Beitragssatz für Pflegeversicherung soll deutlich steigen

Berlin – Um die Mehrausgaben in der Pflege refinanzieren zu können, muss der Beitragssatz für die gesetzliche Pflegeversicherung spätestens ab dem nächsten Jahr um mindestens 0,2 Prozentpunkte ansteigen. Das sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) heute angesichts der Zahlen des GKV-Spitzenverbandes zu höheren Ausgaben der Pflegekassen vor Journalisten in Berlin. Gründe für die Ausgabensteigerung seien eine unerwartet hohe Zunahme der Leistungsempfänger und höhere Leistungsbezüge der Pflegebedürftigen, teilte der GKV-Spitzenverband heute mit. Demnach summieren sich die Mehrausgaben auf etwa zwei Milliarden Euro.
Weitere Ausgaben kommen auf die Pflegekassen durch die Neuerungen zu, die Union und SPD in dieser Legislaturperiode umsetzen wollen. In ihrem Koalitionsvertrag erklärten sie, unter anderem 8.000 neue Pflegestellen für die medizinische Behandlungspflege finanzieren sowie Anreize für Teilzeitpflegekräfte setzen zu wollen, in eine Vollzeitstelle zurückzukehren. Medienberichten zufolge konkretisierte der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, heute, wie diese Anreize aussehen könnten. Unter anderem schlug er vor, Pflegekräften, die in eine Vollzeitstelle zurückkehren, eine einmalige Prämie zu zahlen.
Spahn will Kassensturz machen
„Wir werden jetzt einen Kassensturz machen und dabei die gesamte Pflegefinanzierung in den Blick nehmen“, sagte Spahn. Dabei würden sowohl die Auswirkungen der vergangenen Pflegereformen als auch die geplanten Änderungen berücksichtigt werden. Er begrüßte, dass heute 110.000 Pflegebedürftige mehr als erwartet von den Leistungen der Pflegeversicherung profitierten. „Wir haben jetzt die schöne Situation, dass die Pflegereformen der vergangenen Jahre greifen“, sagte Spahn. Im Umkehrschluss bedeute das aber, dass mehr Geld für die Pflege in Deutschland zur Verfügung gestellt werden müsse.
Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, kritisierte die Äußerungen Spahns – auch im Namen der Vorsitzenden des Verwaltungsrates, wie er betonte. „Die vorliegenden Zahlen zu der Finanzsituation der Pflegeversicherung erfordern zunächst eine gründliche Analyse“, sagte er. Er regte an, dass statt reflexhaft einen höheren Beitragssatz als einzige Lösungsmöglichkeit anzukündigen, über die Einführung eines Bundeszuschusses zur Pflegeversicherung nachgedacht werden sollte. „Beispielsweise bei der Renten- und Krankenversicherung ist dieser seit Jahren selbstverständlich“, so Kiefer. Er erinnerte daran, dass der Koalitionsvertrag vorsehe, die Beitragssatzsumme in der Sozialversicherung zumindest für die laufende Legislaturperiode zu stabilisieren.
Heute beträgt der Beitragssatz für die Pflegeversicherung 2,55 Prozent vom Einkommen, für Kinderlose ab dem 23. Lebensjahr sind es 2,8 Prozent. Mit den Pflegestärkungsgesetzen 1 und 2 war der Beitragssatz in der vergangenen Legislaturperiode bereits um 0,5 Prozentpunkte angehoben worden.
Die Vorschläge des Pflegebevollmächtigten seien Teil der konzertierten Aktion für die Pflege, mit der Union und SPD den Pflegenotstand bekämpfen wollen. Sie würden in die kommenden Gespräche mit den Pflegeverbänden und -kassen eingebracht werden. Wichtig sei dabei ein Gesamtkonzept für die Pflege, das sowohl die Schaffung zusätzlicher Stellen vorsehe als auch Maßnahmen, um diese Stellen auch mit Pflegekräften besetzen zu können.
Zahl der Leistungsempfänger auf 3,5 Millionen gestiegen
Der GKV-Spitzenverband nannte konkrete Zahlen, wie sich die Zahl der Leistungsempfänger sowie die Leistungsbezüge zuletzt verändert haben. Bis Jahresende rechnet der Verband mit rund 3,46 Millionen Leistungsempfängern, nachdem es Ende 2016 noch 2,95 Millionen waren. „Damit wird sich das Defizit der Pflegeversicherung über die bisher eingeplante gut eine Milliarde Euro auf eine Größenordnung von rund drei Milliarden Euro bis Ende 2018 erhöhen“, erläuterte Gernot Kiefer vom Vorstand des GKV-Spitzenverbands.
Bereits im vergangenen Jahr schloss die gesetzliche Pflegeversicherung trotz der Beitragserhöhung mit einem Defizit von 2,4 Milliarden Euro ab. Die Reserve der Pflegeversicherung schmolz von gut 9,3 Milliarden Euro im Jahr 2016 auf 6,9 Milliarden Euro.
Mit Einführung der Pflegestärkungsgesetze waren Anfang vergangenen Jahres erhebliche Leistungsausweitungen in der Pflege beschlossen worden, auch um die pflegenden Angehörigen zu entlasten. Im Zuge der Reform wurden zudem die bisher drei Pflegestufen durch fünf Pflegegrade ersetzt, damit wird auch die Demenz stärker erfasst. Das habe dazu geführt, dass so viele Menschen wie noch nie Leistungen aus der Pflegeversicherung erhielten und die Ausgaben höher seien als prognostiziert, resümierte Kiefer.
Anders als im Vorfeld der Reform angenommen, bekamen beispielsweise im vergangenen Jahr rund 115.000 Menschen mehr Leistungen in der ambulanten Pflege, wie der GKV-Spitzenverband betonte. Allein dies führe im laufenden Jahr zu Mehrausgaben von rund 0,9 Milliarden Euro. Insgesamt nimmt demnach der Anteil an höheren Pflegegraden zu, womit auch deutlich höhere Ausgaben für die Pflegeversicherung verbunden sind. Die finanziellen Auswirkungen dieses Struktureffekts auf das laufende Jahr beziffern die Kassen auf rund eine halbe Milliarde Euro.
Je höher der Pflegegrad eines ambulant betreuten Pflegebedürftigen ist, desto höher sind zudem auch die Leistungen zur sozialen Sicherung, die die pflegenden Angehörigen dafür erhalten. Das sind beispielsweise zusätzliche Zahlungen von der Pflegeversicherung an die Renten-, Arbeitslosen- und die Pflegeversicherung. Die Zusatzkosten dadurch belaufen sich auf einen hohen dreistelligen Millionenbetrag. Alles in allem summierten sich die Mehrausgaben auf schätzungsweise zwei Milliarden Euro.
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