Ärzteschaft

127. Deutscher Ärztetag eröffnet: Zwischen Distanz und dem Willen zur Zusammenarbeit

  • Dienstag, 16. Mai 2023
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (links) und der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt im Gespräch bei der Eröffnung des 127. Deutschen Ärztetags. /Gebhardt
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (links) und der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, im Gespräch bei der Eröffnung des 127. Deutschen Ärztetags. /Gebhardt

Essen – Ein hohes Maß an Wertschätzung für die ärztliche Selbstverwaltung hat Bundesgesundheitsminis­ter Karl Lauterbach (SPD) heute im Rahmen der Eröffnung des 127. Deutschen Ärztetages in der Philhar­monie Essen ausgedrückt. Ein „Lobbyismus für bessere Gesundheitsversorgung“ sei nicht ehrenrührig – in diesem Sinne begreife er die Selbstverwaltung als Partner.

Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), hatte zuvor betont, er halte es für einen „schwer­en politischen Fehler“, dass Lauterbach das Engagement der eigenen ärztlichen Kolleginnen und Kollegen als Lobbyismus diskreditiere, statt das wertvolle Erfahrungswissen für die gesundheitspolitische Arbeit zu nutzen.

Dabei habe die politische Einbindung der Ärzteschaft in der Coronapandemie und speziell bei den Ad–hoc–Maßnahmen zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes „sehr gut“ funktioniert, so Reinhardt. Generell habe man in der Pandemie gezeigt, dass man in der Lage sei, neue Wege zu gehen, pragmatische Lösungen zu finden und flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren.

„Vor allem haben wir bewiesen, dass es einen echten Mehrwert hat, wenn die Ärzteschaft eng in die wich­tigen, die Gesundheit der Menschen betreffenden Entscheidungen einbezogen wird“, sagte er. Allerdings kritisierte er, dass es immer kürzere Fristen zur Stellungnahme von Gesetzen gebe. Was in der Corona­pande­mie als Notfall noch bis zu einem gewissen Grad habe nachvollzogen werden können, sei nun nicht mehr ver­ständlich.

Bei Stellungnahmefristen von gelegentlich nur wenigen Stunden sei es nicht mehr möglich, die komplexen Anträge zu lesen, zu durchdringen und zu verstehen, so Reinhardt. Das gelte nicht nur für die Organisatio­nen des Gesundheitswesens, sondern auch für die Abgeordneten.

„Ich halte eine solche Pro-Forma-Beteiligung des Parlaments und der organisierten Zivilgesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Akzeptanz politischer Entscheidungen für demokratiegefährdend“, sagte Reinhardt. Nur mit einer guten Beteiligung aus dem gesamten Gesundheitswesen könne man die Reformen „einem Praxischeck“ unterziehen.

Daher gelte für die geplante Krankenhausreform: Solle sie auch nur im Ansatz erfolgreich sein, müssten die in der Ver­sorgung praktisch Tätigen von Beginn an miteinbezogen werden.

Reinhardt verwies darauf, dass die Selbstverwaltung bei den bereits eingeleiteten Reformen im Bereich der Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen (NRW) frühzeitig und intensiv einbezogen worden sei. Das hatte auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in seinem Grußwort betont.

Der Bund könne sich inhaltlich-fachlich wie auch prozedural ein Vorbild an NRW nehmen, so der BÄK-Prä­sident. Der Einbezug der Selbstverwaltung sei für die Politik zwar manchmal unbequem, aber notwendig, weil weder ein Ministerium allein, noch eine von der Regierung eingesetzte Kommission alle möglichen Auswirkungen einer Reform antizipieren könne.

Dies gelte bei der Krankenhausreform beispielsweise für die Folgen der geplanten Versorgungsstufen auf die ärztliche Weiterbildung. Zudem müssten die Auswirkungen der Reform unter Einbindung der Akteure aus der Versorgung auf den vertragsärztlichen Bereich mitgedacht werden. Ein Verdrängungswettbewerb zwischen den Sektoren dürfe es nicht geben, warnte Reinhardt.

Grundsätzlich habe er den Eindruck, dass die Ampelregierung wenig Interesse an der Sicherung und Förde­rung der wirtschaftlich selbstständigen vertragsärztlichen Praxis habe. „Hier scheint aus dem Blick geraten zu sein, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Praxen und ihre Teams einen ganz wesentlichen Teil der Patientenversorgung in Deutschland sicherstellen. Und wenn dann die Politik den ambulanten Sektor in den Blick nimmt, dann um zu kürzen und zu streichen.“

Und während man es den Ärzten in der ambulanten Versorgung immer schwerer mache, plane das Bundes­gesundheitsministerium (BMG) den Aufbau von teuren Parallelstrukturen wie Kiosken, Nurses oder neuen Lotsenberufen.

Statt damit neue Schnittstellen und Abstimmungsprobleme zu verursachen, sei Lauterbach aufgerufen, die Praxen zu stärken, damit diese mit anderen Berufsgruppen gut zusammenarbeiten könnten. Der eindring­liche Appell Reinhardts: Die Entbudgetierung müsse nicht nur für einzelne Arztgruppen erfolgen, sondern für alle.

Dringend notwendig sei es auch, den ärztlichen Kollegen endlich zu Rechtssicherheit in der privatärztli­chen Abrechnung zu verhelfen. Die Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) müsse endlich auf den Weg gebracht werden, forderte Reinhardt. Die für eine Reform notwendigen Vorarbeiten habe man zusammen mit PKV und Beihilfe für den Verord­nungsgeber erledigt.

Reinhardt richtete sich dabei auch direkt an den Minister: „Als Verordnungsgeber ist es Ihre Pflicht, auch gegenüber Patientinnen und Patienten und der Ärzteschaft sowie der Kostenträger, eine transparente und rechtssichere Abrechnung privatärztlicher Leistungen auf Grundlage einer stets aktuellen Gebührenord­nung sicherzustellen.“

Auf die seit Langem von der Ärzteschaft geforderte GOÄ-Reform ging Bundesgesundheitsminister Lauter­bach nicht ein. Gerade zurückgekehrt von einem Ministertreffen der G7-Länder in Japan, appellierte er noch einmal, dass der Krieg in der Ukraine schnell beendet werden müsse.

Zuvor hatte schon Reinhardt das Engagement der deutschen Ärztinnen und Ärzte bei der Unterstützung von Flüchtlingen, die medizinische Versorgung sowie die ehrenamtlichen Hilfsangebote betont. In Japan habe Lauterbach gesehen, wie dort die alternde Gesellschaft schon heute viel mehr ärztliches und pflegeri­sches Personal benötigt. Darauf müsse sich auch Deutschland einstellen. Daher müssten jetzt die Reformen angegangen werden, sei es mit der Erhöhung der Studienplätze oder mit Strukturreformen.

Bezüglich der anstehenden Neugestaltung der Krankenhauslandschaft sicherte der Minister zu, die ärztli­che Selbstverwaltung werde „noch sehr viele Gelegenheiten“ bekommen, sich einzubringen. Er wolle zu­nächst ein „Werkstück“ als Basis für die weitere Diskussion vorlegen.

Im „Schulterschluss“ mit der Ärzteschaft sieht sich Lauterbach beim Thema investorenbetriebene Medizi­nische Versorgungszentren (MVZ). Die „Fehlentwicklungen“ in diesem Bereich werde man in kommenden Gesetzen angehen – ebenso die Problematik der Arzneimittellieferengpässe.

Um die Freiberuflichkeit im ambulanten Versorgungsbereich zu stärken, solle zudem die Entbudgetierung nach den Kinder- und Jugendärzten auch für die Hausärzte kommen. Auch eine Entbürokratisierungsinitia­tive sowie persönliches Engagement für zusätzliche 5.000 Medizinstudienplätze kündigte Lauterbach er­neut an.

Insgesamt beschrieb er den „roten Faden" seiner Regierungstätigkeit als Abbarbeitung „der Versäumnisse der letzten zehn Jahre" im Gesundheitssystem. Neben den fehlenden Studienplätzen seien dies die Liefer­engpässe bei Arzneimitteln, bei den Medizinischen Versorgungszentren, die schwierigen Strukturen bei Kran­kenhäusern sowie in der „überdrehten" Ökonomie des Gesundheitswesens. Er halte sich nicht mit Rückbli­cken auf, schließlich habe seine Partei in den vergangenen zehn Jahren zeitweise mitregiert.

Daher sprach Lauterbach in Richtung der gesamten Ärzteschaft die Einladung aus, an diesen „Baustellen“ im Gesundheitswesen gemeinsam zu arbeiten – diese Einladung nahm Reinhardt im Namen der BÄK an.

aha/bee

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