Ärztetag verabschiedet Essener Resolution für Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession

Essen – Der ärztliche Beruf ist ein freier Beruf, und dies gilt für alle 550.000 Ärztinnen und Ärzte, die die Bundesärztekammer (BÄK) vertritt – egal ob niedergelassen oder angestellt.
Das stellten die Delegierten des 127. Deutschen Ärztetages eindeutig mit ihrer heute verabschiedeten „Essener Resolution für Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession“ klar. Bereits in Paragraf 1 der Ärztlichen Berufsordnung heiße es: „Der ärztliche Beruf ist […] seiner Natur nach ein freier Beruf“, betonten sie.
„Diese Freiberuflichkeit ergibt sich aus dem Selbstverständnis der ärztlichen Profession“, erläuterten die Delegierten. Grundlegend dafür seien das ärztliche Berufsethos, die Gemeinwohlorientierung der ärztlichen Tätigkeit und die spezifisch ärztliche Fachkompetenz, aus denen sich die Therapiefreiheit und Weisungsunabhängigkeit bei ärztlichen Entscheidungen ableiteten.
„Ärztinnen und Ärzte richten ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten aus – unabhängig von kommerziellen Erwartungshaltungen Dritter“, erklärte der Ärztetag.
Zudem forderte er eine systematische und strukturelle Einbindung der Ärzteschaft bei allen gesundheitspolitischen Prozessen, Reformvorhaben und Gesetzesverfahren. Diese Einbindung sei eine grundlegende Voraussetzung für eine medizinisch-wissenschaftlich fundierte, und patientenzentrierte Neuausrichtung der Gesundheitsversorgung.
Die Essener Resolution solle zur Selbstreflektion anregen, damit die Ärzteschaft nicht in Gefahr gerate, deprofessionalisiert zu werden, erklärte Ellen Lundershausen, Präsidentin der Ärztekammer Thüringen und Vizepräsidentin der Bundesärztekammer.
Man müsse die junge Generation über die Grundzüge der Freiberuflichkeit informieren, auch dies sei Aufgabe des Kammersystems. Alle Ärzte übten unabhängig von Stellung und Ort der ärztlichen Tätigkeit einen freien Beruf aus. „Wir können es nicht genug wiederholen, damit es Ärzteschaft durchdringt“, so Lundershausen.
Die Freiheit, für das Wohl der Patienten zu handeln, ist dem 127. Deutschen Ärztetag zufolge das Fundament der besonderen Vertrauensbeziehung der Patienten zu ihren behandelnden Ärzten. Freiberuflichkeit finde ihren Ausdruck in der persönlichen Verantwortung, die Ärzte ihren Patienten gegenüber übernehmen. „Freiheit und Verantwortung in der ärztlichen Profession sind untrennbar mit der ärztlichen Selbstverwaltung als Organisationsprinzip verbunden“, betonten sie.
Für Günther Matheis, Präsident der Ärztekammer Rheinland-Pfalz und Vizepräsident der Bundesärztekammer, sind Freiheit und Verantwortung persönlich wichtig, weil die beiden scheinbar widersprüchlichen Begriffe für ihn „die Essenz der ärztlichen Profession“ ausmachen.
Es gehe darum, sich bewusst zu machen, dass im Zuge der Selbstverwaltung eines Freien Berufes die Gemeinwohlorientierung nicht verhandelbar sei. „Freiheit in der ärztlichen Profession ist nur möglich vor dem Hintergrund der Verantwortung und der damit verbundenen Pflichten“, betonte er.
Freiheit heiße dabei aber nicht, dass jeder mache, was er wolle, so Matheis. „Freiheit gilt unter der Voraussetzung unserer Berufsordnung und des ärztlichen Gelöbnisses, sie gilt unter der Voraussetzung unserer Standards an Qualität und Patientensicherheit.“
Verantwortung tragen könnten Ärztinnen und Ärzte aber nur, wenn sie gleichzeitig die Freiheit hätten, ihr Wissen und ihre Erfahrung beim individuellen Patienten anzuwenden, erklärte er. „Dabei müssen wir weisungsunabhängig sein, frei von Weisungen und Interessen Dritter. Es darf uns einzig um das Wohl unserer Patientinnen und Patienten und das Wohl unserer Gesellschaft gehen.“
Eindeutig stellte Matheis klar, dass Freiheit und Verantwortung eine Einheit bilden. „Diese Einheit ist unsere Freiberuflichkeit, die für alle Ärztinnen und Ärzte gilt.“ Der BÄK-Vize rief dazu auf, sich gegen alle Bestrebungen zu wehren, die die Freiberuflichkeit abschaffen wollten.
Man müsse sich auf das besinnen, was die ärztliche Selbstverwaltung ausmache und wofür sich Ärzte vor mehr als 150 Jahren zusammengeschlossen hätten. „Die Professionalität als innere Haltung der Ärzteschaft ist nicht nur ihr eigener Wert. Er ist zugleich ein Wert der Gesellschaft“, betonte er.
Auf den Wert für die Gesellschaft weist auch die Essener Resolution hin: Unzureichende finanzielle und personelle Ressourcen trotz steigendem Behandlungsbedarf, eine zunehmende Kommerzialisierung in der Medizin, staatsdirigistische Eingriffe in die Selbstverwaltung sowie eine überbordende Kontrollbürokratie führten derzeit zu enormer Arbeitsverdichtung und vielfach auch Überlastung der Berufe im Gesundheitswesen. Umso wichtiger sei der frühzeitige Einbezug des ärztlichen Sachverstandes in alle gesundheitspolitischen Reformvorhaben und in deren Umsetzung.
Nach Ansicht des 127. Deutschen Ärztetags soll sich die Politik darauf beschränken, Rahmenvorgaben zu machen. Starre Fristen und detaillierte Vorgaben verhinderten, dass die Selbstverwaltung ihrem Auftrag zur Gestaltung von Versorgung nachkommen könne.
Durch Eingriffe der staatlichen Organe in die Funktionsabläufe der Körperschaften der gemeinsamen Selbstverwaltung werde deren Entscheidungskompetenz zunehmend eingeschränkt und damit gelähmt, monierten die Delegierten. Immer mehr werde immer detaillierter im Gesetz geregelt – auch ohne ein Einverständnis der Körperschaften.
Zudem wiesen die Delegierten darauf hin, dass es auch im Rahmen der fortschreitenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens zu einer „Erosion der Freiberuflichkeit“ sowohl im Bereich der angestellten Ärzte als auch der in freier Niederlassung tätigen Ärzte komme.
Es würden zunehmend von „Nichtärzten“ Entscheidungen mit direkter und indirekter Auswirkung, auf die Patienten getroffen. Sie forderten Krankenhausträger, die Träger des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Träger großer OP-Zentren, Träger von medizinischen Versorgungszentren, insbesondere von investorengeführten medizinischen Versorgungszentren auf, die freie ärztliche Entscheidungsfindung des Arztes oder der Ärztin strikt zu wahren.
Durch die Möglichkeit, Gewinne aus dem Solidarsystem zu entnehmen, werde im Gesundheitssystem nicht die medizinische, sondern die wirtschaftliche Effizienz bewertet und honoriert, monierte der Ärztetag weiter.
Angesichts der Tatsache, dass der Freie Beruf immer mehr attackiert werde, halte er es für äußerst wichtig, die Bedeutung der Freiberuflichkeit immer wieder zu betonen, sagte Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin.
Besonders treibe ihn die Sorge um, dass kein Aufschrei in Gesellschaft zu hören sei. Auch innerärztlich sei dieser nur begrenzt wahrnehmbar. „Viele wissen gar nicht, was Freiberuflichkeit ist“, mahnte er. „Wir brauchen neue Wege der Kommunikation und der Teilhabe – auch das liegt in der Verantwortung unserer Freiberuflichkeit.“
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