Ärzteschaft

Praktisches Jahr: Bessere und faire Arbeitsbedingungen gefordert

  • Mittwoch, 19. Juli 2023
In Berlin startete die Demonstration vor der Charité /Maybaum
In Berlin startete die Demonstration vor der Charité /Maybaum

Berlin – Für faire Arbeitsbedingungen im Praktischen Jahr (PJ) haben heute nach Angabe der Bundesvertre­tung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) mehr als 3.500 Medizinstudierende in 13 Städten, unter anderem in Berlin an der Charité, demonstriert. Organisiert wurde der heutige nationale Aktionstag mit Demonstrationen und Informationsständen von der bvmd.

Es werde viel über die nötige Veränderung im Gesundheitssystem und über die Arbeitskonditionen des Gesundheitspersonals gesprochen, sagte Alexandra Archodoulakis, Sonderbeauftragte für das Praktische Jahr der Fachschaftsinitiative Humanmedizin an der Charité, dem Deutschen Ärzteblatt. „Allerdings fehlt diese Diskussion großteilig, was das Praktische Jahr des Medizinstudiums betrifft“, bemängelt sie.

Studierende im PJ stünden etwa durch eine fehlende Aufwandsentschädigung und laufende Lebenshaltungs­kosten unter einem solchen Druck, dass die durch den Fachkräftemangel erschwerte Lehre im bestehenden System nicht kompensiert werden könne, erläuterte Archodoulakis, die derzeit ihr PJ an der Charité absolviert.

„Die Lehrkrankenhäuser und Unikliniken sind eigentlich zu einer guten praktischen Ausbildung gesetzlich ver­pflichtet. Wir erwarten, dass sie diesen Auftrag erfüllen und Studierende im Praktischen Jahr nicht wie billige Hilfskräfte behandeln“, betonte auch Pauline Graichen, Vorsitzende des Sprecherrates der Medizinstudieren­den im Marburger Bund (MB).

„Es geht im PJ um die Vertiefung der im Studium erworbenen ärztlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertig­keiten und nicht darum, uns als Lückenbüßer zu missbrauchen“, so Graichen. Diese Erkenntnisse hat zuletzt auch die MB-Umfrage „PJ-Barometer 2023“ gezeigt.

Konkret stellen die Studierenden vier Forderungen auf. Vor allem eine flächendeckende Aufwandsentschädi­gung im PJ, die mindestens dem BAföG-Höchstsatz entsprechen sollte, müsse eingeführt werden. Dieser liegt derzeit bei 934 Euro monatlich.

Viele Studierende können sich die Zeit im PJ nur mit einem Nebenjob finanzieren. Dies gehe allerdings zur Vollzeittätigkeit im PJ mit einer zusätzlichen und kaum zu stemmenden Belastung einher, so die Kritik der Studierenden.

An der Charité bekommen die PJler derzeit keine Aufwandsentschädigung, der Medizinfachschaft zufolge als einzige und letzte Universitätsmedizin in Deutschland. Zuletzt hatte das Universitätsklinikum Hamburg-Ep­pen­dorf (UKE) angekündigt, den angehenden Ärztinnen und Ärzten im PJ ab 2024 eine Aufwandsentschä­di­gung in Höhe von 400 Euro bezahlen zu wollen.

Änderung der Approbationsordnung

Auch der Studierendenausschuss des Hartmannbundes kritisiert die fehlende bundesweit verpflichtende Auf­wandsentschädigung im PJ. Anna Finger, Co-Vorsitzende des Studierendenausschusses beim Hartmannbund, fordert eine entsprechende Änderung im Rahmen der neuen Approbationsordnung. Allerdings sei die mangel­hafte Aufwandsentschädigung nur die „Spitze des Eisbergs“.

Zudem kritisieren die Studierenden einen fairen Umgang mit Krankheitstagen im PJ. So können sich Studie­rende während ihres Tertials im PJ bei Krankheit nicht krankschreiben, ohne dass diese Krankheitstage auf die 30 möglichen Fehltage angerechnet werden, auch nicht mit ärztlichem Attest.

„Wir fordern die standardisierte Trennung von Fehltagen und Krankheitstagen beziehungsweise Kinder­kranktagen. Es kann nicht sein, dass wir im Falle einer Erkrankung mit dem Verlust von Fehltagen bestraft werden. Wir brauchen diese Tage zur Erholung und auch zur Vorbereitung auf das mündliche Staatsexamen nach Ende des PJ“, bekräftigt Archodoulakis.

Auch diese Regelung soll in die Approbationsordnung integriert werden, lautet die Forderung der Studierenden.

„Der letzte Entwurf der neuen Approbationsordnung bildet weiterhin keine Verbesserungen der Bedingungen des letzten Ausbildungsjahres des Medizinstudiums ab, deshalb haben wir uns gezwungen gesehen, nun auch die Öffentlichkeit einzubinden“, erklärte auch Alexander Schmidt vom bvmd und zuständig für das Projekt FairesPJ.

Außerdem wird ein Mindestabstand von vier Wochen zwischen Ende des PJ und dem mündlichen Staatsexa­men gefordert, damit sich die Studierenden besser auf die Prüfung vorbereiten können. „Studierenden bleiben allerdings häufig nur besagte 30 Fehltage als zeitliche Reserve, um sich auf das dritte Staatsexamen vorzube­reiten“, schreibt die Fachschaft Humanmedizin der Charité. Deshalb stünden viele PJler krank am Krankenbett in der Klinik, um ihre Fehltage zum Lernen nutzen zu können.

Bessere begleitende Lehre benötigt

Darüber hinaus seien auch einheitliche und flächendeckende Lehrstandards gefordert. Manche Abschnitte der Ausbildung würden nicht von Lehrveranstaltungen begleitet werden, kritisieren die Studierenden. Zudem führ­ten PJler aufgrund des Personalmangels häufig Blutentnahmen sowie nicht medizinische Aufgaben durch.

Weiter mangelt es auch an Wertschätzung gegenüber Studierenden im PJ. Es fehle oft an Umkleideräumen oder Spinden für die angehenden Ärztinnen und Ärzte, betonten die Hartmannbund-Studierenden.

Mit einer Petition will die bvmd diese Forderungen in den politischen Fokus rücken. Bereits 2019 hatte der bvmd eine ähnliche Petition gestartet und diese mit mehr als 100.000 Unterschriften dem Bundesgesund­heits­ministerium (BMG) übergeben. Aktuell haben mehr als 60.000 Menschen die Petition unterschrieben.

Die Studierenden erhalten für ihre Forderungen viel Zuspruch aus der Ärzteschaft. „Das PJ ist der Dreh- und Angelpunkt des Medizinstu­diums. Hier sollen Medizinstudierende den Patientenumgang mit dem bisher erworbenen Wissen erlernen“, sagte der Präsident der Ärzte­kammer Schleswig-Holstein, Henrik Herrmann. Es dürfe nicht sein, dass angehende Ärztinnen und Ärzte als billige Hilfskräfte für Botengänge und Dokumen­ta­tionen herangezogen würden. „Daher unterstütze die Ärztekammer Schleswig-Holstein ausdrücklich auch die Petition des bvmd.“

„Krankheitstage sind keine Urlaubstage. Es muss dringend differenziert werden zwischen Urlaub und krank­heitsbedingten Fehltagen. Die aktuellen Regelungen führen dazu, dass Studierende krank in der Klinik er­scheinen und dadurch ihre eigene Gesundheit, die der Patientinnen und Patienten sowie der Kolleginnen und Kollegen gefährden“, sagte auch Schleswig-Holsteins Vizekammerpräsidentin Gisa Andresen.

Voraussetzung für gute medizinische Ausbildung

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe, unterstützt die Forderung der Medizinstudierenden ebenfalls. Ärzte­kammerpräsident Johannes Albert Gehle sagte: „Der diesjährige Aktionstag setzt ein wichtiges Zeichen für den medizinischen Nachwuchs. Faire Rahmenbedingungen im Praktischen Jahr sind Voraussetzung für eine gute medizinische Ausbildung und damit für eine auch zukünftig gute Patientenversorgung.“

Wichtige Kernprobleme der Medizinstudierenden würden aber bei der aktuellen Reform der Ärztlichen Appro­bationsordnung nicht berücksichtigt, kritisiert Gehle. Dabei gehe es etwa um eine einheitliche Aufwandsent­schädigung, die Trennung von Krankheits- und Fehltagen sowie einen festgesetzten Mindestabstand zwischen Ende des Praktischen Jahres und dem 3. Staatsexamen.

Ähnlich argumentiert der Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), Gerald Quitterer: „Leider wurde auch in der jüngsten Entwurfsfassung der neuen Approbationsordnung die Chance vertan, einige seit vielen Jahren von uns geforderten Mindeststandards im Praktischen Jahr verbindlich festzuhalten.“ Er unter­stütze die Petition und Forderung der Studierenden.

Neben der BLÄK unterstützen auch die Spitzen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), des Bayeri­schen Hausärzteverbandes (BHÄV) und des Berufsverbandes der Kinder und Jugendärztinnen und Ärzte in Bayern (BVKJ) die Forderungen und nahmen an der Demonstration in München teil.

„Die Ausbildung des medizinischen Nachwuchses ist für die Zukunft der medizinischen Versorgung der Pa­tien­tinnen und Patienten von entscheidender Bedeutung. Es handelt sich dabei um eine gesamtgesellschaftli­che Aufgabe. Sie muss deshalb aus Steuermitteln finanziert werden“, so der KVB-Vorstandsvorsitzende Chris­tian Pfeiffer.

cmk

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