Ärzteschaft

Alzheimerexperten warnen vor erneuter „krankmachender Isolation“ demenzkranker Menschen

  • Freitag, 18. September 2020
/Halfpoint, stock.adobe.com
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Berlin – Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen haben durch die Einschränkung sozialer Kontakte besonders unter der Coronapandemie gelitten. „Sollte eine neue Welle kommen, müssen wir dafür sorgen, dass diesmal Besuche möglich sind und nicht funda­mentale Menschenrechte ohne Prüfung des Einzelfalls eingeschränkt werden“, sagte Monika Kraus, Vorsitzende der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, heute bei einer Presse­konferenz anlässlich des bevorstehenden Welt-Alzheimertages in Berlin.

Die pflegenden Angehörigen hätten in dieser Zeit die Belastung größtenteils alleine schultern müssen, so Kraus weiter. Denn viele Unterstützungsmöglichkeiten, wie etwa Tagespflegen, seien weggebrochen. Demenzkranke, die in Heimen leben, hatten dagegen gar keinen Kontakt mehr zu Angehörigen. Die Beraterinnen am Alzheimer-Telefon hätten in diesen Monaten viele „verzweifelte Anrufe“ von Angehörigen bekommen, berichtete Kraus.

Da es an medikamentösen Therapieoptionen mangelt, spielen nichtmedikamentöse, psycho­soziale Behandlungsansätze wie Physiotherapie, Ergotherapie und Kunsttherapie bei Demenzkranken eine wichtige Rolle. „Doch nichtmedikamentöse Therapien sind Therapien, die Menschen erfordern“, sagte Michael Rapp, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie (DGGPP).

Deutlicher Verlust an Lebensqualität

Der Alterspsychiater geht davon aus, dass die Kohorte an Demenzkranken, die jetzt in Pflegeheimen leben, einen deutlichen Verlust an Lebensqualität und ein schnelleres Fortschreiten der Erkrankung erfahren werden. „Das Weglassen einer Therapie bedeutet den Verlust ihrer Wirksamkeit, speziell über drei, sechs oder mehr Monate“, betonte er.

Dass es, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kürzlich angekündigt hatte, keinen generellen Lockdown mehr geben soll, reicht Rapp zufolge nicht aus. Es müssten rasch bundesweite Konzepte entwickelt werden, die Ärzten, Therapeuten und Angehö­rigen auch während einer zweiten Erkrankungswelle sicheren Zugang zu Pflegeheimen ermöglichten. Die alten Menschen dürften nicht erneut in eine „krankmachende Isolation“ gebracht werden, so Rapp.

Rapp schlug zu diesem Zweck unter anderem mehr Personal für die Heime sowie Schnell­tests vor: „Sobald Schnelltests erhältlich sind, sollten sie primär diesen Einrichtungen verfügbar gemacht werden“, forderte er.

Auch die Alzheimer-Forschung hat gelitten

Die DGGPP, die Hirnliga und die Deutsche Alzheimer Gesellschaft mahnten außerdem einen Ausbau der klinischen Forschung zu Demenz und Alzheimer an. Die Corona­pandemie mit ihren vielfältigen Auswirkungen habe auch die Alzheimerforschung massiv beeinträchtigt, erklärte Isabella Heuser, Vorsitzende der Hirnliga.

So mussten klinische Untersuchungen von Studienpatienten unterbrochen werden, Forschungsprojekte konnten nicht starten und der Ambulanzbetrieb musste massiv heruntergefahren werden. Die Ressourcen, die derzeit in die Entwicklung eines Corona­impfstoffs investiert würden, wünsche sie sich auch für die Alzheimerforschung, betonte Heuser, denn die Krankheit belaste nicht nur viele Menschen, sondern auch die sozialen Sicherungssysteme.

nec

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