Politik

Ärzte und Krankenkassen warnen vor SPD-Plänen

  • Montag, 22. Januar 2018
/stockWERK, stock.adobe.com
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Berlin – Die Delegierten des SPD-Sonderparteitags haben zwar für Koalitions­verhandlungen mit der Union gestimmt, aber auch Nachbesserungen gefordert. Diese stoßen bei Ärzten und Krankenkassen auf Ablehnung.

Die SPD hatte angekündigt, eine „gerechtere Honorarordnung“ sowie die Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) für Beamte in den Verhandlungen durchsetzen zu wollen. Wie eine solche Honorarordnung für Ärzte, also eine einheitliche Vergütung von Ärzten für die Versorgung von gesetzlich Kranken­versicherten und Privatpatienten, aussehen könnte, sagten die Sozialdemokraten nicht.

Gute Versorgung nicht gefährden

„Natürlich sind Verbesserungen möglich und teilweise auch notwendig. Jedoch wäre es fatal, aus Ideologie ein funktionierendes Gesundheitswesen auf den Kopf zu stellen und gefährliche Experimente einzugehen“, warnte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen. Seiner Auffassung nach sei die medizinische Versorgung der Menschen in Deutschland gut. Alle Bürger hätten eine qualitativ hochwertige und umfassende Versorgung mit Zugang zu neuesten medizinischen Verfahren – und zwar unabhängig von Versicherungsstatus und Einkommen.

„Das Beispiel England zeigt aktuell sehr drastisch, wohin staatlich definierte Einheits­vergütungen und Bürgerversicherungen führen – nämlich zu einer schlechteren Versorgung für alle“, mahnte Gassen. Wer die Versorgung der gesetzlich Versicherten wirklich verbessern wolle, könne auf die KBV zählen. Das Finanzpolster der Kranken­kassen sei zudem mit mehr als 25 Milliarden Euro so üppig, dass diese Verbesserungen auch ohne Beitragserhöhungen möglich seien.

Gassen plädierte erneut dafür, die Grundleistungen aus der Budgetierung zu holen. „Es ist eine Zumutung für Ärzte und Versicherte, dass 10 bis 20 Prozent der Leistungen nicht vergütet werden. Hierdurch könnte ein noch schnellerer Zugang der Patienten gewährleistet werden“, so Gassen.

Keine Pseudoreformen anstoßen

Der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery machte wiederholt deutlich, dass Deutschland „das gerechteste Gesundheitswesen der Welt“ hat. „Nirgendwo sonst erhalten Patienten so viele Leistungen in so hoher Qualität ohne finanzielle oder andere Zutrittsbarrieren. Seine enorme Leistungsfähigkeit darf nicht durch ideologiegeleitete Forderungen nach Pseudoreformen infrage gestellt werden“, sagte er heute dem Deutschen Ärzteblatt. Er forderte die Verhandlungspartner in den anstehenden Koalitionsgesprächen auf, nach Möglichkeiten zu suchen, das Gesund­heitssystem „mit Verstand weiterzuentwickeln“.

Grundsätzlich begrüßte Montgomery, dass der SPD-Parteitag den Weg freigemacht hat, eine stabile Regierung für Deutschland zu bilden. Union und SPD hätten sich in ihren Sondierungsgesprächen darauf verständigt, die wesentlichen Herausforderungen für das Gesundheitswesen „problemorientiert und ideologiefrei zu bewältigen“, so Montgomery. Mit dem Ausbau der sektorenübergreifenden Versorgung, Neuregelungen bei der Notfallversorgung und der Bereitstellung von Investitionsmitteln für neue Technologien und Digitalisierung hätten Union und SPD „wichtige Zukunftsthemen benannt, die den vollen Einsatz  der künftigen Bundesregierung erfordert“.

Der Vorsitzende des Hartmannbundes, Klaus Reinhardt, appellierte an die SPD, sich nicht länger in der Jagd auf das „Phantom Zwei-Klassen-Medizin“ aufzureiben. Eine einheitliche Gebührenordnung wäre nicht nur unter rechtlichen und ordnungs­politischen Gesichtspunkten inakzeptabel, sondern täusche auch darüber hinweg, dass das bestehende Honorarsystem der GKV das eigentliche Problem darstelle.

„Wenn vor allem lange Wartezeiten am Quartalsende als maßgebliches Problem für Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung und angebliches Indiz für vermeintliche Klassenunterschiede zwischen privater und gesetzlicher Kranken­versicherung ausgemacht werden, dann ist es an der Zeit, endlich grundlegende Änderungen am Honorarsystem in der GKV vorzunehmen“, sagte er. Denn wenn etwas – zum Beispiel mit Blick auf die Terminvergabe – zu unterschiedlichen Entwicklungen in den Versicherungssystemen geführt habe, dann seien dies ganz maßgeblich im Honorarsystem der GKV implementierte Fehlsteuerungen.

Mehr Freiräume und Zeit für Patienten

„Die pauschalierte Bezahlung ärztlicher Leistungen in Quartalen unter dem Deckel eines begrenzten Budgets generiert unnötige Patientenkontakte und führt nicht nur gegen Ende des Quartals zu Terminengpässen. Eine wesentliche Maßnahme zur Behebung dieses Problems, wäre in einem ersten Schritt die Umstellung des Systems auf zum Beispiel halbjährige Abrechnungen bei Anerkennung des bestehenden Honoraranspruches“, sagte der Hartmannbundvorsitzende.

Dabei gehe es ausdrücklich nicht um Leistungsreduzierung, sondern um größere Freiräume und mehr Zeit für den einzelnen Patienten. Reinhardt appellierte nicht nur an den Gesetzgeber, sondern vor allem auch an die Krankenkassen, sich dieser Diskussion konstruktiv zu stellen – „bitteschön unter Versorgungsgesichtspunkten und nicht mit dem kurzsichtigen Blick auf mögliche Einspareffekte“, machte Reinhardt klar.

Krankenkassen wollen nicht mehr bezahlen

Auch der Bundesverband niedergelassener Fachärzte (BVNF) erteilte den SPD-Plänen einer einheitlichen Gebührenordnung als Einstieg in eine „Bürgerversicherung light“ eine klare Absage. Sollte dieses Schreckgespenst allerdings über die Hintertür des Druckaufbaus der SPD auf die Union Eingang in den Koalitionsvertrag finden, könne man dem Wunsch der SPD auf eine Besserstellung der gesetzlich Versicherten „gerne gleich nachkommen“, kündigte die Vorsitzende des BVNF, Ilka Enger, an. Man könne sofort alle gesetzlich Versicherten über die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zum Privatpatienten „aufwerten“.

Die Krankenkassen warnten heute vor einer Überforderung der GKV. Wenn einheitliche Honorierung bedeute, dass die Krankenkassen mehr und die privaten Kranken­versicherungen weniger bezahlen sollten, „dann lehnen wir das ab“, sagte der Vize-Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes Johann-Magnus von Stackelberg. Es gebe „keinen sachlichen Grund“, dass die Krankenkassen über die jährlichen Honorar­steigerungen hinaus noch mehr Geld an die niedergelassenen Ärzte bezahlen sollten.

may/afp

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