Bundesärztekammer will Debatte um Intersexualität versachlichen
Berlin – Die Bundesärztekammer (BÄK) hat eine Stellungnahme zu „Disorders of Sex Development“ (DSD) veröffentlicht. Dabei geht es um Menschen, deren biologisches Geschlecht nicht eindeutig den Kategorien „männlich“ oder „weiblich“ zuzuordnen ist. Ziel der Stellungnahme sei es, die öffentliche Debatte zu versachlichen und allen, die sich mit Varianten/Störungen der Geschlechtsentwicklung in Klinik und Praxis beschäftigen, einen soliden Hintergrund für ihr Denken und Handeln auf der Basis des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft zu geben.
„Die Stellungnahme der Bundesärztekammer deutet auf einen Bewusstseinswandel in der medizinischen Diagnostik und Behandlung hin. Das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung", sagte Caren Marks (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesfamilienministerin. So stellt die BÄK fest, dass bei Neugeborenen und Kleinkindern, die intersexuell geboren werden, grundsätzlich keine Operationen zur Geschlechtsangleichung durchgeführt werden sollten.
Dem Recht auf Selbstbestimmung und dem „Recht auf eine offene Zukunft“ des Kindes müsse Rechnung getragen werden. In der Vergangenheit wurden entsprechende Operationen im Säuglings- und Kleinkindalter durchgeführt, auch wenn sie nicht medizinisch notwendig, häufig unumkehrbar waren und oft mit dem Verlust der Empfindungsfähigkeit einhergingen. „Wir brauchen in unserer Gesellschaft mehr Verständnis für Menschen mit seltenen Varianten/Störungen der Geschlechtsentwicklung“, forderte deshalb BÄK-Vorstandsmitglied Heidrun Gitter.
Der BÄK zufolge hat sich über Varianten/Störungen der Geschlechtsentwicklung sowohl in der Öffentlichkeit als auch innerhalb der Ärzteschaft eine intensive Diskussion entwickelt. So stelle die Beratung und Behandlung von Menschen mit DSD eine große Herausforderung dar, heißt es dazu in der Stellungnahme. Es seien unterschiedliche und zum Teil gegenläufige Aspekte zu beachten und zu gewichten, um angesichts der komplexen Fragestellungen die für die jeweilige individuelle Situation geeignete Vorgehensweise zu entwickeln.
Während ein Teil der Betroffenen mit der bisherigen medizinischen Betreuung zufrieden ist, wird laut BÄK von einem anderen Teil die in der Vergangenheit insbesondere bei Kindern mit Varianten/Störungen der sexuellen Geschlechtsentwicklung praktizierte frühe medizinisch-chirurgische Intervention heftig kritisiert. Diese Kontroverse, die auch von den Medien aufgegriffen wurde, hat nicht nur bei den Eltern betroffener Kinder und Jugendlicher und bei erwachsenen Betroffenen, sondern auch innerhalb der Ärzteschaft zu Verunsicherungen geführt.
Vor diesem Hintergrund hat sich ein interdisziplinärer Arbeitskreis des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer ausführlich und kritisch mit dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft bei der Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit DSD auseinandergesetzt. Die Experten fordern unter anderem eine bessere Vernetzung und Kompatibilität der bestehenden Versorgungsangebote, eine Stärkung der Beratung sowie die Bildung von Kompetenzzentren.
„Insbesondere die Gleichsetzung von DSD mit Fehlbildung oder Krankheit ist nicht angemessen“ verwies Gitter. Um die Lage der Betroffenen zu verbessern, sei eine spezielle medizinische Kompetenz, ein hoher Wissens- und Kenntnisstand der Betroffenen und die Unterstützung durch eine aufgeklärte Gesellschaft gleichermaßen gefragt.
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