Politik

Baden-Württemberg will Impfangebote gegen SARS-CoV-2 zurückfahren

  • Montag, 21. März 2022
„Impfstation 1 - Straße A“ in einer Halle der Messe Stuttgart./picture alliance, Christoph Schmidt
„Impfstation 1 - Straße A“ in einer Halle der Messe Stuttgart./picture alliance, Christoph Schmidt

Stuttgart – Das Land Baden-Württemberg will ab Anfang April das Impfangebot gegen SARS-CoV-2 we­gen fehlender Nachfrage zumindest bis Herbst reduzieren. Statt der bisher etwa 350 mobilen Impfteams und 135 Impfstützpunkten soll es jeweils nur noch ein Team und einen Stützpunkt in allen 44 Stadt- und Landkreisen geben. Das geht aus der Kabinettsvorlage des Sozialministeriums hervor.

So sei es möglich, flexibel zu reagieren, etwa wenn sich die Pandemie wegen einer neuen Virusvariante erneut dramatisch zuspitzen sollte. Das Land will aber auch Geflüchteten aus der Ukraine ein Impfan­ge­bot machen. Bei Bedarf sollen dafür noch mal zusätzliche zehn mobile Einheiten eingesetzt werden, die dann an den Landeserstaufnahmestellen impfen sollen.

Mit dem Abbau des Großteils der bisherigen Teams und Stützpunkte will die Regierung aber auch die enormen Kosten drücken. Die im Winter eilig aufgebaute Struktur vor allem für die Boosterimpfungen hat das Land dem Vernehmen nach mehr als eine halbe Milliarde Euro gekostet.

Das neue Konzept soll laut der Kabinettsvorlage bis Ende September mit knapp 55 Millionen Euro zu Buche schlagen. Das Geld soll aus der Rücklage für Haushaltsrisiken kommen. Die neue Impfstrategie ist auf Arbeitsebene schon zwischen Sozial- und Finanzministerium abgestimmt. Nun müssen noch die anderen Ressorts bis übermorgen zustimmen, dann soll es im Umlaufverfahren genehmigt werden.

Impfkampagne kommt nur in Trippelschritten voran

Das Land hatte wegen des weitgehenden Leerlaufs im letzten Sommer und Herbst die Impfzentren mit großen Kapazitäten zugesperrt und auf mobile Teams umgestellt. Doch dann kam in der vierten Corona­welle mit der Delta-Variante der hohe Bedarf an Boosterimpfungen.

In den Kreisen wurden ab November Impfstützpunkte aufgebaut, um der Nachfrage nach Auffrischungs­impfungen nachkommen zu können. Mittlerweile sind in Baden-Württemberg gut 8,2 Millionen Men­schen zweimal geimpft, das sind 74 Prozent. Geboostert sind knapp 6,3 Millionen Menschen im Südwe­sten – das sind etwa 57 Prozent.

Doch zuletzt kam die Impfkampagne nur noch in Trippelschritten voran. Experten und Politik mahnen weiter, dass nur eine Dreifachimpfung gegen einen schweren Verlauf bei einer COVID-19-Erkrankung schützt. Doch schon seit Wochen lassen sich kaum noch Menschen immunisieren.

Dennoch gibt es einige Faktoren, die in absehbarer Zeit breite Impfangebote nötig machen könnten. So könnte es eine neue Virusvariante oder einen Omikron-Impfstoff geben. Diskutiert wird auch eine vierte Impfung für breite Bevölkerungsgruppen im nächsten Herbst. Unklar ist auch noch, ob die Impfpflicht nun wirklich kommt.

Land sieht Ärzte ab Herbst verstärkt in der Pflicht

Nach und nach will sich das Sozialministerium aus der Organisation der Impfungen wieder zurück­ziehen.

„Es geht derzeit davon aus, dass die Sicherstellung der Impfaufgabe ab dem 1. Oktober 2022 im Rahmen der vertragsärztlichen Regelversorgung über die Krankenkassen oder die Kassenärztliche Vereinigung erfolgen kann“, heißt es in der Kabinettsvorlage. Die Strukturen zur Schaffung einer ausreichenden An­gebotsgrundlage seien vorhanden, jetzt müsse nur noch der Bund das auch rechtlich umsetzen.

Da das Land aber davon ausgeht, dass dies noch länger dauern könnte, will man übergangsweise weiter Vorkehrungen treffen und bestimmte Strukturen aufrechterhalten. Das Ministerium setzt aber darauf, dass sich der Staat ab dem Frühjahr 2023 aus dem aktiven Impfgeschehen zurückziehen können wird. Das Land müsse jedoch weiterhin dafür Sorge tragen, dass eine Impfinfrastruktur vorhanden sei, die eine verlässliche Versorgung der Bevölkerung garantiere.

Expertin empfiehlt „robustes Konzept“ für die Zukunft

Das neue Konzept setzt auf einer Analyse von Professorin Annegret Kuhn auf, die für ein Monitoring im Auftrag des Ministeriums alle Stadt- und Landkreise besucht hat. In ihrem Bericht an das Landeskabinett schreibt Kuhn, es sei wegen der aktuell sehr niedrigen Nachfrage an Impfungen eine Anpassung der Impfstrategie nötig.

„Andererseits ist es wichtig, ein vorausschauendes, robustes Konzept für die Zukunft zu entwickeln.“ Sie empfiehlt, dass bis Ende März 2023 die Verantwortung für die Impfinfrastruktur weiterhin bei Land und Kreisen liegen müsse. Ihre Vor-Ort-Besuche hätten gezeigt, dass die zentrale Koordination derzeit noch nicht von der Ärzteschaft übernommen werden könne.

Für die FDP ist das Zurückfahren des Impfangebots einmal mehr ein Beweis für das chaotische Pande­miemanagement der Landesregierung. „Einerseits die Impfzentren zu schließen und andererseits von einer allgemeinen Impfpflicht zu fabulieren, zeigt einmal mehr die volle Orientierungslosigkeit der Landesregierung in dieser Pandemie“, sagte FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke.

„Bei Grün-Schwarz geht es zu wie bei Hempels unterm Sofa.“ Rülke forderte ein tragfähiges Impfkon­zept, insbesondere mit ausreichenden freiwilligen Impfangeboten. Wir müssen bei den steigenden, aber noch nicht bedrohlichen Zahlen die logistischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir im Herbst nicht wieder in einen neuen Lockdown kommen.“

dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung