Ärzteschaft

Vertragsärzte verlangen bessere Patientensteuerung zur Lösung von Terminproblemen

  • Freitag, 7. Dezember 2018
KBV-VV-12-2018-Gassen - Lopata
Andreas Gassen /Georg J. Lopata

Berlin – Statt dirigistischer Eingriffe in den Praxisalltag, wie sie der Entwurf des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) vorsieht, forderte die Vertreter­versammlung (VV) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) heute in Berlin gesetzliche Vorgaben für eine bessere Steuerung der Patienten durch das Gesundheitssystem.

Der Gesetzentwurf, der unter anderem eine Erhöhung der Sprechzeiten von 20 auf 25 Wochenstunden und die Vorgabe von wöchentlich fünf offenen Sprechstunden für bestimmte Arztgruppen vorsieht, beleidige von seinem Ansatz her die Würde des ganzen Berufsstandes und missachte auf ehrverletzende Weise die tägliche Arbeits­leistung der Ärzte und Psychotherapeuten, heißt es in einer Resolution, die die 59 anwesenden VV-Mitglieder einstimmig annahmen.

„Wir warnen insbesondere vor den absehbaren negativen Auswirkungen auf die Behandlungskapazitäten für die uns vertrauenden Patienten“, heißt es dort. Denn die fortdauernde Budgetierung und der zunehmende staatliche Dirigismus schreckten den ärztlichen Nachwuchs ab und verschärften so den Ärztemangel in der Zukunft. Die VV forderte deshalb die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, den Gesetzentwurf entsprechend zu ändern.

Dialogforum mit Bundesgesundheitsminister Spahn im Januar

Man könne den Entwurf des TSVG mit wenigen Änderungen funktional gestalten, betonte der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen im Anschluss an die VV vor Journalisten. Er hoffe, dass das im Austausch mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) noch gelingen könne. Der Minister habe zugesagt, sich am 18. Januar in einem Dialogforum der Diskussion mit den Kassenärzten zu stellen. „Wenn das Gesetz so kommt, wie es ist, vergrätzt man die Ärzteschaft“, warnte der KBV-Chef.

Die geplanten Regelungen im TSVG emotionalisierten Ärzte und Psychotherapeuten in einem Maße, wie er es lange nicht erlebt habe, erklärte Gassens Vorstandskollege Stephan Hofmeister. „Der Unmut wird immer lauter, und die Kollegen geben diesmal nicht dem KV-System die Schuld, sondern der Politik“, erklärte Hofmeister.

Stephan Hofmeister /Georg J. Lopata
Stephan Hofmeister /Georg J. Lopata

So habe beispielsweise die Petition der Psycho­thera­peutenverbände gegen die Einschränkung des freien Zugangs zur psychothera­peutischen Versorgung in kürzester Zeit mehr als 60.000 Unterschriften erhalten. Der Entwurf des TSVG sieht eine „gestufte und gesteuerte Versorgung“ in der Psychotherapie vor. Künftig sollen besonders qualifizierte Ärzte und Psychotherapeuten in Voruntersuchungen festlegen, welche Therapieangebote für einen Patienten infrage kommen.

„Das TSVG greift direkt in den Praxisablauf ein“, kritisierte die VV-Vorsitzende Petra Reis-Berkowicz. Unterstellt werde, die Ärzte und Psychotherapeuten seien faul und stellten nicht genügend Versorgungszeit zur Verfügung. Dabei arbeiteten diese oft bis zur Selbstaufgabe. „Wir verwahren uns gegen dieses Misstrauen“, sagte Reis-Berkowicz. Das TSVG in seiner jetzigen Form sei eine Gefahr für die Freiberuflichkeit und Selbst­ständigkeit der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten zugunsten einer Staatsmedizin.

600 Millionen Euro mehr für die Versorgung

Zuvor hatte der KBV-Vorsitzende Gassen in seinem Bericht zur Lage vor der VV eingeräumt, dass das Gesetz mit dem Prinzip „Für mehr Leistung auch mehr Honorar“ einen ersten Schritt in Richtung Entbudgetierung gehe. Durch die zusätzliche Vergütung der Mehrarbeit, die den Ärzten und Psychotherapeuten in Aussicht gestellt werde, könnten rund 600 Millionen Euro mehr in die Versorgung kommen.

An diesem Punkt mache der Gesetzgeber jedoch halt. Statt, wie von der Ärzteschaft gefordert, die Grundleistungen aus dem Budget herauszulösen, um die Leistungs­bereitschaft der Praxen zu erhöhen und mögliche Terminprobleme auf diese Weise zu lösen, werde in die Praxisabläufe und die freiberufliche Tätigkeit der Kollegen eingegriffen.

Dabei stehe einem unbegrenzten Leistungsversprechen keinerlei Patientensteuerung entgegen. Vor dem Hintergrund eines sich abzeichnenden Ärztemangels und dem sozialrechtlichen Gebot einer wirtschaftlichen Versorgung sei die Steuerung der Patienten durch das Versorgungssystem aber die einzig tragfähige Lösung.

Die KBV habe das bereits in ihrem Konzept 2020 aufgegriffen und vorgeschlagen, dass die Krankenkassen künftig für ihre Versicherten verpflichtend Wahltarife anbieten. Diejenigen, die sich durch das Versorgungsgeschehen steuern ließen, sollten mit Beitragsermäßigungen belohnt werden. „Patientensteuerung ist eine Notwendigkeit, um unser Gesundheitssystem für die Zukunft zu bewahren“, sagte Gassen. Die Politik scheue diesen Gedanken aber wie der Teufel das Weihwasser. Das Steuerungsprinzip passe nicht zur propagierten „Rundum-sorglos-Mentalität“.

Das Gesetz atmet Kontrolle und Misstrauen

„Man spürt, dass das Gesetz einen Geist atmet, der Kontrolle und Bevormundung bedeutet und der Misstrauen ausdrückt“, erklärte auch KBV-Vorstand Hofmeister in seinem Bericht vor der VV. Wie Gassen zuvor kritisierte auch er, dass die KBV beim Thema Patientensteuerung keinerlei politische Unterstützung erfahren habe. „Im Off wurde allerdings von vielen eingeräumt, dass dies die eigentliche Herausforderung sei“, sagte Hofmeister.

„Stattdessen ist die Chimäre von der Zweiklassenmedizin und die daraus resultierende angebliche Terminnot weiterhin der Trigger für gesundheitspolitische Aktivitäten.“ Dabei gebe es vielversprechende Ansätze für eine Steuerung der Patienten zum Beispiel in der Notfallversorgung.

Die Bereitschaftsdienstnummer 116117, die seit September 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche erreichbar sei und mit einem einheitlichen softwaregestützten Ersteinschätzungsverfahren einhergehe, sei die Antwort der Ärzteschaft auf die steigende Inanspruchnahme medizinischer Leistungen in den Notaufnahmen. „Wir bekommen damit eine Versorgung aus einem Guss und entlasten sowohl die Vertragsärzte als auch die Kollegen in den Kliniken“, meinte Hofmeister.

KBV-VV2-12-2018-Lopata
/Georg J. Lopata

Bleibe der Gesetzentwurf unverändert, drohe eine Verschlechterung der Versorgung. Hofmeister machte das am Beispiel der Bedarfsplanung fest. So sollten für die Fächer Rheumatologie, Psychiatrie und Pädiatrie zeitlich befristet die Zulassungs­beschränkungen entfallen. Vom drohenden Ärztemangel auch in diesen Fächern abgesehen, sehe das Gesetz nicht einmal eine Gegenfinanzierung für die neuen Sitze vor, kritisierte der KBV-Vorstand. Das vorhandene Geld solle einfach an mehr Versorger verteilt werden.

Für ebenso lebensfremd hält Hofmeister den Vorschlag, den Ländern bei der Bedarfsplanung ein Mitberatungsrecht einzuräumen, ohne dass diese auch finanzielle Verantwortung übernehmen müssten. „Was soll daraus entstehen?“, frage Hofmeister. „Ein Wahlkampfturbo, um der Bevölkerung Versprechungen machen zu können?“ Die Bedarfsplanung dürfe nicht politisiert werden, dann werde sie unbrauchbar.

Kapitalinteressen bedrohen die ambulante Versorgung

Zum Schluss wies Hofmeister auf die drohenden Gefahren hin, wenn aufgrund der Rahmenbedingungen immer mehr niedergelassene Ärzte dem System den Rücken kehren. Dann drängten, wie schon zu beobachten, Kapitalgesellschaften, Private Equity-Firmen, Klinikkonzerne und Ketten Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) auf den Markt, die in erster Linie an Rendite interessiert seien.

Chronisch kranke oder multimorbide Menschen drohten bei einer solchen Entwicklung unter die Räder zu geraten. Hier müsse die Gesellschaft Regeln setzen, innerhalb derer die Unternehmen agieren dürften. Diskutiert wurde bei der VV beispielsweise, Krankenhäuser künftig von der Gründung von MVZ auszuschließen.

HK

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