Bundesärztekammer bezeichnet Terminservice- und Versorgungsgesetz als „übergriffig“

Berlin – Die Bundesärztekammer hat die geplanten staatlichen Vorgaben für offene Sprechstunden und die Ausweitung der Mindestsprechstundenzeiten als „übergriffig“ bezeichnet. „In dem Entwurf für das Terminservice- und Versorgungsgesetz steckt viel Gutes. Leider enthält er aber auch etliche Vorgaben, die gerade jungen Ärztinnen und Ärzten die Freude an der Arbeit in eigener Praxis verleiden können“, sagte BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery heute vor der morgigen öffentlichen Anhörung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) im Bundestagsgesundheitsausschuss in Berlin.
Nach Montgomerys Ansicht haben die Krankenkassen der Politik vermittelt, dass vermeintliche Versorgungsengpässe von unzureichenden Sprechstundenzeiten herrührten. Alle seriösen Zahlen würden dies aber widerlegen. Notwendig seien vielmehr flexible Lösungen, die sich sowohl an den Bedürfnissen der Patienten als auch an denen der jungen Ärztegeneration orientieren. „Solche praxisnahen Regelungen können nur von der Selbstverwaltung kommen. Dafür muss ihr die Politik aber die notwendige Gestaltungsfreiheit geben“, forderte der BÄK-Präsident.
„Die Wurzel des Problems eingeschränkter Versorgungskapazitäten liegt nicht in einer unzureichenden Arbeitsleistung der Ärztinnen und Ärzte, sondern in einem bedrohlichen und zunehmenden Ärztemangel, für den in dem Gesetzentwurf keine Lösungen angeboten werden“, heißt es auch in der schriftlichen Stellungnahme der Bundesärztekammer für die öffentliche Anhörung im Bundestags-Gesundheitsausschuss. Zu begrüßen sei, dass zumindest ein Teil der Mehrarbeit entsprechend vergütet werden soll.
Dennoch werde die wahre Ursache der eingeschränkten Versorgungskapazitäten und dadurch bedingter Wartezeiten verkannt. Die Arbeitsbelastung von Ärzten sei bereits heute überdurchschnittlich hoch. Zudem führe der Strukturwandel im Gesundheitswesen mit mehr Ärzten in Anstellung, mehr Teilzeitarbeit, die striktere Einhaltung gesetzlicher Arbeitszeitvorgaben sowie der demografische Wandel zu einer weiteren Arbeitsverdichtung, so die BÄK in ihrer Stellungnahme.
Positiv hebt die Bundesärztekammer hervor, dass der Gesetzgeber mit der Neuaufstellung der Terminservicestellen erste Weichenstellungen für ein sektorenübergreifendes Konzept der Notfall- und Akutversorgung vornimmt. Allerdings würden in den neuen Servicestellen Vorhaltekosten entstehen, die über die Leistungsvergütung der Krankenkassen nicht abgedeckt sind. Die Finanzierung sei daher nicht nur aus Mitteln der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern auch durch ergänzende Investitionen aus Steuermitteln zu gewährleisten.
Mit Sorge sieht die Bundesärztekammer laut Stellungnahme das Vordringen von Kapitalgebern in die ambulante Versorgung. Daraus ergäben sich Risiken für die Wahlfreiheit von Patienten ebenso wie für die Möglichkeit von Ärzten, sich niederzulassen oder im Angestelltenverhältnis den Arbeitgeber zu wechseln.
Die Bundesärztekammer begrüßt deshalb, dass der Gesetzentwurf Anpassungen bei Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) vorsieht. Sie weist aber auch darauf hin, dass die vorgesehenen punktuellen Neuregelungen der zunehmenden Konzernbildung nur begrenzt entgegenwirken können.
Sie unterstützt die Forderungen des Bundesrates nach Regelungen, die einem kapitalgetriebenen Missbrauch von MVZ-Strukturen wirksam begegnen, indem sie den gesundheitspolitisch gewünschten Versorgungsbeitrag von MVZ klarer fassen. Dazu gehört die grundsätzliche Bindung von Krankenhaus-MVZ an einen regionalen und fachlichen Bezug ebenso wie die Möglichkeit, eine Fokussierung auf lukrative Leistungsbereiche zu verhindern und sinnvolle Vorgaben zur Größe von MVZ zu machen.
Entmündigungspolitik beenden
Der Präsident der Ärztekammer Berlin, Günther Jonitz, mahnte heute ein grundlegendes Umdenken in der Gesundheitspolitik an. Die im TSVG vorgesehenen neuen Maßnahmen etwa zu Praxisöffnungszeiten, zur Einschränkung der Mobilität von Ärzten in Richtung Ausland und der Versuch, per Verordnungsermächtigung künftig im Einzelfall entscheiden zu wollen, welche neuen Behandlungen durch die Krankenkassen bezahlt werden sollen, führe „zur Entmündigung und Demotivierung der Ärztinnen und Ärzte“, sagte er.
Er kritisierte vor allem, dass keine solide Analyse der Ursachen von Problemen stattfindet. „Die Politik reagiert auf Probleme dann, wenn sie offenkundig sind und dort, wo sie ankommen anstatt dort, wo sie herkommen“, betonte Jonitz. Er erinnerte daran, dass es in der Vergangenheit „eine Art Vertrag“ zwischen der Ärzteschaft, den Gesundheitsberufen und der Politik gegeben habe.
„Wir kümmern uns um die Versorgung kranker Menschen, die Politik sorgt für gute Rahmenbedingungen. Dieser Vertrag wird durch das vorgesehene TSVG erneut gebrochen und wird dazu führen, dass die Selbstfürsorge der Gesundheitsberufe auch als Reaktion auf die bestehende Kommerzialisierung der Patientenversorgung mehr in den Vordergrund rückt“, so Jonitz.
Die Ärztekammer Berlin fordert einen Stopp der „bevormundenden Politik“. Stattdessen sei ein Dialog über bestehende Herausforderungen der Patientenversorgung in Zeiten des Wandels („Digitalisierung“) und eine neue politische Strategie der „Optimierung der Versorgung“ anstelle des Versuchs der „Dezimierung von Kosten, Mengen und Strukturen“ notwendig.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: