Antibiotikagebrauch in Europa während der Pandemie zurückgegangen

Stockholm – Die Zahl der ambulanten Antibiotikaverordnungen ist in Europa im vergangenen Jahr stärker zurückgegangen als in keinem anderen Jahr der letzten beiden Jahrzehnte. Dies geht aus einer Analyse in Eurosurveillance (2021; 26: 2101020) hervor, die anlässlich des „European Antibiotic Awareness Day“ publiziert wurde. Das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) stellte seinen Jahresbericht zum Verbrauch von antimikrobiellen Medikamenten vor.
Laut der Studie von Diaz Högberg und Mitarbeitern des ECDC war der mittlere Verbrauch von Antibiotika im ambulanten Bereich im Europäischen Wirtschaftsraum (EU/EWR) zuletzt um 1,8 Prozent pro Jahr zurückgegangen. Im Jahr 2020 kam es dann zu einer Abnahme um 18,3 Prozent. Der Rückgang betraf vor allem Penicilline und in einem geringeren Ausmaß andere Beta-Laktam-Antibiotika.
Högberg vermutet zwei Gründe. Zum einen könnte die Pandemie dazu geführt haben, dass viele Menschen bei leichteren Infektionen nicht mehr zum Arzt gehen, um sich das gewünschte Antibiotikum-Rezept zu holen. Zum anderen könnten die Lockdowns und andere Maßnahmen zur Infektionsvermeidung wie Händedesinfektion, Masken und körperliche Distanzierung bewirkt haben, dass es zu weniger Atemwegsinfektionen kam.
Der Rückgang bei Penicillinen und anderen Beta-Laktam-Antibiotika, die häufig in diesen Indikationen eingesetzt werden, könnte darauf hindeuten. Ein weiterer indirekter Hinweis ist, dass die Antibiotika-Verordnungen in den Krankenhäusern weniger stark (um 4,5 Prozent) gesunken sind.
In einigen Ländern ist es sogar zu einem Anstieg der Antibiotika-Verordnungen gekommen, was dem Report des ECDC zufolge ebenfalls auf die Pandemie zurückzuführen sein könnte. Der Anstieg betraf Länder mit einem hohen Verbrauch von Antibiotika. Da liegt die Vermutung nahe, dass diese auch bei COVID-19-Patienten eingesetzt wurden, obwohl dies in den Leitlinien nicht empfohlen wird.
Die Angst der Ärzte, die Patienten durch bakterielle Superinfektionen zu verlieren, könnte hier eine Rolle gespielt haben. Mittlerweile steht fest, dass diese bei COVID-19 keine wesentliche Bedeutung haben.
Ein Anstieg war insbesondere bei den Makrolid-Antibiotika zu beobachten, zu denen auch Azithromycin gehört. Zu Beginn war vermutet worden, dass Azithromycin in Kombination mit Hydroxychloroquin bei COVID-19 wirksam sein könnte. Auch dies ist mittlerweile widerlegt, was sich im Verlauf des Jahres auch in den Antibiotika-Verordnungen zeigte.
Im Vergleich zu anderen Ländern ist der Antibiotikaverbrauch im ambulanten Sektor in Deutschland relativ gering. Der ECDC-Report beziffert ihn auf 8,9 definierte Tagesdosen (DDD) pro 1.000 Einwohner. Niedriger war der Antibiotika-Verbrauch nur in Österreich (7,1), den Niederlanden (7,8) und Estland (8,8).
In Griechenland werden mit 26,4 DDD pro 1.000 Einwohner im ambulanten Bereich dreimal so viele Antibiotika verordnet. Zum Verbrauch in den Kliniken hat Deutschland keine Angaben gemacht. Am niedrigsten waren die Zahlen in den Niederlanden (0,76), am höchsten in Litauen (2,21).
Der günstige Trend zu einem sparsameren Einsatz von Antibiotika wird laut ECDC überschattet durch einen steigenden Verbrauch von Breitbandantibiotika sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich.
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