Pflegebedürftigkeit: Beratungsbedarf auch nach Reform groß

Berlin – Trotz Pflegereform erleben pflegende Angehörige die Antragstellung und die Phase, bis der Pflegegrad festgestellt ist, als sehr belastend. Das ist das Ergebnis einer qualitativen Studie, die das Umfrageinstitut forsa im Auftrag der Verbraucherzentralen (VZ) erstellt hat. Demnach fühlen sie sich dabei wenig informiert, nehmen allerdings auch vorhandene Beratungsangebote eher selten in Anspruch.
Der Analyse zufolge nutzen zahlreiche Befragte das Internet als Informationsquelle. Allerdings schätzten sie die dort bereitgestellten Informationen als unüberschaubar und eher verwirrend ein. Übereinstimmend äußerten Angehörige von Pflegebedürftigen den Wunsch, von Pflegekassen und Krankenhäusern aktiv beraten und informiert zu werden. Gleichzeitig ergab die Umfrage, dass bestehende Beratungsangebote ihre Zielgruppe häufig nicht erreichen. Die Mehrheit der befragten Angehörigen kannte Pflegeberatungsstellen und Pflegestützpunkte entweder nicht oder nutzte sie nicht. Auch Beratungsgutscheine der Pflegekassen für eine Beratung kannten sie oft nicht.
Unsicherheit beim Begutachtungsverfahren
Ein weiteres Ergebnis ist, dass große Unsicherheit auch rund um die Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung herrscht. Viele Befragte wussten nicht, wie sie sich und die Pflegebedürftigen auf den Termin vorbereiten sollten. Den Begutachtungstermin selbst und das Gespräch mit den Gutachtern erlebte die Mehrheit der Befragten hingegen als angenehm. Auch das neue Begutachtungsverfahren bewerteten sie positiv.
Unterdessen ist der große Antragsansturm auf die Pflegekasse aufgrund der jüngsten Pflegereform nach Angaben der Techniker Krankenkasse (TK) vorerst vorüber. Eigene Berechnungen der Krankenkasse ergaben, dass im ersten Quartal rund 23 Prozent weniger Versicherte einen Erstantrag auf Leistungen der Pflegeversicherung einreichten als im ersten Quartal des Vorjahres. Im Vergleich zwischen den jeweils ersten Quartalen 2016 und 2017 war die Zahl der Erstanträge laut TK bundesweit um 69 Prozent gestiegen.
„Dass der reformbedingte Andrang sich nun wieder normalisiert, heißt nicht, dass die Zahl der Pflegebedürftigen abnimmt“, sagte der stellvertretende TK-Vorstandsvorsitzende Thomas Ballast. Im Gegenteil: Die demografische Entwicklung werde perspektivisch zu einem weiteren Anstieg führen. „Deshalb müssen wir jetzt dafür sorgen, dass die Pflegeversicherung zukunftssicher aufgestellt ist", so Ballast.
Hinzu kommt der große Pflegepersonalnotstand. In der Alten- und Krankenpflege sind deutschlandweit mehr als 25.000 Fachkraftstellen nicht besetzt. Zudem fehlen rund 10.000 Hilfskräfte, wie aus der gestern bekanntgewordenen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag hervorgeht. Demnach waren 2017 im Schnitt 14.785 offene Stellen für Spezialisten in der Pflege alter Menschen gemeldet, in der Krankenpflege waren es 10.814.
Ausbildungsreform elementar
„Die Bundesregierung muss umgehend die Initiative für bessere Rahmenbedingungen für die professionell Pflegenden ergreifen“, sagte dazu heute Franz Wagner, Präsident des Deutschen Pflegerats (DPR). Die Ausbildungsreform müsse schnellstens und gut auf den Weg gebracht werden. Ansonsten sei die Versorgungssicherheit in der Pflege bald flächendeckend nicht mehr gewährleistet.
„Die Pflege duldet keine zeitlichen Verzögerungen und keine langen Diskussionen mehr“, betonte Wagner. Er verwies darauf, dass die in der Antwort genannten rund 35.000 offenen Stellen in der Pflege von der Bundesagentur für Arbeit stammen. Sie zeigten jedoch nur den kleinsten Teil des Problems, da viele Einrichtungen keine freien Stellen mehr melden. „Tatsächlich benötigt werden 100.000 Stellen mehr. Denn bereits jetzt findet die Pflege mit einer viel zu niedrigen Personalbesetzung statt“, so der DPR-Präsident.
Der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz bewertet die aktuelle Diskussion als positiv. „Es ist gut zu sehen, dass die katastrophale Personalsituation in der Pflege zunehmend an öffentlicher Aufmerksamkeit gewinnt“, sagte Markus Mai. Die Versorgungsqualität sei massiv gefährdet, das müsse in Berlin dringend verstanden werden. „Wie unzureichend die 8.000 zusätzlichen Stellen des geplanten Sofortprogramms der Bundesregierung sind, wird schnell deutlich, wenn man dieser Zahl einmal die über 13.000 Pflegeeinrichtungen in Deutschland gegenüberstellt: 8.000 zusätzliche Stellen wären allenfalls für Rheinland-Pfalz allein ein guter Ansatz“, so Mai.
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