TI-Störung entpuppt sich zunehmend als politischer Sprengstoff

Berlin – Aus den anfänglichen IT-Problemen der Telematikinfrastruktur (TI) und der Art der Krisenbewältigung der zuständigen Gematik ist zunehmend politischer Sprengstoff geworden. Der Frust der Vorstände aus neun Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), für den politische Entscheidungen die Grundlage bilden, entlädt sich nun beim Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Beim Anschluss an die TI sei „eine Situation“ erreicht, die für die ärztliche und psychotherapeutische Basis nicht mehr tolerierbar sei und somit einen „weiteren Baustein im Fruststationsbewusstsein der Kollegen“ [sic] liefere, beklagen sich die Vorstände der KVen aus Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen, Nordhein, Westfalen-Lippe, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, in einem Brief an den KBV-Vorstand. Das Schreiben liegt dem Deutschen Ärzteblatt vor.
Die Menge an Vorgaben „von IT über Hygiene bis hin zur Qualitätssicherung“ seien „nicht mehr vermittelbar, da jenseits der Hygiene ein wirklicher Mehrwert für die Vertragsärzte „nicht mehr erkennbar“ sei. „Hier lässt sich niemand mehr nieder und der der gehen kann, geht lieber heute als morgen“, so die KV-Chefs.
Fakt sei, dass man als Landesvorstände nicht mehr in der Lage sei, die TI „mit ihrer inzwischen unendlichen Reihen von Pannen und Peinlichkeiten, verbunden mit einem Null-Nutzen“ den Vertragsärzten weiter zu vermitteln. „Die ärztlichen und psychotherapeutischen Mitglieder in den unterzeichnenden KVen akzeptieren einfach die Rahmenbedingungen der TI-Ausgestaltung in der derzeitigen Form nicht mehr.“
Die KV-Chefs kritisieren die KBV vehement dafür, dass diese sich nicht gegen die Bundespolitik und Beschlüsse der Gematik habe durchsetzen können. Zwar habe man der KBV bisher immer Rückendeckung gegeben, aber nun hätten zuletzt mehrere Vertreterversammlungen „einen immer tieferen Unmut“ offenbart, der jetzt „auch massiv auf die jeweiligen Landesvorstände zurückfällt“.
Man müsse „leider feststellen“, dass die Politik gescheitert sei, den Gesetzgeber und die KBV aktiv bei der Umsetzung einer „eigentlich sinnvollen Strategie zu unterstützen“. Das Ergebnis, das der KBV-Vorstand erreicht habe, sei „inzwischen nicht mehr vermittelbar“. „Leider fühlen wir uns in diesem Falle auch, trotz des an den KBV-Vorstand immer wieder ausgesprochenen Auftrags, den Prozess aktiv mitzugestalten, hier nicht mehr wirklich durch diesen vertreten“, heißt es.
Die KVen bemängeln bei der TI unter anderem die zur Verfügung stehende Technik in Form des „Steinzeitkonnektors“, die weitere Hardware und das Management durch die Gematik. So sei etwa die TI in den vergangenen Wochen langfristig ausgefallen und immer noch nicht in allen Bereichen wiederhergestellt. Die Kommunikation seitens der Gematik sei „mehr als dürftig“ gewesen.
Kritik hagelt es auch am Einfluss der Industrie, den politischen, gesetzgeberischen Rahmenbedingungen, der unzureichenden Kostenübernahme sowohl beim Anschluss an die TI als auch bei den aktuellen Problemen sowie der IT-Sicherheitsrichtlinie – und auch an der Rolle der KBV. Die Problemage veranlasst die KVen die KBV „nachhaltig“ zu bitten, bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn „vorstellig zu werden“.
Die KBV-Spitze solle Spahn bitten, durch eine Gesetzesänderung die Sanktionen einer nicht stattgefundenen TI-Anbindung bis zu dem Zeitpunkt auszusetzen, bis eine sichere softwarebasierte Vernetzungsstruktur für die Praxen geschaffen ist. Auch sei eine „vollständige Finanzierung“ aller TI-Kosten durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) notwendig.
Ebenso solle der Gesetzgeber der KBV und dem KV-System die Möglichkeit geben, industrieunabhängig eigene Lösungen für den TI-Bereich in den Vertragsarztpraxen zu entwickeln und den Mitgliedern der Landes-KVen zur Verfügung zu stellen. Änderungen müsse es auch in Bezug auf die Datenschutzanforderungen geben.
Daran, dass aus Sicht der KVen diese Punkte wichtig sind, lassen sie keinen Zweifel. „Die Vorstände der unterzeichnenden Länder-KVen sehen keine Möglichkeit mehr für eine Akzeptanz der TI durch weitere Beschwichtigungsversuche und Teillösungsansätze als ge- geben an, ohne dass zeitnah eine uns politisch erheblich gefährdende allgemeine Verweigerungshaltung der Ärzte und der Psychotherapeuten im Land stattfindet“, schreiben sie.
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