BAS-Gutachten: Risikostrukturausgleich optimierbar

Bonn – In drei kürzlich vorgelegten Gutachten hat sich das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) mit der Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs (RSA) beschäftigt. Es setzt damit auch Aufträge des Gesetzgebers um.
Unter anderem wurde die Option analysiert, die Leistungsausgaben der Vorjahre in den RSA einzubeziehen. Dies könnte dem BAS zufolge die Prognosegenauigkeit der Folgekosten verbessern und Risikoselektionsanreize für Krankenkassen mindern. Es könnte aber im Gegenzug Herausforderungen für das Versorgungsmanagement aufwerfen.
Das BAS erhielt im Rahmen des Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetzes (GKV-FKG) den Auftrag, im Kontext des Risikostrukturausgleiches in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) den Zusammenhang zwischen den Leistungsausgaben eines Versicherten im Jahr 2019 und den Leistungsausgaben der vorangegangenen drei Jahre zu untersuchen.
Im Gutachten wird festgestellt, dass die Berücksichtigung versichertenbezogener Leistungsausgaben aus Vorjahren die Prognostizierung der Folgekosten verbessern kann. Da so die Zielgenauigkeit der Zuweisungen an die Kassen gesteigert werden könnte, würden Risikoselektionsanreize innerhalb der GKV gesenkt.
Das BAS warnt aber davor, dass die Verwendung von Leistungsausgaben aus Vorjahren als Ausgleichsvariablen im RSA prinzipiell die Anreize für ein effizientes Versorgungs- und Kostenmanagement der Krankenkassen mindert. Das Ausmaß hänge maßgeblich von der konkreten Ausgestaltung der Variablen für Leistungsausgaben aus Vorjahren ab.
„Das vorliegende Gutachten liefert wertvolle wissenschaftliche Erkenntnisse, wie die Zielgenauigkeit des RSA weiter erhöht werden kann“, erläuterte Frank Plate, Präsident des BAS. Allerdings hätten die untersuchten Modelle auch einen erheblichen Anpassungsaufwand des Ausgleichsverfahrens zur Folge. Zudem sei die Entwicklung eines umsetzungsreifen Modells nicht Gegenstand des Gutachtenauftrags gewesen.
„Ob die Verwendung von Leistungsausgaben der Vorjahre im RSA Anwendung finden sollte, ist letztendlich vom Gesetzgeber zu entscheiden“, betonte Plate. Im Gutachten heißt es dazu, sofern der Gesetzgeber die Einführung in Erwägung ziehe, sollte diese Entscheidung erst auf Grundlage weiterer Untersuchungen – etwa zu Limitationen, Auswirkungen auf die Modellkomplexität sowie zum zusätzlichen Verwaltungsaufwand bei allen Verfahrensbeteiligten – erfolgen.
Regionalkomponente und Risikogruppen
In zwei zeitgleich vorgelegten Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des BAS werden weitere Aspekte des RSA näher beleuchtet. Dies betrifft die Bewertung der Einführung einer Regionalkomponente sowie eine Analyse der Auswirkungen des Ausschlusses von Risikogruppen mit überdurchschnittlicher Fallzahlsteigerung.
Letzteres zielt darauf ab, Manipulationen der RSA-Datenmeldungen unattraktiver zu machen. Diese zwei Komponenten führten erstmalig im Ausgleichsjahr 2021 zu Änderungen am Risikostrukturausgleich.
Der Wissenschaftliche Beirat kommt bei seiner Untersuchung der regionalen Merkmale zu dem Schluss, dass die 2021 eingeführte Regionalkomponente prinzipiell geeignet ist, die Wettbewerbsbedingungen für die Krankenkassen weiter anzugleichen.
Zum Hintergrund: Die Regionalkomponente im RSA bewirkt eine Umverteilung der Zuweisungen basierend auf Risikogruppen. So sollen Risikoselektionsanreize, etwa aufgrund der Sozialstruktur, die von den Kassen nicht gesteuert werden können aber das Ausgabenniveau der Krankenkassen beeinflussen, kompensiert werden.
„Bedeutsam ist aus unserer Sicht außerdem die Erkenntnis, dass die Regionalkomponente in ihrer derzeitigen Form zumindest teilweise Ausgabenunterschiede ausgleicht, die mit räumlichen Unterschieden im medizinischen Versorgungsangebot einhergehen“, sagte Volker Ulrich, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats.
Die Entscheidung, ob solche angebotsbezogenen Unterschiede in der Regionalkomponente überhaupt ausgeglichen werden sollen, obliege den politischen Entscheidungsträgern. Sollte ein indirekter Ausgleich von Angebotseffekten künftig verhindert werden, komme hierfür eine Neutralisierung der Angebotsvariablen im Zuweisungsverfahren infrage.
Die Expertinnen und Experten des Beirats betonen, dass die Krankenkassen in gewissem Umfang Einfluss auf das regionale medizinische Angebot ausüben – etwa im Rahmen ihrer Beteiligung in den Zulassungsausschüssen, der Ausgestaltung selektivvertraglicher Versorgungsformen oder über politische Impulse. „Je mehr dieser Einfluss wächst, desto weniger sollten Angebotsstruktureffekte im RSA ausgeglichen werden“, heißt es im Gutachten.
Auswirkungen des Ausschlusses von Risikogruppen
In einem weiteren Gutachten untersucht der Beirat die Wirkungen des HMG-Ausschlusses im RSA. Der HMG-Ausschluss führt dazu, dass Zuschläge für bestimmte Morbiditätsgruppen (HGM = Hierarchisierte Morbiditätsgruppen), die eine überdurchschnittliche Steigerung der Fallzahlen aufweisen, für alle Krankenkassen gestrichen werden.
Dadurch erhalten die Krankenkassen keine Zuweisungen im Jahresausgleich für diese Risikogruppen. Dadurch sollen Manipulationen der RSA-Datenmeldungen, beispielsweise das falsche oder zusätzliche Kodieren von Krankheiten, unattraktiver werden.
Laut Beirat ließen sich mit dem HMG-Ausschluss aus theoretischer Sicht zwar mögliche Manipulationsanreize senken, bei der Erstellung des Gutachtens habe sich aber gezeigt, dass die diesbezüglichen praktischen Auswirkungen empirisch kaum zu untersuchen seien.
Eine Analyse der Veränderung der Häufigkeit vertragsärztlicher Diagnosen in der Zeit vor Einführung des HMG-Ausschlusses ergab demnach auf Ebene der verwendeten GKV-weiten Daten „keine belastbaren Hinweise auf eine systematische Manipulation durch die Krankenkassen“.
Zudem besteht aus Sicht des Beirats die Gefahr, dass das Ausschlussverfahren Risikoselektionsanreize gegen bestimmte Versichertengruppen erhöhen kann. „Hinsichtlich des Ausschlussverfahrens empfehlen wir – auch mit Blick auf die von uns verwendeten und durch die COVID-19-Pandemie beeinflussten Daten – das Verfahren zum HMG-Ausschluss in Zukunft erneut kritisch zu untersuchen“, so Ulrich.
Die Ergebnisse zu den Wirkungen des Ausschlusses von Risikogruppen bestätigten wesentliche Einwände der AOK-Gemeinschaft gegen die Einführung der sogenannten Manipulationsbremse, kommentierte Jens Martin Hoyer, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes, die Gutachten.
Aus Sicht der AOK-Gemeinschaft sei die Erweiterung der verfügbaren Daten insbesondere um sozioökonomische Merkmale einer der zentralen Anknüpfungspunkte für eine zielkonforme Weiterentwicklung des Morbi-RSA, so Hoyer. Für die notwendige und zügige wissenschaftliche Befassung müsse dem Wissenschaftlichen Beirat per entsprechenden gesetzlichen Regelungen die erforderliche Datengrundlage zur Verfügung gestellt werden.
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