Umfrage: Was junge Ärzte über die interprofessionelle Zusammenarbeit denken

Essen – Junge und angehende Ärzte wollen in Zukunft mehr interprofessionell im Team arbeiten. Das ergab ein Stimmungsbild bei der gestrigen Veranstaltung „Dialogforum Junge Ärztinnen und Ärzte“ im Vorfeld des 127. Deutschen Ärztetages.
Interprofessionelles Arbeiten sei im Klinik- und Praxisalltag längst Realität, allerdings sei für eine sinnvolle und gute Zusammenarbeit eine genaue Aufgaben- und Verantwortungsverteilung notwendig, so der Konsens.
Neun junge Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinstudierende berichteten dem Deutschen Ärzteblatt, welche Erfahrungen sie mit anderen Gesundheitsberufen gemacht haben und welche Hoffnungen sie bezüglich einer gestärkten Zusammenarbeit hegen.
Eine gute Kommunikation, eine funktionierende Weiterbildung sowie eine verstärkte interprofessionelle Orientierung bereits in der Ausbildung ist den jungen Medizinern wichtig.
Leonard Matthias (32), Arzt in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Greifswald

Wir arbeiten heute schon sehr eng mit anderen Gesundheitsberufen zusammen. Ich war etwa für eine sechsmonatige Rotation in einer dermatologischen Praxis.
Eine Medizinische Fachangestellte hatte dort auch kleinere chirurgische Eingriffe übernommen und führte selbst venöse Ultraschalluntersuchungen durch. Von ihr konnte ich in dieser Zeit sehr viel lernen.
Ich denke, ein Risiko besteht nur, wenn die Zusammenarbeit mit den anderen Berufsgruppen unreguliert und nicht klar definiert ist.
Alexandra Archodoulakis (24), Studentin im PJ, Berlin

Hinsichtlich der interprofessionellen Zusammenarbeit können wir Ärztinnen und Ärzte viel mehr gewinnen als verlieren.
Unsere Arbeitsbedingungen müssen deutlich verbessert werden und ein Teil der Lösung liegt auch in der verstärkten Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen.
In anderen Ländern führen nicht ärztliche Gesundheitsberufe schon deutlich mehr Tätigkeiten durch als es hierzulande üblich ist und entlasten damit Ärztinnen und Ärzte.
Deutschland gehört beispielsweise zu den wenigen Ländern, wo Ärzte alleinig befähigt sind auf der Station Blutentnahmen durchzuführen.
Die frühe Integration von Interprofessionalität im Studium führt im Berufsverlauf zudem zu niedrigeren Barrieren, einer besseren Kommunikation und mehr Wertschätzung. Im Endeffekt arbeiten alle Berufsgruppen für das Patientenwohl. Dafür ist ein ordentlicher Dialog auf Augenhöhe wichtig.
Friederike Fabian (30), Ärztin in Weiterbildung, Neurologie, Stuttgart

In meiner Klinik erlebe ich eine gute interprofessionelle Zusammenarbeit. Allerdings ist die Zeit oft knapp für die Kommunikation untereinander. Diese sollte in der Weiterbildung gestärkt und gefördert werden.
Wünschen würde ich mir beispielsweise gemeinsame Visiten in der Neurologie, um gemeinsam die Versorgung der Patientinnen und Patienten abzustimmen und dabei auch die Kompetenzen der anderen Gesundheitsberufe einzubeziehen.
Kathrin Schawjinski (37), Ärztin in Weiterbildung, Orthopädie, Hamburg

Interprofessionelles Arbeiten ist sowohl in der Klinik als auch in der Praxis allgegenwärtig. Eine gute Kommunikation ist essenziell und alle Berufsgruppen müssen sich niedrigschwellig abstimmen.
Andere Gesundheitsberufe sind durchaus in der Lage unsere Arbeit zu erleichtern. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass notwendige Ausbildungsinhalte wie zum Beispiel OP-Assistenzen oder weitere praktische Erfahrungen für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung wegfallen und von anderen Berufsgruppen übernommen werden.
Es sollte nicht sein, dass Ärzte in Weiterbildung noch mehr administrative Aufgaben wie das Schreiben von Arztbriefen übernehmen.
Beispielsweise übernehmen Physician Assistants in vielen Kliniken zunehmend den Wundverschluss. Das gehört allerdings zu den Fähigkeiten, die in operativen Fächern erlernt werden müssen.
Fabian Landsberg (25), Medizinstudent, Heidelberg

Nach meiner Ansicht gibt es aktuell noch großen Verbesserungsbedarf in der interprofessionellen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen. Um bestehende Vorurteile gar nicht erst zu erlernen, muss Interprofessionalität schon in der Ausbildung gelehrt werden.
Es gibt bereits mehrere Ansätze, sogenannte interprofessionelle Ausbildungsstationen (IPSTA). Die erste solcher Stationen wurde an meiner Fakultät in Heidelberg umgesetzt, daraufhin folgten die Standorte Bonn und Regensburg, auch an den Universitäten in Dresden und Berlin gibt es interprofessionelle Angebote, aber bisher leider keine nationalen Regelungen und Systeme.
Trotz der unterschiedlichen Ausgestaltung von interprofessioneller Lehre an den verschiedenen Universitäten, bekommen wir in der Bundesvereinigung der Medizinstudierenden in Deutschland nur positive Rückmeldungen zu interprofessionellen Lehrveranstaltungen.
Louisa Hecht (29), Ärztin in Weiterbildung, Allgemeinmedizin, Nürnberg

Während meiner Weiterbildung in der Allgemeinmedizin habe ich bisher gute Erfahrungen mit der Zusammenarbeit mit VERAHs (Versorgungsassistent/in in der Hausarztpraxis, Anm.d.Red.) gemacht.
Durch ihre vorherige Funktion als Medizinische Fachangestellte kennen sie die bestehenden Strukturen in der hausärztlichen Praxis, die Besonderheiten der langfristigen Patientenversorgung und der Vielfältigkeit der Arbeit im niederschwelligen Versorgungsbereich.
Durch diese Entlastung des Arbeitsalltages kann sich meine Weiterbilderin zum Beispiel auch meiner ärztlichen Weiterbildung besser widmen.
Dem Einsatz eines/einer Physician Assistant, für den/die diese allgemeinmedizinischen Inhalte bisher nicht Teil des Curriculums sind, stehe ich jedoch skeptisch entgegen.
Giulia Ritter (21), Medizinstudentin, Bonn

Interprofessionelle Lehrveranstaltungen sind leider bis heute nicht ausreichend im Curriculum verankert, sondern nur an einigen Universitäten für einzelne Fächer etabliert.
In der praktischen Ausbildung im Rahmen des Praktischen Jahres (PJ) sind interprofessionelle Ausbildungsstationen, wie sie bereits an einzelnen Standorten existieren, aber eine exzellente Möglichkeit.
Studierende im PJ arbeiten eigenverantwortlich im Klinikalltag und erlernen unter Supervision von ausgebildeten Vertreterinnen und Vertretern aller Berufsgruppen eine ganzheitliche Patientenbetreuung sowie das alltägliche Stationsmanagement.
Wünschenswert wäre die wissenschaftliche, strukturelle und finanzielle Förderung weiterer Stationen und darauf basierend die Entwicklung bundesweiter Mindeststandards, die auch standortspezifische Besonderheiten der einzelnen Fakultäten berücksichtigen.
Die Betreuerinnen und Betreuer solcher Stationen sollten einheitlich geschult sowie die für diese Station nötige Lehr- und Betreuungszeit finanziell gedeckt sein.
Pauline Graichen (21), Medizinstudentin, Marburg

Aus meiner Sicht als angehende Ärztin gilt es, die Potenziale der unterschiedlichen Gesundheitsberufe besser zu nutzen. Für eine funktionierende interdisziplinäre Zusammenarbeit müssen die Kompetenzen und Grenzen der jeweiligen Gesundheitsberufe definiert sein und klare Verantwortlichkeiten geschaffen werden.
Momentan gibt es da Verbesserungsbedarf. Dahingehend ist auch die Reform der ärztlichen Approbationsordnung dringlich gefordert. Bisher soll das Pflegepraktikum die Gelegenheit bieten, die Arbeit der Gesundheitspflege kennenzulernen.
Leider erfolgt jedoch häufig keine strukturierte Anleitung. Stattdessen werden Medizinstudierende im Pflegepraktikum eingesetzt, um den Pflegemangel auszugleichen und der Kompetenzerwerb wird dementsprechend limitiert.
Vorallem aber bietet das Pflegepraktikum keinen idealen interprofessionellen Ansatz, da die pflegerischen und ärztlichen Tätigkeiten nicht miteinander verknüpft werden. In sämtlichen medizinischen Praktika und auch im Praktischen Jahr (PJ) wird nur diejenige Interprofessionalität vermittelt, die im jeweiligen Stationsteam gelebt wird.
Um Interprofessionalität tatsächlich zu stärken, könnten beispielsweise interprofessionelle Fallbesprechungen mit Auszubildenden der Pflege, Physiotherapie und weiteren Therapieberufen sowie Studierenden der Pharmazie ein bereicherndes Lehrkonzept darstellen.
Ein gutes interprofessionelles Konzept, das in den letzten Jahren in Deutschland gewachsen ist, sind interprofessionelle Ausbildungsstationen (kurz: IPSTAs). Dort betreuen Medizinstudierende im Praktischen Jahr gemeinsam mit Auszubildenden der Pflege eigene Patienten und lernen das Arbeiten im interprofessionellen Team kennen.
Die aktuellen Ergebnisse des PJ-Barometers des Marburger Bundes zeigen eine hohe Zufriedenheit der Studierenden, die einen Teil des Praktischen Jahres auf einer IPSTA verbringen konnten. Aktuell kann allerdings deutschlandweit durch die geringe Zahl der IPSTAs nicht allen PJ-Studierenden eine Teilnahme auf einer IPSTA ermöglicht werden. Daher sollten bundesweite Vorgaben das Praktische Jahr interprofessioneller gestalten.
Nils Vogel (33), Facharzt für Allgemeinmedizin, Köln

Der teamorientierten Patientenversorgung gehört die Zukunft. Dabei dürfen aber nicht die Besonderheiten des ambulanten Sektors aus dem Fokus geraten.
Um ineffiziente Parallelstrukturen zu vermeiden, müssen Ärztinnen und Ärzte die Versorgung unter einem Dach in Teampraxen dirigieren.
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