Ärzteschaft

Angriffe auf Ärzte: Ruf nach Meldesystem und Strafrechtsverschärfung

  • Dienstag, 18. Februar 2025
/Doodeez, stock.adobe.com
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Berlin – Nach einem brutalen Angriff auf einen Hausarzt im nordrhein-westfälischen Spenge drängt die Bundesärztekammer (BÄK) auf zentrale Meldesysteme in Bund und Ländern. Laut werden zudem Rufe nach einer Strafrechtsverschärfung.

Unter Arbeits- und Zeitdruck verzichteten Ärztinnen und Ärzte immer wieder darauf, Beleidigungen oder Pöbeleien anzuzeigen, sagte BÄK-Präsident Klaus Reinhardt. Auf Onlineplattformen sollten die Betroffenen derartige Fälle „unkompliziert mit wenigen Klicks melden“, schlägt er vor. Polizei und Justiz sollten diesen Fällen grundsätzlich unmittelbar nachgehen.

Ende Januar war der Spenger Hausarzt Andreas Schimke in seiner Praxis von einem Patienten bewusstlos geschlagen worden. Er habe erhebliche Verletzungen erlitten, leide unter Schmerzen, sei über mehrere Stunden im Krankenhaus behandelt worden und falle zwei Wochen am Arbeitsplatz aus, sagte der 54-Jährige. Von bleibenden Schäden sei aber nicht auszugehen.

Der Täter habe außerdem gedroht, ihn und seine Familie umzubringen. Die Polizei ermittelt. Was aus seiner Sicht schwerer wiegt: „Ich wundere mich über fehlende Konsequenzen, als der Geschädigte fühle ich mich nicht wirklich vertreten vom System.“ Nach Angaben der Polizei in Herford wird der mutmaßliche Täter, ein 24-Jähriger, fachärztlich begutachtet, ist aber weiter auf freiem Fuß.

Zwar fahre die Polizei Streife vor seiner Praxis, sagte Schimke. Aber: „Ich fühle mich nicht in ausreichendem Maße geschützt.“ Sein Eindruck sei, dass sich etwas tue in der Gesellschaft – und man in einer Gesellschaft, die zunehmend verrohe, die Hemmschwelle erhöhen müsse. Sein Vorschlag: Das Strafrecht verschärfen. Hausärzte, Klinikärzte und Beschäftigte in Praxen sollten in den Paragrafen 115 des Strafgesetzbuchs aufgenommen werden.

Bislang mache sich danach strafbar, wer Hilfeleistende wie etwa Beschäftigte der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes oder der Notaufnahmen durch Androhung von Gewalt oder tätlichen Angriff behindere, sagte Laura Dalhaus, Vorstandsmitglied des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe (HÄV). Angriffe gegen Ärztinnen, Ärzte und das Praxispersonal in der ambulanten Versorgung müssten aber ebenfalls ein Straftatbestand nach diesem Gesichtspunkt werden.

Marion Charlotte Renneberg, Hausärztin und stellvertretende Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN), mahnt an, die bestehenden Regeln auf „alle in der direkten Patientenversorgung tätigen Berufsgruppen“ zu erweitern.

Renneberg spricht von einem „immer rücksichtsloser werdenden Umgang mit den Beschäftigten im ärztlichen Notdienst, in Notaufnahmen, in Praxen, Kliniken sowie an vielen anderen Stellen der Gesundheitsversorgung“. Sie betont: „Dies ist absolut inakzeptabel.“

Auch Hausarzt Schimke betonte, das Problem betreffe ihn nicht allein. Er habe viele Zuschriften von Kollegen erhalten. „Es muss eine unendlich hohe Dunkelziffer geben.“ Allerdings seien Aggressionen weniger im Sprechzimmer, sondern mehr an der Anmeldung zu beobachten: „Man merkt den rauen Ton.“

BÄK-Präsident Reinhardt erklärte, der Angriff sei kein Einzelfall. „Gereiztheit ist weit verbreitet, und die Schwelle, an der sie übergeht in Aggression, ist definitiv gesunken.“ In den Praxen komme es immer häufiger zu gewaltsamen Übergriffen. „Diese Gewaltspirale muss gestoppt werden“, betonte er.

Notwendig sei nicht nur eine Strafrechtsverschärfung. Ermittlungsbehörden und Gerichte bräuchten auch die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen, um Angriffe konsequent ahnden zu können. „Nur so werden potenzielle Täter verinnerlichen: Angriffe auf Beschäftigte des Gesundheitswesens sind keine Kavaliersdelikte, sie sind schwerwiegende Straftaten“, betonte er.

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL), Dirk Spelmeyer, bezeichnete die zunehmenden Gewaltausbrüche gegen Ärzte, Psychotherapeuten sowie Praxispersonal als „besorgniserregend“

Leider hätten die Forderungen aus der Ärzteschaft nach einer gesetzlichen Verschärfung für einen besseren Schutz von Praxisteams in der Gesetzgebung der Ampelkoalition keine Berücksichtigung gefunden. „Hier muss die neue Bundesregierung dringend nachbessern – das zeigt nicht nur der jüngste Fall aus Spenge.“

„Die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen müssen der konsequenten Handlungs- und Durchsetzungsfähigkeit der staatlichen Vollzugsorgane vertrauen können“, sagte der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner.

Vor diesem Hintergrund sei es richtig gewesen, dass im vergangenen Jahr das Strafrecht verschärft worden sei. Auch wenn diese Verschärfung für die Praxen bereits gelte, sollten die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in einem Folgeschritt auch formell in den Gesetzestext aufgenommen werden.

„Noch wichtiger aber ist, dass die staatlichen Organe konsequent handeln und dass die Kolleginnen und Kollegen Vorfälle auch konsequent zur Anzeige bringen. Online-Anzeigen sind in den einzelnen Bundesländern ohne größeren Aufwand möglich“, so die KVV.

Nach einer Onlineumfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) unter knapp 7.600 Ärzten und Ärztinnen, Psychotherapeuten und medizinischen Fachangestellten haben vier Fünftel von ihnen 2023 Beschimpfungen, Beleidigungen oder Drohungen erlebt.

Davon schalteten 14 Prozent die Polizei ein oder erstatteten Anzeige. Und 43 Prozent der Befragten erlebten in einem Zeitraum von fünf Jahren auch körperliche Gewalt. Diese reichte von Tritten gegen das Schienbein, Schubsen und Spucken bis hin zu schweren Angriffen.

Eine Umfrage der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) unter ihren Mitgliedern zu deren Erfahrungen mit Gewalt von Mai 2024 zeigte: Binnen weniger Tage meldeten sich 4.513 Ärztinnen und Ärzte zurück – und mehr als die Hälfte (2.917) davon bejahte die Frage, im ärztlichen Alltag bereits Gewalt erfahren zu haben.

Die KVWL teilte mit, bei einer Umfrage zu Gewalt im vergangenen Jahr hätten 750 Praxen geantwortet – fast 20 Prozent hätten wegen Gewalterfahrungen in der Praxis Schwierigkeiten, ausreichend Personal zu finden.

dpa/may

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