Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen: Neue Konzepte ausprobieren

Berlin – Um ihre Attraktivität zu erhöhen, müssen Krankenhäuser und Arbeitgeber künftig verstärkt neue Arbeitskonzepte anwenden. Dazu gehört etwa Teamarbeit, Mitgestaltungsmöglichkeiten von Prozessen, eine gute Weiter- und Fortbildung sowie eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Darin waren sich Teilnehmende einer Veranstaltung vergangene Woche auf dem Hauptstadtkongress einig.
Wichtig seien etwa eine transformationale Führung sowie ein inspirierender Führungsstil durch Vorbilder, sagte Mandy Mangler, Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und dem Vivantes Klinikum Neukölln in Berlin.
Da im Gesundheitswesen rund 75 Prozent Frauen arbeiten würden, sei die Berücksichtigung der weiblichen Perspektive sehr wichtig.
Es gebe im ärztlichen Bereich derzeit nicht nur ein „Brain Drain“ ins Ausland, also ein Abwandern von qualifizierten Fachkräften, sondern auch ein sogenanntes „Women Drain“. Damit ist gemeint, dass viele Frauen aufgrund erhöhter Care-Arbeit aus dem Beruf aussteigen oder in Teilzeit arbeiten würden.
Eine Folge sei, dass Frauen in ärztlichen Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert sind. 2024 lag der Anteil nur bei 14 Prozent, erklärte Mangler und berief sich dabei auf Zahlen des Deutschen Ärztinnenbundes.
So müsse etwa der weibliche Zyklus sowie Schwangerschaft und Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärker im klinischen Alltag berücksichtigt werden. Als sie ihre Position als Chefärztin angetreten habe, hätten die Klinikleitungstreffen um 17 Uhr stattgefunden, berichtet Mangler. Diese fänden jetzt nach ihren Bemühungen für eine bessere Vereinbarkeit früher am Tag statt.
Oftmals werden zudem immer noch operierend tätige Ärztinnen direkt zu Beginn ihrer Schwangerschaft nach Hause geschickt, selbst wenn sie weiter tätig sein wollen, sagte Mangler.
Beim Deutschen Ärztinnenbund könnten sich Kliniken entsprechend zertifizieren lassen, bei denen man schwanger weiterarbeiten dürfe. Zudem gebe es ein entsprechendes Positionspapier von der Initiative Operieren in der Schwangerschaft, in dem beschrieben werde, wie man unter Einhaltung von bestimmten Schutzmaßnahmen weiter operieren könne.
Zyklusadaptiertes Arbeiten in den Vordergrund stellen
Mangler betonte, es gebe viele Kleinigkeiten und Strategien, die man als Arbeitgeber umsetzen könne, um es den Mitarbeitenden zu erleichtern. Mehr in den Fokus müsse diesbezüglich auch das Thema zyklusadaptiertes Arbeiten gerückt werden.
„Leistungssportlerinnen trainieren zyklusbasiert“, so Mangler. Entsprechende Berücksichtigung sollte dies auch im klinischen Alltag gefunden werden. Etwa zehn Prozent der Frauen litten unter Endometriose und hätten starke Schmerzen während der Menstruation.
In ihrem Krankenhaus gebe es seit der Pandemie eine Beauftragte, die sich um das Wohlbefinden der Mitarbeitenden kümmern solle und etwa Sportprogramme zwischendurch anbiete, berichtet die Gynäkologin.
Neben dem zyklusadaptierten Arbeiten sei auch die Menopause ein riesiges Thema, so Mangler. Viele Frauen würden aufgrund der Symptome die Motivation bei der Arbeit verlieren, dies müsse man entsprechend berücksichtigen und auffangen, um zufriedene Mitarbeitende zu fördern.
Auch Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin, erklärte, es sei aus ärztlicher Sicht nicht einfach, Arbeitszeitmodelle auf neue Gegebenheiten hin einzurichten. Es brauche aber künftig Krankenhäuser die magnetisch wirkten, Mitarbeitende anzögen und die Erwartungen aller Generationen erfüllen könnten, betonte er.
Medizinstudierende starteten häufig voller Begeisterung in den ärztlichen Beruf und seien dann oft schnell enttäuscht, weil sie viel Zeit mit nichtärztlichen Aufgaben, wie etwa Dokumentation, verbringen müssten, sagte Bobbert.
Bei den Themen Weiterbildung und Fortbildung habe es die Ärzteschaft zudem selbst in der Hand, entsprechende Arbeitsbedingungen zu schaffen, die magnetisch wirkten, so Bobbert.
Magnetkrankenhäuser
Welche Parameter für das Gesundheitspersonal „anziehend“ wirkten, war auch Teil des Projekts „Magnet4Europe“, berichtete Julia Köppen von der Technischen Universität Berlin. Ein Netzwerk aus mehr als 60 Krankenhäusern in sechs europäischen Ländern hatte im Rahmen des Projekts und in Begleitung einer Interventionsstudie das Ziel, Arbeitsbedingungen für das Gesundheitspersonal zu verbessern.
Vor allem ein enormes Engagement und kontinuierliches Streben der Kliniken nach Verbesserung, interprofessionelle Zusammenarbeit, Patientenzentrierung sowie entsprechende Wertschätzung und Führungsmodelle, bei dem Mitarbeitende aktiv an Entscheidungsprozessen mitbeteiligt werden (Shared Governance), würden entsprechend Kliniken auszeichnen, sagte Köppen.
Die Orientierung erfolgte dabei anhand eines Magnet-Manuals, das von der US-amerikanischen Zertifizierungsstelle American Nurses Credentialing Center (ANCC) bereitgestellt wird, erklärte Köppen. Der Verband zertifiziert in den USA aber auch weltweit Kliniken, die entsprechende Magnetkriterien für gute Arbeitsbedingungen erfüllen. Ein Projekt mit 16 deutschen Krankenhäusern läuft unter dem Namen „Magnet4Deutschland“ unter Finanzierung des Bosch Health Campus bis Ende 2026 weiter.
Patientenorientierung in den Mittelpunkt stellen
Um das Team zu motivieren, entsprechende Neuerungen und Strukturen umzusetzen, müsse der Fokus auf der Etablierung von besseren Prozessen liegen, sagte Mangler. Wenn man die Patientenorientierung in den Mittelpunkt setze, also gemeinsam überlege, wie die Versorgung von Patientinnen und Patienten verbessert werden könne, dann würde das auch alle im Team motivieren, ergänzte Köppen.
Das Konzept New Work sei kein Projekt, sondern vielmehr ein Paradigmenwechsel, sagte Bertram Häussler vom IGES-Institut. Dazu gehöre die Ermöglichung von Eigenverantwortung in der ärztlichen Tätigkeit. Es sei nachgewiesen, dass bessere Ergebnisse durch dezentrale Entscheidungsmöglichkeiten erzielt werden könnten, erklärte Häussler. Zudem steige die Identifikation mit der eigenen Arbeit. So werde Patientenorientierung nicht von oben verordnet, sondern sollte durch Überzeugung entstehen, so Häussler.
Dies betonte auch Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes. So müssten Führungsstrukturen mitgestaltet werden können und Eigenverantwortung im ärztlichen Alltag auch gelebt werden. Wenn Pflegekräfte und Ärzte ihren Bereich und ihrem Team mitsteuern könnten, dann würden sie sich mehr wertgeschätzt fühlen und in ihrer Arbeit aufleben.
Sie forderte Arbeitgeber auf, Konzepte, die zu New Work gehörten, also darunter Vernetzung, Partizipation, Sinnhaftigkeit, Transparenz aber auch die Ermöglichung von lebenslangem Lernen, Stärkenorientierung und Qualifikation auszuprobieren, um Arbeitskräfte zu binden und zu motivieren.
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