AWMF: Rezertifizierung von Medizinprodukten anhand von Registerdaten

Berlin – Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) hat Anpassungen an der vor einem Jahr in Kraft getretenen EU-Verordnung für Medizinprodukte (Medical Device Regulation, MDR) gefordert, die in erster Linie die Zertifizierung von Medizinprodukten reformiert hat.
Der Verordnung zufolge müssen Medizinprodukte, die sich bereits auf dem Markt befinden, rezertifiziert werden. Auch die Benannten Stellen, die die Zertifizierung vornehmen, müssten sich einer erneuten Zertifizierung unterziehen.
Die AWMF begrüßt das Ziel der MDR, die Sicherheit der Medizinprodukte zu erhöhen. Sie warnt allerdings vor Engpässen beziehungsweise Marktrücknahmen, die die Folge der Reform sein könnten. Um Engpässe bei Medizinprodukten zu vermeiden, die sich bereits auf dem Markt befinden, fordert die AWMF eine Verringerung des Aufwands für die Rezertifizierungen.
Erhebliche Probleme in der Praxis
Um die Medizinprodukte erneut zertifizieren zu können, seien häufig klinische Daten erforderlich, die jedoch noch gar nicht erhoben worden seien.
„In der Praxis führt das zu erheblichen Problemen: Für die Hersteller ist der Aufwand dieser Rezertifizierung teilweise so hoch, dass sie das Produkt vom Markt nehmen und ihre Produktpaletten schmälern. Das wiederum kann zu Versorgungslücken führen“, mahnte Ernst Klar, Vorsitzender der Ad-hoc Kommission „Bewertung von Medizinprodukten“ der AWMF.
Er äußerte sich im Vorfeld des Symposiums „Die Medical Device Regulation (MDR) ein Jahr nach Geltungsbeginn“, das die AWMF morgen in Berlin durchführt. Mögliche Versorgungslücken beträfen insbesondere Nischenprodukte, da sich die Aufwände durch die geringe Fertigungszahl nicht refinanzieren ließen.
Für die – bisher glücklicherweise nur wenigen – Fälle, bei denen einzelne Medizinprodukt drohen, ohne Alternative vom Markt zu verschwinden, empfiehlt die AWMF, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und das Bundesministerium für Gesundheit die betreffenden Produkte begutachten und eine in der MDR vorgesehene Sonderregelung prüfen, damit die Patientenversorgung nicht gefährdet wird.
Benannte Stellen entlasten
Zudem müssten die Benannten Stellen bei den Rezertifizierungen entlastet werden. Schätzungen zufolge müssten bis zu 55.000 Medizinprodukte rezertifiziert werden.
„Die Anzahl der derzeit verfügbaren Benannten Stellen ist dafür schlicht noch nicht ausreichend“, erläuterte Klar. Um eine Entlastung der Benannten Stellen zu schaffen, schlägt die AWMF eine niederschwellige Rezertifizierung von bereits auf dem Markt verfügbaren Medizinprodukten vor. Dafür sollten Registerdaten genutzt werden.
„Anhand vorliegender Registerdaten lässt sich häufig problemlos aufzeigen, dass es in der Vergangenheit keine Sicherheitsprobleme mit dem Produkt gab und dieses eine lange Markthistorie aufweist“, betonte Klar.
Darüber hinaus setzt sich die AWMF für die Einführung einer Erprobungsregelung für innovative Medizinprodukte ein, die eine schrittweise Marktzulassung ermöglicht. Denn das Volumen und der Aufwand der anstehenden Rezertifizierungen behindere den Marktzugang und die Zertifizierung innovativer Medizinprodukte. Die AWMF schlägt deshalb eine Erprobungsregelung vor, die helfen soll, den Marktzugang für innovative Produkte zu beschleunigen.
„Die Produkte könnten so schrittweise und unter kontrollierten Bedingungen eingeführt werden. So können klinische Einrichtungen neue Medizinprodukte nicht nur in klinischen Studien testen, sondern auch mit hoher Praxisnähe in Registern verfolgen, dadurch qualifizierte Daten sammeln und die Ergebnisse später den Benannten Stellen für die weitere Zulassung zur Verfügung stellen.
Die Produkte könnten anhand der in die Register gespeisten Datenpakete fortlaufend bewertet werden und ein ‚Rolling Review‘ ermöglichen. Dies bietet die Chance, dass Patientinnen und Patienten schon vor der allgemeinen Marktzulassung von innovativen Produkten profitieren könnten, selbstverständlich unter engmaschiger Kontrolle“, so Klar.
Auf dem Symposium wird auch darüber diskutiert werden, wie sich die Zuverlässigkeit von Registerdaten erhöhen lässt. „Hierfür ist es unabdingbar, dass es eine verpflichtende Teilnahme aller Akteure an Registern gibt“, meinte der stellvertretende AWMF-Präsident Henning Schliephake.
„Außerdem müssen auffällige Medizinprodukte durch unabhängige Sachverständige und nicht wie bisher primär durch den Hersteller geprüft werden.“
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