Kopfschmerzen: Tablettenkonsum schon im Kindesalter besorgniserregend

Berlin – Die Zahl junger Menschen in Deutschland mit ärztlich diagnostizierten Kopfschmerzen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen, teilte die Krankenkasse Barmer heute in Berlin bei der Vorstellung ihres Arztreports 2017 mit. Eine repräsentative Umfrage mit 500 Kindern belegt zudem einen bedenklichen Tablettenkonsum, der bereits bei den Kleinsten beginnt. Die Techniker Krankenkasse stellte ihre Daten zum Thema Schmerz nur zwei Tage später vor. „Den hier beobachteten Trend können wir bestätigen“, sagte Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse.
Besonders alarmierend seien die Fallzahlen unter den 18- bis 27-Jährigen, sagte Christoph Straub, Vorstandschef der Barmer. Hier haben sich die Fälle zwischen 2005 und 2015 um 42 Prozent erhöht. Etwa 1,3 Millionen Menschen leiden in dieser Altersgruppe an Kopfschmerzen. Hinzu komme eine wahrscheinlich nicht unbeträchtliche Dunkelziffer, weil längst nicht alle Betroffenen mit heftigeren Kopfschmerzen zum Arzt gingen. Die Ergebnisse des Ärztereports 2017 der Barmer basieren auf den Daten von acht Millionen Versicherten.
Migränemittel werden häufiger verordnet
Im Rahmen des Reports führte die Barmer auch eine Online-Befragung von 6- bis 19-Jährigen durch. Demnach leiden 13 Prozent der Kinder und Jugendlichen selten oder nie unter Kopfschmerzen. Etwa ein Viertel der Altersgruppe leidet einmal pro Woche unter Kopfschmerzen, vier Prozent sogar täglich. Etwa 40 Prozent der Betroffenen nehmen Medikamente ein. Davon gibt wiederum fast die Hälfte an, meistens oder jedes Mal Medikamente gegen die Schmerzen zu nehmen. Auch bei den 18- bis 27-Jährigen nehmen die Verordnungszahlen von Migränemitteln zu. In der Zeit von 2005 bis 2015 sind sie um 58 Prozent gestiegen.
Diesen Trend stuften beide Referenten als „bedenklich“ ein. „Wer Kopfschmerztabletten regelmäßig oder gar übermäßig einnimmt, riskiert seine Gesundheit“, sagte Joachim Szecsenyi, Autor des Arztreports und Geschäftsführer des AQUA-Instituts für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen in Göttingen.
Mit Abstand am häufigsten wurde 2015 als Migränemittel mit einer Verordnungsrate von rund 0,6 Prozent Sumatriptan verordnet, heißt es im Arztreport der Barmer. Triptane eignen sich zwar bei der Therapie akuter Migräneattacken, sagte Straub. Allerdings bestünde – wie bei anderen Arzneimitteln auch – bei häufiger Anwendung die Gefahr eines medikamenteninduzierten Kopfschmerzes (Medikamentenübergebrauchs-Kopfschmerz [MÜK]). Problematisch schätzt Szecsenyi auch die regelmäßige Einnahme von nicht rezeptpflichtigen Mischpräparaten ein, die etwa Paracetamol und Acetylsalicylsäure zugleich enthalten.
Prävention statt Medikation
Ähnlich wie die TK setzten auch Straub und Szecsenyi auf eine Prävention der Kopfschmerzen, beispielsweise mit digitalen Angeboten. Die App m-Sense ist auf dem deutschen Markt als Medizinprodukt zertifiziert. Sie erkennt Ursachen und analysiert den Verlauf von Migräne und Spannungskopfschmerzen. Die Wirksamkeit ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht erwiesen. In Kürze startet ein Pilotprojekt, bei dem Telekommitarbeiter neue Funktionen der App testen werden. Hingegen sei die Wirksamkeit der Migräne-App der TK bereits erwiesen, berichtete Hartmut Göbel, Neuorologe an der Schmerzklinik Kiel. Nach Angaben der Patienten konnte die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage gesenkt werden.
An Schulen habe sich zudem die „Aktion Mütze – Kindheit ohne Kopfzerbrechen“ bewährt, berichtete Straub über das Präventionsprogramm der Barmer, das kostenlose Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellt. „In der Pilotphase haben wir bereits eine Senkung der Kopfschmerzen um 70 Prozent erreicht.“ Ein ähnliches Projekt namens „Kopf hoch“ will die Barmer daher auch an Universitäten testen.
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