Ärzteschaft

Barmer sieht drohenden Hausärztemangel weniger dramatisch als befürchtet

  • Donnerstag, 2. Oktober 2025
/picture alliance, CHROMORANGE, Ernst Weingartner
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Berlin – Die Zahl der Hausärztinnen und Hausärzte in Deutschland wird nach Berechnungen der Krankenkasse Barmer bis zum Jahr 2040 um 2,5 Prozent zurückgehen, während der Bedarf an hausärztlichen Leistungen im gleichen Zeitraum um 3 Prozent steigt. Notwendige Gegenmaßnahmen sind aus Sicht der Kasse auch ohne große Investitionen möglich.

Insgesamt werde es dann rund 1.300 Hausärzte weniger geben als heute. Die voraussichtliche Reduktion der wöchentlichen Versorgungszeit mit einberechnet, ergibt sich sogar ein Defizit von 5.000 fehlenden Stellen. Gleichzeitig werden sich laut den Berechnungen des Barmer-Instituts für Gesundheitssystemforschung (bifg) und der Bertelsmann-Stiftung erhebliche Veränderungen in den durchschnittlichen Versorgungszeiten der Hausärztinnen und Hausärzte ergeben.

Bis 2040 reduziert sich demnach die durchschnittliche wöchentliche Versorgungszeit im Vergleich zum gegenwärtigen Zeitpunkt um rund 3,3 Stunden. Dies werde dazu führen, dass das Verhältnis aus angebotener Versorgungszeit und Versorgungsbedarf – die sogenannte Versorgungsrelation – von heute rund 101 Prozent auf 87 Prozent sinke.

Diese Veränderungen seien aber regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. In den alten Bundesländern werde sich die Situation deutlich stärker verschlechtern als in den neuen. Das Gefälle werde demnach 2040 eher zwischen Stadt und Land als zwischen Ost und West verlaufen. „Einzig die großen Städte können ihr Versorgungsniveau halten“, heißt es in der Studie.

Vor allem ländliche Regionen und kleine Städte sehen sich demnach künftig dem Risiko einer angespannten Versorgungslage oder sogar einer Unterversorgung ausgesetzt. Eine Unterversorgung liegt vor, wenn der Sollwert der geplanten Hausarztsitze um mehr als 25 Prozent unterschritten wird.

Wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, haben laut Studie 2,2 Millionen Einwohner ein Unterversorgungsrisiko von über 90 Prozent, 6,2 Millionen Einwohner ein Risiko von über 50 Prozent.

Umgekehrt lasse sich aber auch feststellen, dass die Mehrheit der Regionen und noch deutlicher die Mehrheit der Einwohnerinnen und Einwohner – 59,5 Millionen Menschen beziehungsweise 71,2 Prozent der Bevölkerung – überhaupt kein Unterversorgungsrisiko habe.

Der Grund für die unterschiedliche Entwicklung in Ost und West liege vor allem darin begründet, dass sich die demografische Wende in Bezug auf die hausärztliche Versorgung in den ostdeutschen Bundesländern bereits auf ihrem Höhepunkt befinde.

Im Osten sei der Generationswechsel bereits größtenteils abgeschlossen, was auch daran erkennbar sei, dass dort der Anteil der über 65-jährigen Hausärzte geringer ist als im Westen. Dort stehe dieser Wechsel noch bevor, weshalb in den kommenden Jahren flächendeckend mit einem deutlichen Rückgang der Hausarztzahlen zu rechnen sei.

Dennoch würden aus Sicht der Barmer einige relativ niedrigschwellige Maßnahmen ausreichen, um das Gros der Versorgungsprobleme zu lösen. Demnach würde bereits ein um drei Jahre verschobener Renteneintritt eine um drei Stunden längere durchschnittliche Versorgungszeit ermöglichen.

„Derartige Effekte sind durch eine entsprechende Setzung von Anreizen erreichbar, ohne den Hausärztinnen und Hausärzten neue Härten zuzumuten und den Beruf damit unattraktiver zu machen“, heißt es in der Studie.

So könne man niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ermutigen, nach Aufgabe ihrer Praxis für eine Übergangszeit als Angestellte in ebendieser Praxis tätig zu werden. Rund ein Drittel der Ärzte könne sich das bereits heute vorstellen. Statt der klassischen Einzelpraxis müssten auch Konzepte wie Gemeinschaftspraxen gestärkt werden und jungen Ärzten, die keine eigene Niederlassung anstreben, die Möglichkeit eröffnen, angestellt tätig zu sein.

Auch müssten Aufgabenbereiche stärker auf andere Versorger und neue Versorgungskonzepte wie Community Health Nurses übertragen werden. Nicht zuletzt würde auch Künstliche Intelligenz (KI) die Möglichkeit bieten, die rund acht Stunden, die heute wöchentlich für die Praxisführung aufgebracht werden, spürbar zu verringern.

Allerdings würden auch so ländliche Regionen mit einem hohen Unterversorgungsrisiko bleiben. „Dabei erscheint auch dieses Problem größer, als es in der Praxis sein müsste, denn ein hohes Risiko für eine drohende Unterversorgung tritt insbesondere in dünn besiedelten ländlichen Räumen auf, in denen bereits eine einzige Ärztin beziehungsweise ein einziger Arzt einen Unterschied macht“, schreiben die Autoren.

Demnach würde im angenommenen Basisszenario ausreichen, wenn rund 650 Hausärzte ihre Leistungen nicht mehr in den am besten versorgten Gebieten, sondern in Regionen mit hohem Unterversorgungsrisiko anbieten würden, um eine Versorgungsrelation von unter 75 Prozent zu verhindern.

Das seien, exklusive Migration, lediglich 3 Prozent der bis zum Jahr 2040 nach der Ausbildung neu in die Versorgung eintretenden Hausärzte.

Selbst eine regionale Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Bezug auf die hausärztliche Versorgung wäre demnach erreichbar. Dazu müsse es nur gelingen, 10 Prozent des hausärztlichen Nachwuchses richtig zu steuern.

Das entspreche rund 2.500 Hausärzten, die bis zum Jahr 2040 „durch gezielte Maßnahmen der kassenärztlichen Vereinigungen motiviert werden müssten, sich in vermeintlich unattraktiven Regionen niederzulassen“, heißt es in der Studie. „Diese Größenordnung erscheint durchaus machbar.“

lau/afp

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