Anhörung: Experten äußern sich zu möglichen Tests an schwer Demenzkranken
Berlin – Die Bundesregierung will Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen, wie zum Beispiel schwer Demenzkranken, unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen. Das stößt auf Widerstand – nicht nur im Parlament. Nun sollen sich Experten zu den Plänen äußern. Am morgigen Mittwoch erhalten im Gesundheitsausschuss des Bundestags die Sachverständigen das Wort.
Der Bundestag hatte sich noch 2013 einstimmig gegen eine solche „fremdnützige“ Forschung an Behinderten oder nicht einwilligungsfähigen Erwachsenen ausgesprochen. Doch dann tauchte im Gesetzentwurf zur Novellierung des Arzneimittelgesetzes aus dem Hause von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ein Satz auf, der vieles ins Rutschen brachte. Das Ministerium will „gruppennützige Studien an nicht einwilligungsfähigen Personen“ unter bestimmten Voraussetzungen erstmals erlauben.
Die Absenkung bisheriger Schutzstandards, wie Kritiker betonen, sollte vor der Sommerpause über die Bühne gehen. Die erste Beratung fand abends ohne öffentliche Debatte statt. Nach dem Protest zahlreicher Abgeordneter und Widerstand von Kirchen, Behindertenverbänden und Patientenorganisationen wurde die abschließende Abstimmung vertagt. Wie bei anderen schwierigen ethischen Fragen wurde der sogenannte Fraktionszwang aufgehoben, nach dem Abgeordnete mit ihrer jeweiligen Fraktion stimmen müssen.
Zur Anhörung liegen nun drei Anträge vor. Der SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach und der CDU-Abgeordnete Georg Nüßlein treten dafür ein, dass Personen nach ärztlicher Aufklärung und noch im Zustand der Einwilligungsfähigkeit ihre Bereitschaft zur späteren Teilnahme an Forschungsvorhaben in einer Verfügung erklären sollen. Der Vorschlag wird von rund 70 Parlamentariern getragen, einschließlich Gröhe.
Ein weiterer Antrag sieht ebenfalls vor, dass Patienten sich mit einer eigenen Verfügung zur Teilnahme an Forschungsvorhaben bereiterklären müssen, will aber auf eine verpflichtende ärztliche Aufklärung verzichten. Er wird von den SPD-Abgeordneten Hilde Mattheis und Sabine Dittmar getragen. Ihm sollen bislang rund 60 Parlamentarier zugestimmt haben.
Knapp 180 Unterstützer findet bislang der Antrag der Abgeordneten Ulla Schmidt (SPD), Uwe Schummer (CDU), Kordula Schulz-Asche (Grüne) und Kathrin Vogler (Linke), der für die bisherige restriktive Regelung eintritt und jede fremdnützige Forschung untersagt.
Bei der geplanten Abstimmung des Bundestages am 9. November wird es auf die bisher Unentschiedenen ankommen. Der Aufklärung soll nun auch die Expertenanhörung dienen. Wie heftig in dieser Frage gerungen wird, zeigen die Auseinandersetzungen über die Redezeit und die Zahl der geladenen Sachverständigen.
Die fremdnützige Forschung an nicht einwilligungsfähigen Probanden ist grundsätzlich umstritten, weil Betroffene nicht mehr bewusst zustimmen können. So besteht die Gefahr, dass sie als Wehrlose zum Zwecke anderer instrumentalisiert werden – ein Thema, das nach der NS-Vergangenheit besonders sensibel ist. Befürworter der Forschung, wie der Heidelberger Medizinrechtler Jochen Taupitz, wollen deshalb das Selbstbestimmungsrecht des Patienten durch eine schriftliche Verfügung nach dem Vorbild von Patientenverfügungen sicherstellen, der ein möglicher Proband noch bei vollem Bewusstsein zustimmt.
Kritiker wie der Berliner Philosoph Andreas Lob-Hüdepohl halten eine solche Vorausverfügung hingegen für illusorisch, da wesentliche Einzelheiten der Forschung zum Zeitpunkt der Abfassung nicht bekannt sind und sich der Patient während der Studie nur beschränkt äußern kann. Selbstbestimmung in dieser Form sei eine Illusion, so Lob-Hüdepohl.
Der Frankfurter Gerontologe und Demenzforscher Johannes Pantel sieht gar keine Notwendigkeit für eine Gesetzesänderung. Durch eine Beibehaltung des aktuellen Schutzniveaus werde die Forschung „nicht behindert oder gar verhindert“. Auch die Pharmaindustrie hatte sich ähnlich geäußert. Kritiker der Novelle befürchten deshalb, dass die Änderung eigentlich nur eine Türöffnerfunktion haben soll.
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