Ärzteschaft

Politik muss Arbeitsbedingungen der Gesundheitsberufe in den Mittelpunkt rücken

  • Dienstag, 7. Mai 2024
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Mainz – Die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen müssen stärker als bisher im Fokus der Gesundheitspolitik stehen. Das fordern die Delegierten des 128. Deutschen Ärztetag in Mainz im einstimmig angenommenen Leitantrag des Vorstands der Bundesärztekammer (BÄK).

Die Bundes­regierung müsse wichtige Reformen für ein gleichermaßen menschliches wie leistungsstarkes Gesundheitswesen möglichst schnell umsetzen, indem sie Nachwuchsförderung, Qualifizierung und gute Arbeitsbedingungen in den Blick nimmt.

Nicht zuletzt die zahlreichen Proteste aus Kliniken und Praxen, von Ärzten genauso wie von Medizinischen Fachangestellten (MFA) und weiteren Gesundheitsfachberufen würden deutlich die tiefe Unzufriedenheit über die beruflichen Rahmenbe­dingungen im Gesundheitswesen zeigen.

„Aktive ärztliche Nachwuchsförderung zum einen und die Schaffung guter beruflicher Rahmenbedingungen zum anderen sind Grundvoraussetzungen für eine gelingende Fachkräftesicherung im Gesundheitswesen. Beides bedingt einander“, heißt es im Antrag. Deshalb müsse unter anderem die seit Jahren angekündigte und dringend benötigte Reform des Medizinstudiums endlich umgesetzt werden. Bund und Länder müssten zusätzliche Ausbildungskapazitäten schaffen und finanzieren.

Einer grundlegenden Überarbeitung bedürfe auch der Gesetzentwurf für ein Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG). Er bleibe bisher in weiten Teilen hinter den Erwartungen zurück, verfehle das selbstgesteckte Ziel einer Entbüro­kratisierung und werde dem Anspruch einer grundlegenden Reform des Fallpauschalensystems mit all seinen ökonomischen Fehlanreizen nicht gerecht.

Zudem fordern die Delegierten, das Ärztliche Personalbedarfsbemessungssystem der Bundesärztekammer (ÄPS-BÄK) im Rah­men des KHVVG gesetzlich zu verankern. Auch die Bundesländer seien aufgefordert, den Einsatz von ÄPS-BÄK in ihren jewei­ligen Landeskrankenhausgesetzen vorzugeben und die Verwendung als Maßstab in ihren Landeskrankenhausplänen vorzu­sehen.

Denn ein verbindliches Personalbemessungssystem für den ärztlichen Bereich sei die Voraussetzung, um eine patienten- und aufgabengerechte ärztliche Personalausstattung im Rahmen der geplanten Vorhaltevergütung zu refinanzieren und qualifizier­te Auswahlentscheidungen im Rahmen der Krankenhausplanung zu treffen.

Ambulante Versorgung stärken

Zudem sei es „weder realistisch noch sinnvoll, die durch jahrzehntelange Versäumnisse entstandenen Versorgungslücken nun durch Übertragung der hausärztlichen Versorgung auf sogenannte sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen schließen zu wollen“, heißt es weiter im Antrag. Stattdessen müsse die ambulante Versorgung gestärkt werden.

Die geplante Entbudgetierung hausärztlicher Leistungen sei auf diesem Weg zwar ein sachgerechter Schritt, gehe jedoch nicht weit genug. Entsprechende Schritte müssten auch für die fachärztliche Versorgung folgen und dafür erforderliches Honorar zusätzlich zur Verfügung gestellt werden.

Außerdem müssten sowohl im haus- als auch im fachärztlichen Bereich die Rahmenbedingungen für MFA substanziell ver­bessert werden. „Die ambulante Versorgung benötigt keine neuen, kostspieligen Parallelstrukturen und Schnittstellen, sondern eine Stärkung der Teams aus Ärztinnen und Ärzten, qualifizierten Medizinischen Fachangestellten und weiteren Berufsgruppen in den Praxen“, heißt es im Leitantrag.

Um ihnen mehr Zeit und Freiräume für die Versorgung von Patienten zu ermöglichen, seien vermeidbare Praxisbesuche zu reduzieren und stattdessen insbesondere zuwendungsintensive Leistungen auskömmlich zu finanzieren. „Dafür muss der Quartalsbezug bei der Vergütung und Abrechnung ärztlicher Leistungen für den gesamten vertragsärztlichen Bereich im Rahmen einer grundsätzlichen Honorarstrukturreform auf den Prüfstand gestellt werden“, so die Forderung.

Deutlich mehr Engagement müsse die Bundesregierung darüber hinaus beim Thema Bürokratieabbau an den Tag legen. Die Delegierten fordern die Bundesregierung deshalb auf, die in ihrem Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen zum Bürokratieabbau in der Patientenversorgung endlich ernsthaft anzugehen.

„Bürokratieabbau muss vom Lippenbekenntnis zur Priorität der Gesundheitspolitik noch in dieser Legislaturperiode werden“, heißt es weiter. Dazu müsse nach mehr als zwei verlorenen Jahren eine „Taskforce Entbürokratisierung“ eingerichtet werden, in der die Bundesregierung mit der Ärzteschaft und den weiteren Vertretern des selbstverwalteten Gesundheitswesens schnell die notwendigen Maßnahmen erarbeitet und realisiert.

Breite Ablehnung quotierter Weiterbildung

Die Aussprache über den Leitantrag war indes dominiert vom Vorschlag einer Quotierung der ärztlichen Weiterbildung, Cannabis, Homöopathie und Klagen über den Politikstil von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Dabei stieß der Vorschlag des Sachverständigenrates Gesundheit und Pflege (SVR), die ärztliche Weiterbildung zu quotieren, um Fehlver­teilungen der Fachgruppen entgegenzuwirken, auf breite Ablehnung.

Sie selbst habe ursprünglich Kinderärztin werden wollen, habe sich dann aber im Studium umentschieden und sei heute Internistin mit Leib und Seele. „Hätte ich mich auf eine Quote eingelassen, wäre ich jetzt vielleicht todunglücklich“, erzählte Julia Grauewr von der Ärztekammer Bayerns (BLÄK) aus ihrem eigenen Lebenslauf.

„Im Studium sieht man alle Fachbereiche und ich finde es sehr gut, sich danach entscheiden zu können“, unterstrich sie. „Wenn ich mich mit einer Quote auf etwas festlege, mache ich am Ende schlechtere Medizin, werde unglücklich und bin am Ende lieber Hausfrau und Mutter.“

Doch es ging nur am Rande um die individuellen Folgen einer möglichen Quotierung. Das Beispiel Frankreichs zeige, dass ein solches System auch in der Fläche nicht funktioniere, erklärte Gisbert Voigt aus Niedersachsen: „Erst einmal brauchen wir mehr Ärztinnen und Ärzte, die ausgebildet werden.“

Es gebe im Laufe der Ausbildung so viel Durchlässigkeit, dass Ärzte auch immer später noch das Fachgebiet wechseln könnten. „Quotierung ist ein Dirigismus, auf den wir uns auf keinen Fall einlassen sollten“, warnte Voigt.

Zudem gehe von einer solchen Bedarfsplanung eine Gefahr für die Freiberuflichkeit aus, betonte Bernd Haubitz, ebenfalls aus Niedersachsen. Mit Blick auf den SVR frage er sich, „wie die darauf kommen, eine Bedarfslenkung aus der Zauberlehrlings­mütze zu ziehen“ in einer Zeit, in der Debatten über eine Fremdfinanzierung von Gesundheitseinrichtungen eine immer grö­ßere Rolle spielen. Damit würde man Fremdbestimmung Tür und Tor öffnen.

Doch es gab auch Stimmen, die aus den Vorschlägen des SVR eine Handlungsaufforderung an die Ärzteschaft ableiteten. „Ich teile die Auffassung, dass die Quotierung keine gute Lösung ist“, erklärte die Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, Ellen Lundershausen.

Allerdings sei sie nach der Lektüre des SVR-Gutachtens und verschiedener Diskussionen zum Thema zu der Erkenntnis ge­langt, dass es auch an den Ärztekammern liege, zu erheben, in welchen Fachgruppen es Mangel oder Überschuss gebe, und die Weiterbildungen dahingehend zu steuern. „Es ist unsere Aufgabe, das zu bearbeiten, bevor das jemand anders tut“, sagte sie.

Das sah sie nicht als Einzige so. Er spreche sich dafür aus, dass die BÄK ein Instrument – möglicherweise unter Verwendung Künstlicher Intelligenz – entwickle, das Bedarfe von Fachgruppen ermittelt und den Bedarf der Gesellschaft aufzeigen kann, erklärte Thomas Lipp. „Das fände ich sehr gut – aber nicht verbindlich“, sagte er und erhielt dafür Zuspruch von BÄK-Präsident Klaus Reinhardt.

Entrüstung über Cannabislegalisierung

Dieser musste sich bei einem der emotionalsten Themen des Tages Kritik aus dem Plenum anhören. Seine Äußerungen zur Legalisierung von Cannabis als Genussmittel bei der Eröffnung des Ärztetages sorgten für Unmut beim niedersächsischen Delegierten Jens Wagenknecht.

Reinhardt hatte von „denjenigen, die das Kiffen legalisieren wollen, weil das der eigenen Weltanschauung entspricht oder vielfach nur, weil sie eben gerne kiffen“ gesprochen. „Ich finde es schwierig, die Unterstützer des Cannabisgesetzes alle als Kiffer darzustellen. Das ist nicht fair“, erklärte Wagenknecht. Man könne selbstverständlich gegen das Gesetz sein und inhaltliche Gründe dagegen anbringen.

Allerdings sei er der Überzeugung, man müsse einen demokratisch gefassten Beschluss des Bundestages respektieren und die Unterstützer nicht einfach als Kiffer abqualifizieren. „Den Begriff Kiffer meine ich nicht despektierlich, sondern beschreibend“, verteidigte sich Reinhardt. „Das war eine bewusste Provokation, das kann man mal machen.“

Lipp widersprach daraufhin Wagenknecht. Er halte das Gesetz selbst für undemokratisch: Alle wesentlichen Fachgesell­schaf­ten und Verbände hätten sich gegen die Legalisierung ausgesprochen – letztlich sei es nur durch politische Ränkespiele und parlamentarische Mathematik zustande gekommen.

„Eine Substanz, die legalisiert ist, taucht auch da auf, wo sie nicht hingehört, nämlich bei Kindern und Jugendlichen, so wie Alkohol und Tabak“, hatte auch der niedersächsische Delegierte Uwe Lange kritisiert. „Das zu legalisieren, empfinde ich deshalb als Zynismus.“

Homöopathie polarisiert wie eh und je

Noch emotionaler diskutierte das Plenum über ein ebenso altes Streitthema: die Homöopathie. Lauterbach hatte sich seit Jahren gegen die Möglichkeit zur Erstattung von homöopathischen und anthroposophischen Arzneimitteln durch die Kran­kenkassen ausgesprochen. Mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) sollte diese Möglichkeit gestrichen werden – doch jener Passus wurde dann wiederum selbst aus dem Gesetzentwurf gestrichen.

Das begrüße er zwar, erklärte Jürgen de Laponte von der Ärztekammer Baden-Württemberg. Dennoch seien 6.500 Ärzte mit der Zusatzweiterbildung Homöopathie zutiefst verunsichert, auch angesichts von Plänen, die entsprechenden Ziffern aus der Ge­bührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu streichen. „Das geht mir zu weit“, unterstrich er und hielt ein Plädoyer für die Homöopathie.

Die homöopathische Anamnese werde als zuhörende Behandlung hochgeschätzt und die positiven Erfahrungen würden den Ärzten recht geben. „Dieses Homöopathienarrativ, dass es keine Signifikanz über Placebo gibt, ist widerlegt“, erklärte er. Die Studienlage habe sich in den vergangenen Jahren stark verbessert und es wäre Zeit, das anzuerkennen. „Lassen Sie diese Ärzte in Ruhe, lassen Sie sie ihre Arbeit machen“, forderte er und erhielt dafür mehrfachen Widerspruch.

Sven Dreyer aus dem Vorstand der Ärztekammer Niedersachsen (ÄKN) warf Lauterbach demgegenüber vor, von seinem Vor­haben der Streichung der Erstattungsfähigkeit zurückgerudert zu sein: „Er nennt sich Wissenschaftler, weiß aber genau, dass Homöopathie keiner einzigen wissenschaftlichen Studie standhalten wird.“

Es gehe nicht darum, den Verkauf von Homöopathie zu verbieten. Aber: „Wir wollen nicht irgendwelche Lehren, die bar jeder wissenschaftlichen Grundlage sind, in unseren Weiterbildungsordnungen“, betonte er.

Noch deutlicher als Dreyer wurde daraufhin Constantin Halim von der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNO): „Ich halte es für eine Zumutung, dass wir hier auf diesem DÄT in einer Ära von Evidence based Medicine über solche Themen überhaupt noch debattieren.“

Tiefer Frust über Lauterbach

Mehr Einigkeit herrschte beim Thema Lauterbach: Rundheraus machten die Delegierten ihrem Frust über seinen Politikstil Luft. Vor allem warfen sie ihm unisono vor, die Partner der Selbstverwaltung zu ignorieren. „Wir müssen nicht nur miteinander reden, sondern uns auch gegenseitig respektieren“, forderte der Brandenburger Steffen König. Der Minister müsse endlich anfangen, auch Vorschläge und Kritik aufzunehmen.

„Man hat manchmal den Eindruck gehabt, dieser Mensch existiere in zwei Personen“, sagte er. Lauterbach mache große Versprechungen und rede der Ärzteschaft nach dem Mund, wenn er vor ihr stehe – handele dann aber ganz entgegengesetzt. „Da klafft mir der Anspruch, was er sagt und was er tut, zu weit auseinander.“

Lauterbach lebe mittlerweile in einer eigenen Blase, betonte der hessische Delegierte Wolf Andreas Lach: „Das hat er uns heute vorgemacht. Den normalen Ärztinnen und Ärzten kommt es so vor, als sei er gar nicht mehr ansprechbar.“

Noch schwerwiegendere Vorwürfe erhob Stefan Windau. Er warnte vor der häufig vorgebrachten Kritik, Lauterbachs Gesetze seien handwerklich schlecht gemacht. Das Gegenteil sei der Fall: Hinter ihnen stünden Fachleute, die genau wissen, was sie tun und was sie wollen.

„Herr Lauterbach hat eine ganz klare Ideologie“, sagte er. „Wir erleben einen geplanten Systemumbau.“ Ziel sei, angesichts des Fachkräftemangels mit nicht ärztlicher subsidiärer Kompetenz ärztliche Leistungen zunehmend zu ersetzen. „Wir laufen mit Umwegen in eine Staatsmedizin hinein.“

Auch wenn seine Pläne zum Aufbau von parallelen Strukturen wie Gesundheitskiosken aus dem aktuellen Entwurf des GVSG verschwunden seien, heiße das nicht, dass das Thema vom Tisch sei. „Insgeheim denkt Herr Lauterbach sehr wohl daran, Teile der hausärztlichen Struktur durch Gesundheitskioske und ähnliches zu ersetzen, damit wir nicht mehr so viele Ärzte brauchen“, sagte Windau.

Die Ärzteschaft müsse sich dem entschlossen entgegenstellen und den Patienten erklären, was dabei auf dem Spiel stehe, nämlich ihr freier Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Versorgung.

lau

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