ADHS in Deutschland: Trends in Diagnose und Therapie
Köln – Wie gut ist es um die medizinische Versorgung von Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Erwachsenenalter bestellt? Dieser Frage widmen sich zwei Beiträge in der aktuellen Ausgabe des Deutschen Ärzteblattes.
Christian J. Bachmann und Koautoren werten in ihrer Arbeit die Routinedaten aller AOK-Versicherten zur Häufigkeit von ADHS-Diagnosen und ADHS-Medikamentenverordnungen im Zeitraum 2009–2014 aus. Ergänzend analysieren sie die Versorgung einer Kohorte 15-jähriger ADHS-Patienten im Verlauf von sechs Jahren (2008–2014), um das Versorgungsgeschehen beim Übergang ins Erwachsenenalter nachvollziehen zu können. Zu dieser Transitionskohorte gehörten alle AOK-Versicherten mit ADHS-Diagnose, die im Jahr 2008 fünfzehn Jahre alt und bis 2014 durchgängig versichert waren (Dtsch Arztebl Int 2017; 114: 141–8).
Man könne heute nicht mehr wie früher davon ausgehen, dass sich eine ADHS mit der Pubertät „auswachse“, betonen die Autoren. Aktuelle epidemiologische Studien würden eine ADHS-Persistenz in rund der Hälfte aller Fälle belegen. Anders sieht die Entwicklung auf der Grundlage der AOK-Daten aus. Hiernach stieg die Häufigkeit der ADHS-Diagnosen in den Jahren von 2009 bis 2014 bei den Versicherten unter 18 Jahren von 5,0 % auf 6,1 % und bei den 18- bis 69-Jährigen von 0,2 % auf 0,4 % an. Während der Anteil mit ADHS-Medikamenten behandelter Erwachsener mit ADHS-Diagnose in diesem Zeitraum zunahm, ging der Anteil medikamentös behandelter Kinder und Jugendlicher zurück. Deutlich meistverordneter Wirkstoff war Methylphendiat.
Bachmann und Koautoren sehen zwar eine gesteigerte Sensibilisierung von Ärzten und Patienten für die adulte ADHS, gehen aber wegen der großen Diskrepanz zu der in epidemiologischen Studien ermittelten ADHS-Prävalenz von einem signifikanten Anteil nicht diagnostizierter Fälle aus. Die Daten aus der Transitionskohorte, in der die Medikationsquote von 51,8 % auf 6,6 % zurückging, werten sie nicht als ein Indiz für eine sehr niedrige ADHS-Persistenz, sondern sehen darin Hinweise auf allgemeine Probleme der Gesundheitsversorgung beim Übergang ins Erwachsenenalter. Hier könnten spezifische Transitionskonzepte Abhilfe schaffen.
Auch Ingrid Schubert und Gerd Lehmkuhl betonen in ihrem Editorial (Dtsch Arztbl Int 2017; 114: 140–1) zum Schwerpunktthema ADHS im Deutschen Ärzteblatt, dass die Versorgung von Erwachsenen mit ADHS unzureichend sei. Allerdings fehlten bisher belastbare empirische Daten darüber, wie viele der betroffenen Erwachsenen einer psychopharmakologischen und/oder psychotherapeutischen Behandlung aufgrund der Ausprägung ihrer Symptomatik bedürfen. Deshalb treffe die Schlussfolgerung einer Unterversorgung nur bedingt zu.
Die Diskrepanz gegenüber der in epidemiologischen Studien erhobenen ADHS-Prävalenz könne auch darauf zurückzuführen sein, dass nicht bei allen Betroffenen eine Behandlungsbedürftigkeit im engeren Sinne vorliege, insbesondere keine Notwendigkeit für eine medikamentöse Einstellung bestehe, auch wenn die Kriterien für das Vorliegen einer ADHS erfüllt seien. Schubert und Lehmkuhl sehen aber auch die Notwendigkeit, sich grundsätzlich besser um die medizinische Versorgung von Patienten beim Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter zu kümmern. Es könne nicht selbstverständlich davon ausgegangen werden, dass dabei alle Betroffenen die notwendige therapeutische Unterstützung erhielten.
Abschließend gibt der CME-Beitrag von Tobias Banaschewski und Koautoren einen Überblick zum aktuellen Wissenstand zur Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie der ADHS (Dtsch Arztbl Int 2017; 114: 149–59). Die Autoren gehen davon aus, dass mindestens drei Viertel der betroffenen Kinder und Jugendlichen eine komorbide Störung entwickeln, welche die Diagnostik erschwert, die Therapie verkompliziert und die Prognose verschlechtert. ADHS wird als ein multifaktorielles Geschehen angesehen, dem durch eine umfassende und sorgfältige Diagnostik Rechnung zu tragen sei.
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