Politik

Baden-Württemberg will den „Landarzt 2.0“

  • Donnerstag, 4. Juni 2020

Stuttgart – Mit einem flexibleren Medizinstudium will die Landesregierung in Baden-Württemberg das Interesse am Arztberuf auf dem Land steigern und die Lücken in der Versorgung füllen. Von den Fraktionsspitzen von CDU und Grünen nach längerem Streit mit einem Kompromiss bereits zur Jahres­wende gebilligt, wird einem aktuellen Kabi­nettsentwurf zufolge die Zahl der Studienplätze wie geplant um 150 ausgebaut.

Im Studienjahr 2021/22 soll es insgesamt 1.699 Plätze geben. Alle fünf medizinischen Fakultäten in Tübingen, Ulm, Freiburg, Heidelberg und Mannheim werden ihre Kapazitä­ten um 30 Studienanfängerplätze erhöhen. Laut Vorlage werden 75 der neuen Studien­plätze an Studienanfänger in der Humanme­dizin vergeben, die Landarzt werden möch­ten, aber nach dem herkömmlichen Verfahren keinen Studienplatz bekommen haben.

Diese Studierenden verpflichten sich, nach ihrem Abschluss in einem Gebiet zu arbeiten, in dem es einen Ärztemangel gibt. Eingeführt wird zudem das neue Neigungsprofil „Ländli­che Hausarztmedizin“, für das sich jeder Student der Humanmedizin im Laufe des Studi­ums entscheiden kann.

Für die CDU war diese Quote eine Bedingung, um den Plänen von Wissenschaftsministe­rin Theresia Bauer zuzustimmen. Die Grünen-Ministerin ist allerdings nach wie vor nicht begeistert von der Quote: „Es ist ein langsames und unsicheres Mittel. Wir brauchen aber etwas schnelles und wirksames“, sagt sie.

Die Studierenden können künftig in Baden-Württemberg in jedem Semester spezielle Ausbil­dungsmodule wählen, die sie auf eine Karriere in der Primärversorgung vorbereiten soll­en, heißt es in dem Papier. In den Kursen sollen sie auch mit regionalen Akteuren wie Hausärzten, Versorgungszentren, aber auch Bürgermeistern und Landräten zusammenge­bracht werden. Ziel sei es, die angehenden Ärzte früh für eine Region zu interessieren, erläuterte Bauer.

Ihrer Ansicht nach ist es wichtig, das Denken in alten Hausarztmodellen abzulegen. „Jun­ge Menschen wollen Zeit verbringen direkt am Patienten, aber auch mit ihrer Familie. Sie wollen hingegen keine Zeit verlieren mit Unternehmensbürokratie und Softwareanpass­un­gen.“

Dafür brauche es neue Praxismodelle. Junge Studierende müssten früh erfahren, dass der Beruf des Arztes in der Region durchaus vereinbar sein könne mit Familie und mit gere­gelten Arbeitszeiten. Dank digitaler Anbindung könnten sie auch an der Forschung dran­bleiben. So bleibe der Kontakt zu Kollegen und Spezialis­ten in den Kliniken erhalten.

Die Organisation des Netzwerks übernehmen neue Institute an den Universitätsstandor­ten, da­runter das Freiburger Team von Andy Maun. „Die künftige Generation an Hausärz­ten ist weiblich, jung, hat Familie und möchte vor allem mit Patienten arbeiten und nicht mit der Verwaltung“, sagte auch er.

Die Beteiligten müssten nun an einen Tisch gebracht werden, es brauche ein Netzwerk und Kontakte zu Praxen, die einen Nachfolger suchten. Maun zeigt sich optimistisch: „Was das Interesse am Beruf angeht, haben wir die Talsohle durchlaufen.“

Nach den Vorstellungen Bauers können die ersten Studierenden im ersten Quartal des kom­menden Jahres für das dann folgende Wintersemester ausgewählt werden. Billige das Ka­binett den Entwurf, werde das Sozialministerium das entsprechende Gesetz entwerfen. „In zwei oder drei Jahren sehen wir dann frühestens, ob wir uns in die richtige Richtung bewegen.“

Nach Schätzungen der Landesregierung haben rund 665.000 Menschen in Baden-Würt­temberg keinen Hausarzt an ihrem Wohnort. Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg geht von derzeit mehr als 600 unbesetzten Stellen für Hausärzte aus.

dpa

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