustimmen. „Leider ohne Erfolg“, bedauert Pinkowski: „Nun muss es darum gehen, vor allem Jugendliche und Erwachsene gezielt über die Risiken von Cannabiskonsum zu informieren, um sie vor gesundheitlichen Schäden zu bewahren.“

„Mit 18 Jahren ist die Hirnentwicklung noch nicht abgeschlossen“, sagt Psychiaterin Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank. Sie ist die künftige Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) und kennt sich als Ärztin aus mit Psychosen und Schizophrenie. Das Risiko für diese Krankheitsbilder könne mit häufigem Kiffen deutlich steigen – besonders für junge Erwachsene.

Denn das Hirn reife noch bis ins Alter von Mitte 20, erläuterte Gouzoulis-Mayfrank. Ihr Verband hatte deshalb als Kompromiss 21 Jahre als Einstiegsalter vorgeschlagen. „Damit würde man auch ein klares Signal an junge Volljährige senden, dass Kiffen für sie problematisch ist.“

Dass der Bundestag trotz solcher nachdrücklichen Warnungen aus der Ärzteschaft das Gesetz beschlossen hat, bedrückt die Ärztliche Direktorin der LVR-Klinik in Köln. Ihre Fachgesellschaft befürchtet gravierende Konse­quenzen – für Einrichtungen zur Behandlung von Suchterkrankungen ebenso wie für die psychische Gesund­heit der Bevölkerung insgesamt.

Das Gesetz kommt voraussichtlich am 22. März noch in den Bundesrat. Es ist nicht zustimmungspflichtig. Doch die Länderkammer könnte prinzipiell den Vermittlungsausschuss anrufen und das Verfahren damit ab­bremsen. Denn die Idee einer Cannabisfreigabe mit Regeln bleibt weiter umstritten.

Dabei geht es weniger um das Ziel, Dealern das Handwerk zu legen. Das wollen fast alle. Doch aus der Medi­zin kommen Bedenken, ob jungen Menschen das Risiko von Cannabis ausreichend bewusst ist. „Ich befürchte, dass wir mit diesem Gesetz den Teufel mit dem Beelzebub austreiben“, sagte Gouzoulis-Mayfrank.

„Riskanter Konsum lässt sich nicht pauschal festmachen“, sagte Stephanie Eckhardt, Referatsleiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) des Referats für Suchtprävention. Es gebe Faktoren, die zusammenspielten: Wie oft wird Cannabis genutzt? Wie viel davon? Und wie hoch ist der THC-Gehalt, also die Konzentration des Rauschmittels Tetrahydrocannabinol?

Der Cannabiskonsum sei in Deutschland vor allem bei jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren ge­stie­gen, berichtet Eckhardt. Nach jüngsten Angaben der BZgA hatte 2021 die Hälfte von ihnen bereits Canna­biskonsumerfahrung – das sei der höchste von ihr erhobene Wert seit 1973.

Für den Anstieg gibt es nur Vermutungen: die Verfügbarkeit, das soziale Umfeld, gesellschaftliche Trends und auch der Preis auf dem Schwarzmarkt. Nach Angaben des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) haben im Jahr 2022 rund 4,5 Millionen Erwachsene in Deutschland wenigstens einmal Cannabis genutzt – am häufigsten im Alter zwischen 18 bis 24 Jahren.

Bis zur Volljährigkeit soll Cannabis nach dem neuen Gesetz verboten bleiben. Zudem gibt es mit Blick auf das Alter ein Stufenmodell: In Cannabisclubs sollen Vereinsmitglieder die Droge gemeinschaftlich anbauen und gegenseitig abgeben dürfen – pro Monat höchstens 50 Gramm pro Mitglied. Bei 18- bis 21-Jährigen dürfen es nur bis zu 30 Gramm im Monat sein mit einem maximalen Gehalt von zehn Prozent der psychoaktiven Substanz Tetrahydrocannabinol (THC).

„Das ist kein unproblematischer Freizeitkonsum mehr“, urteilte Gouzoulis-Mayfrank. 50 Gramm im Monat reichten für mehrere Joints am Tag. Auch 30 Gramm seien für junge Volljährige zu viel. „Aus unserer Sicht sollten wir im Moment nicht ganz so waghalsig voranschreiten“, sagte die Ärztin.

Im Gehirn gibt es von Natur aus Strukturen und Andockstellen für diese Substanzen. Sie regeln unter anderem Appetit, Emotionen und Schmerzempfindung mit. Dieses komplexe System reift beim Menschen langsam bis zum Alter von Mitte 20 heran. Kommt Cannabis von außen hinzu, kann dieser Prozess gestört werden.

Mediziner gehen davon aus, dass häufiges Kiffen bei Heranwachsenden die Cannabinoidstrukturen im Gehirn verschiebt und verändert und diese Manipulation Auswirkungen auf das ganze Leben haben kann.

Dafür gebe es Hinweise aus verschiedenen Forschungssträngen, erläuterte Gouzoulis-Mayfrank. Wer früh und viel kiffe, habe ein deutlich erhöhtes Risiko für Psychosen, auch noch viele Jahre später. Europäische Studien sehen auch Zusammenhänge mit Schizophrenie, wobei nicht klar ist, ob die Krankheit Cannabiskonsum befördert – oder umgekehrt.

„In den vergangenen Jahren gibt es eine zunehmende Offenheit, über Cannabis zu sprechen, auch über die mit dem Konsum verbundenen Risiken“, sagte Eckhardt von der BZgA. „Es soll kein Tabuthema sein.“ Doch auch sie macht Einschränkungen. „Es gibt Chancen und Risiken.“ Die Botschaft der BZgA an junge Menschen laute des­halb: Lasst das Kiffen bleiben.

Psychiaterin Gouzoulis-Mayfrank rechnet in Deutschland mit Kollateralschäden. „Ich befürchte, dass es nicht gelingen wird, die Gefahren von Cannabis glaubhaft rüberzubringen.“ Ihre Fachgesellschaft fordert darüber hinaus deutlich mehr Mittel zur Erforschung der Folgen der Legalisierung in Deutschland.

„Wir wissen aus anderen Ländern, dass Entwicklungen mitunter erst nach einigen Jahren sichtbar werden“, sagt sie. Im jetzt verabschiedeten Gesetz seien Gelder für die Forschung nur für vier Jahre vorgesehen. Zudem hätten Studien bereits vor der Legalisierung starten müssen.

„Man muss die Ausgangssituation kennen, um die Auswirkungen auf den Konsum und die psychische Gesund­heit der Bevölkerung zu untersuchen.“ Neben Alkohol und Nikotin gilt Cannabis nach den Recherchen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen weltweit als das beliebteste Rauschmittel.

dpa/afp/kna/lau/may

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